Fortschritt Messen

Es ist eine Herausforderung, den Fortschritt eher komplexer Projekte zu messen, erst recht, wenn man das Angestrebte nicht mal einfach testlaufen (lassen) kann. Warum die Klammer um das Wörtchen „lassen“?

Nun… es geht um die Lauferei. Die meisten Menschen, die ernsthaft auf ein bestimmtes Zeitziel auf einer Lauf-Wettkampfstrecke hinarbeiten, wissen es: Man läuft nicht mal einfach im Training die angestrebte Wettkampfzeit auf der Wettkampfdistanz. Beim Marathon ist das wohl den meisten klar – oft höre ich sogar, dass bei langen Läufen 30-32 Kilometer ausreichend sind, im Training, und das nichtmal im Wettkampftempo. Das reicht bei mir nicht. Aber 42,2 Kilometer laufe ich im Marathontraining fast nie, und garantiert laufe ich im Training keinen Marathon, meist nicht einmal einen Halbmarathon im angestrebten Wettkampftempo. Aber auch ein Fünfer in Fünfer-Renntempo (5RT) kommt in der Vorbereitung für einen Wettkampf auf der Distanz von fünf Kilometern nicht vor. Wie bestimme ich also, ob ich auf Kurs bin?

Diese Herausforderung hat mich beschäftigt, erst recht, weil ich meinen Trainingsplan derzeit von agilen Methoden inspiriert flexibel gestalten will. Dafür habe ich mir über Makrozyklen, Mesozyklen und Mikrozyklen Gedanken gemacht. Ich organisiere meine Saison (jeweils ca. ein halbes Jahr, meist von April bis September und von Oktober bis März) in fünf Makrozyklen, wie ich sie in der Laufbibel (Marquardt) gelesen habe: Vorbereitung I, II und III, Wettkampfphase und Regenerationsphase. Diese habe ich farblich markiert (von sattgrün nach gelb für den Aufbau in Vorbereitung I-III, orange für die Wettkampfphase um den Saisonhöhepunkt herum, hellblau für die Regeneration). Der Mikrozyklus ist eine Woche, und die organisiere ich jeweils nach Tagen. Auch wenn es gewisse Grundstrukturen (Longrun am Wochenende, Intervalle gerne am Dienstag) gibt, unterscheidet sich das immer mal. Bleiben die Mesozyklen… diese werden üblicherweise in drei Aufbauwochen und einer Erholungswoche realisiert (3-1). Man kann auch, wenn man mehr Regeneration braucht, 2-1 machen. Die eine oder andere Problematik – Krankheiten, viel los auf Arbeit, eventuell auch Motivationsprobleme – oder auch tolle Dinge wie Besuch oder Reisen haben mich immer wieder von einem lange vorausgeplanten Training abweichen lassen, und da fragte ich mich dann immer, ob das ein Problem für das zu erreichende Ziel sei.

Es lag und liegt also nahe, eine regelmäßige Überprüfung von Stand des Trainings, gegebenenfalls Umplanung und Anpassung der Ziele einzubauen. Insbesondere von im Bereich der Software-Entwicklung arbeitenden Menschen in meinem Umfeld hörte ich immer wieder über agiles Projektmanagement, und das wurde dann auch in einem Seminar zu Veränderungsgestaltung, das ich von der Arbeit her belegen musste, thematisiert. Zum Beispiel wird im Scrum in Sprints und Reviews gedacht, also einer Bearbeitungsphase mit einem vorher festgelegten, prüfbaren und mehr oder minder lauffähigen Ziel der Bearbeitungsphase und einer (kürzeren) Phase, in der Probleme der letzten Aufbauphase und das dabei herausgekommene Produkt untersucht werden – und dann die nächste Aufbauphase geplant wird. Das klang für mich sehr kompatibel mit den Mesozyklen, und so definierte ich mir „Wochentypen“. Da gibt es dann Sprintwochen und Reviewwochen. Da wir von einem Trainingsplan sprechen, habe ich noch etwas verfeinert: B-Rennwochen mit Wettkämpfen, die aber keine geplanten Höhepunkte maximalen Leistungsabrufs sind, Saison-Höhepunkt, Tapering und Regeneration wurden als Wochentypen hinzugefügt, dazu noch (um Ausfällen Rechnung zu tragen) Wochen der Typen „Krank“ und „Stress“. So weit, so gut, und auch so abbildbar:

Zu sehen im obigen Bild ist links oben mein Plan der aktuellen Woche, links unten der Gesamt-Inhalt meines Trainingsplans nach Trainingstypen, das Ziel des Plans oben rechts der Mitte, und die Gesamtübersicht des Plans im Zentrum. Die Vorbereitungsphasen gehen von grün nach gelb, die Wettkampfphase in orange und schließlich die Regeneration in blau. Da ich alle fünf Makrozyklen einstellbar auf null bis zehn Wochen gehalten habe, wurden die grauen Felder für Wochen, die nicht vergeben sind, notwendig. Die Typisierung der Wochen ist mit farblich nach innen schimmernden Rahmen realisiert – blau für Regeneration oder Tapering, cyan für Ruhe- und Review-Woche, pink für Aufbau-, B-Rennen und Höhepunkt-Wochen (je dicker der Rahmen, um so wichtiger das Rennen) und rot für Ausfallwochen. Der blaue Balken in jeder Woche steht für den Anteil der geplanten Trainings, die ich auch ausgeführt habe, der grüne für die, die erfolgreich ausgeführt wurden. Ein schwarzer Rahmen steht für die jeweils aktive Woche, also für die Gegenwart.

Nun stellt sich die Frage: Wenn ich nicht ein Rennen im Renntempo zum Abprüfen meines Fortschritts laufe, in aller Regel (nichtmal bei B-Rennen, normalerweise), wie vergewissere ich mich dann, dass ich für meine Ziele auf Kurs bin? Dafür dient das Donut-Diagramm in der oberen, rechten Ecke.

In der Mitte wird der rein zeitliche Fortschritt des Trainingsplans in seinen Makrozyklen dargestellt. Dann folgen von innen nach außen Ringe, die sich vom Tempo hin zur Ausdauer bewegen. Natürlich steckt dahinter ein Modell, denn wie gesagt: Ich laufe ja nicht einfach mal das Rennen, für das ich trainiere, im Training…

Die Messung des Tempos ist recht simpel. Mit Hilfe des Steffny-Riegel-Modells kann man von kurzen, schnellen Distanzen auf lange, langsamere Distanzen hochrechnen. Das funktioniert bei manchen sehr gut, bei manchen nicht so gut. Ich habe mir anhand meiner Bestzeiten ausgerechnet, welchen Exponenten ich für mich persönlich ansetzen muss, und das funktioniert ganz gut. Also verschaffe ich mir für mein Ziel – zum Beispiel Marathon in 3:05 – das erforderliche Tempo auf der Marathonstrecke (4:22/km), wende das Modell an und erhalte meine Grundschnelligkeit in Einheiten des Ein-Kilometer-Renntempos (1RT). Und das kann man in Form eines LC1000 recht gut testen. Also steht als einzige intensive Geschichte in meinen Review-Wochen ein LC1000 drin, dessen Ist-Ergebnis ich dann mit dem Soll für mein Ziel vergleiche. Momentan bin ich beim 1RT etwas langsamer als angestrebt, daher ist die Anzeige beim Tempo leicht links der Zwölf-Uhr-Position und orange eingefärbt.

Bei Tempoausdauer, sportartspezifischer Ausdauer und Gesamtausdauer wird es schon ein bisschen komplizierter. Tempoausdauer baut man auf, indem man Wettkampftempo über eine gewisse – nicht die volle – Distanz des angestrebten Wettkampfs läuft. Das geht als Tempodauerlauf, als Intervalle oder Tempowechsellauf, ggf. auch als Crescendo-Lauf oder Fahrtspiel. Ausdauer – klar, wer Langstrecke laufen will, muss Langstrecke trainieren, und auch Ausdauer in Rad- und Schwimmaktivitäten oder kombinierten Aktivitäten trägt zur Gesamtausdauer bei.

Also schaue ich über die letzten vier Wochen (zumindest, wenn ich 3-1-Mesozyklen verwende, auch das kann ich zwischen zwei und vier Wochen Rückblickslänge einstellen). Für diese letzten vier Wochen bestimme ich für jedes Renntempo, für die Läufe insgesamt und für Ausdauersport-Aktivitäten insgesamt die Gesamtmenge an Kilometern bzw. Stunden, die jeweils längste Aktivität (oder die längste in einer Aktivität absolvierte Distanz im jeweiligen Renntempo) und auch noch die zweitlängste Aktivität. Da in einem Mesozyklus immer auch eine Ruhewoche dabei ist, streiche ich von den vier Wochen jeweils die mit dem kleinsten Ergebnis, und vergleiche den Durchschnitt der verbleibenden Werte mit einem am geplanten Wettkampf orientierten Soll. Klingt sehr abstrakt?

Konkreter:

  • In den letzten vier Wochen waren meine Wochenkilometer beim Laufen 92,95 Kilometer, 83,98 Kilometer, 70,61 Kilometer und 96,94 Kilometer. Ich streiche nun also das niedrigste Ergebnis (70,61) und bilde den Durchschnitt, es kommen 91,29 Kilometer heraus.
  • Der jeweils längste Lauf der letzten vier Wochen waren in Kilometern: 33,02, 19,65, 30,06 und 32,53. Nach Streichen des kürzesten (19,65) mittle ich und erhalte 31,87.
  • Die jeweils zweitlängsten Läufe hatten 21,92, 11,87, 10,80 und 18,74 Kilometer, nach Streichung des kürzesten im Mittel 17,51.

Die 91,29 Kilometer Gesamtumfang, 31,87 Kilometer langer Lauf und 17,51 Kilometer zweitlängste Lauf vergleiche ich nun mit einem Soll. Dieses Soll ist die eigentliche Magie des Ganzen. Konkret verlange ich von mir selbst, dass der lange Lauf bei der Vorbereitung zum Marathon mindestens 75% der Marathonstrecke umfasst, beim Halbmarathon dann 100%, beim Zehner 150% (also 15 Kilometer) und beim Fünfer 200%. Der Wochen-Gesamtumfang soll das Vierfache des langen Laufes betragen. Diese Zahlen sind anpassbar und ich werde mich noch damit auseinandersetzen, für den Moment ist es aber meine erste Anfangsfestlegung. Mit über 32 Kilometern langer Lauf bin ich schon im richtigen Bereich für einen Marathon, für einen Fünfer bin ich natürlich massiv drüber (was aber nichts macht). Analog vergleiche ich dann für den zweitlängsten Lauf (hier wird nur beim Marathon nochmal auf 75% der 75% der Wettkampfstrecke abgestuft, bei den anderen soll der zweitlängste so lang sein wie der längste) und für den Wochen-Gesamtumfang. Das Ganze wird dann gewichtet gemittelt (langer Lauf und Gesamtumfang zählen doppelt, der zweitlängste Lauf einfach) und ergibt einen Prozentwert – liegt der über 100%, bin ich auf dem richtigen Weg, liegt der drunter, muss ich noch ein bisschen Gas geben oder meine Ziele abstufen. Meine Anzeige bei Tempo-, spezifischer und Gesamtausdauer orientiert sich an der Abweichung von den 100% der jeweiligen Sparte.

Bei der Tempoausdauer geht alles Tempo ein, was ich gelaufen bin – auch Halbmarathonrenntempo hilft für die Tempoausdauer beim Marathon. Ich gewichte aber die für den geplanten Wettkampf geforderten Tempokilometer dreifach, weil das Tempo des konkreten Wettkampfs immer noch das beste Training für das Wettkampftempo ist. Natürlich fordere ich nur einen Anteil des Gesamtumfangs in Tempo-Training, im Moment steht der provisorisch auf 50%.

Klingt kompliziert, und ein bisschen kompliziert ist das auch. Ich wollte halt einige Stellschrauben im Modell haben, um anpassen zu können. Es kann ja durchaus sein, dass ich zu viel oder zu wenig Distanz beim langen Lauf oder Gesamtumfang fordere – und das macht das Ganze ein bisschen fummelig. Nachdem ich es aber an meiner Marathonvorbereitung für den Bienwald im März und der Vorbereitung für kurze Läufe letzten Herbst getunet habe, bin ich zuversichtlich, dass die Gewichtung zumindest der Spur nach gut ist.

Und somit habe ich nun ein wohl funktionierendes, und ggf. anpassbares Modell, mit dem ich meinen Trainingsfortschritt abhängig von meiner geplanten Wettkampfstrecke aus meinem Trainingstagebuch heraus messen kann. Damit habe ich auch das geeignete Tool für den Rückblick auf vergangene Trainings-Mesozyklen und die Planung des nächsten Mesozyklus.

Ob es sich bewährt, wird man sehen, aber ich mag die Prämisse.

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