Ungenau

Intervalltraining ist eigentlich ein ziemlich exaktes Geschäft. So-und-so-viele Meter bei einer genau definierten Pace, danach so-und-so-viele Kilometer oder Sekunden Trab-, Geh- oder völlige Pause, eine definierte Zahl an Wiederholungen beim Laufen. Oder so-und-so-viele Sekunden bei einer gewissen Leistung oberhalb der funktionellen Schwellenleistung (FTP), danach eine definierte Anzahl von Sekunden Erholung, ebenfalls in Anteil der FTP definiert, in einer bestimmten Anzahl von Wiederholungen, mit einer bestimmten Anzahl von Sätzen…

Okay, zu viel, zu schnell, nicht wahr? Man läuft also zum Beispiel zwölf mal 400 Meter im Zehn-Kilometer-Renntempo und macht dazwischen jeweils eine Minute Pause. Es gibt viele Versionen von Intervallen, viele Modi. Aber stets ist definiert, wie viel, wie schnell oder intensiv, wie oft, wie lange die Pause zu sein hat und wie tief man da mit der Leistung geht.

Bisher sieht meine Sport-Datei aber nur vor, Durchschnittsleistung, Durchschnittstempo, Durchschnittsherzfrequenz und so weiter einzugeben, für Aktivitäten. Um zu erfassen, wie viel ich mich in welchen Trainingsbereichen (z.B. nach Herzfrequenz) aufhalte, ist das bei Wechselbelastungen natürlich extrem ungenau – das gilt besonders für Intervalltraining und für Endbeschleunigungen.

Wenn ich aufführen möchte, wie viel Zeit ich insgesamt in welchem Trainingsbereich verbringe, musste ich mir also etwas ausdenken, und das habe ich. Zu diesem Zeitpunkt beinhalteten meine Intervalltrainings-Aufzeichnungen immer auch den Transfer zum Stadion oder zur für die Intervalle genutzte Strecke, das Aufwärmen, Lauf-ABC, sofern ich es damals schon machte, Auslaufen und den Rücktransfer. Ich guckte mir also das Gros meiner Intervalleinheiten an und modellierte. 35 % der Dauer der Intervalleinheiten verbrachte ich im Schnitt mit Tempo, den Rest mit Transfers, Warm-Up, Cool-Down und Pausen. Eine Abschätzung besagte, dass in den Tempophasen der Puls um die 20 Schläge, eher etwas mehr pro Minute über dem Durchschnitt lag. Also erfand ich eine Methode, meine Intervalleinheiten in 35 % Dauer mit um 25 Schläge erhöhtem und 65 % Dauer mit um 13 Schläge gegenüber dem Durchschnittspuls abgesenkten Werten in meine Gesamtzeit in Herzfrequenzzonen laut meiner Trainingsdatei zu summieren. Da ich das untenstehende Diagramm eh nur für eher lange Zeiträume nutze und mir die genaue Verteilung bei den einzelnen Aktivitäten ansehe, reichte mir das – zunächst.

Inzwischen ist eine Menge Zeit ins Land gegangen. Fast hätte ich geschrieben, es sei eine Menge Land in die Zeit gegangen. Oft zeichne ich meine Intervalleinheiten nicht mehr inklusive der Warmups, Cooldowns und Transfers auf. Teils finden Transfers, Aufwärmen und Runterkühlen auf anderen Schuhen statt, da ich auf der Bahn gerne auch auf Spikes trainiere, die natürlich auf Asphalt nicht gelaufen werden können. Oder ich fahre mit dem Rad zur Tartanbahn und ziehe da die Spikes an. Dazu kommen Tempowechselläufe (bisher wenig) und Endbeschleunigungen, von Intervallmodi mit unterschiedlichen Intensitäten (wie SOS und Pyramide), die von dem einfachen Modell natürlich nicht erfasst werden. Und, oh Schreck, wenn ich 20-40- oder 30-30-Intervalle in drei Achtminutensets auf dem Rad durchführe, passt das gar nicht mehr. Mit der Veränderung meiner Gewohnheiten passt das schon damals grobe und ungenaue Modell überhaupt nicht mehr.

Ein Ansatz

Ja, ein Ansatz ist gefunden. Ausgeführt habe ich das noch nicht. Natürlich könnte ich vorsehen, welche Zeit ich in welchem Pulsbereich verbracht habe, das manuell in meinem Trainingstagebuch eintragen und daraus aufsummieren. Dann würde ich aber neue Begehrlichkeiten entwickeln und EXAKT brauche ich die Zeiten in Pulsbereichen immer noch nicht, andere Aspekte von wechselintensivem Training interessieren mich „im Mittel“ viel mehr.

Da wäre zum Beispiel im Marathon-Training die im Marathonrenntempo (MRT) absolvierten Kilometer und dergleichen. Noch immer ist es so, dass die Tools, die ich für meine Ideen maßschneidern will, von den üblichen Trainingsplanungstool, ob nun Garmin Connect, Strava oder Stryd, nicht so anpassbar gestellt werden, wie ich das gerne hätte. Und so habe ich mein Trainingstagebuch um sechs Felder erweitert…

Diese habe ich erstmal hinten an die restliche Liste angestellt. Es wird nicht bei diesen sechs Feldern bleiben, aber diese sechs werden ausfüllbar sein, der Rest wird wohl automatisch ausgefüllt oder abschnittsweise dokumentiert und dann beim Berechnen genutzt. Für Intervalle, in denen ich nichts eintrage, werde ich weiterhin das alte Modell nutzen, quasi als „ungenau, aber besser als nichts“-Fallback, künftig wird das aber in der Aktivitätenliste gerechnet und nicht in der Summation. Wie ich die „Magie“, also die Implementation hinter der Idee aufbaue, weiß ich noch nicht ganz genau. Beim Radfahren lässt sich die FTP (functional threshold power) ja eintragen, und der Rest der Aktivität wird so gerechnet, dass die Schnitte stimmen – und entsprechend zur Intensität die Bereiche mit einem Puls dazu bestimmt.

Beim Laufen wird es komplizierter, weil ich ja die verschiedenen Wettkampftempi je nach Trainingsplan bestimme, also für bestimmte Zeiträume. Dafür wird’s wohl eine entsprechende Buchführung geben müssen. Aber mich interessiert einfach viel mehr die genaue Dauer, die ich in bestimmten Wettkampftempi beim Training verbringe, als die Monatssummen in Trainingsbereichen. Dementsprechend gehe ich von dem aus, was mich genau interessiert, und schätze daraus das ab, was mich nur grob interessiert.

Der Anfang eines komplizierten Projekts für ein neues Feature ist gemacht. Die Implementierung ist nicht dringend, aber ich produziere dann im laufenden Betrieb die Testdaten.

[KuK] Verdaut

Heute beim Lauftreff fragte einer meiner Laufpartner, ob ich Regensburg nun verdaut hätte. Ich bejahte und realisierte: Ja, ich habe diese echt harte Nummer, beim Halbmarathonziel langsam zu merken, dass es hart wird und das Zeitziel schwierig wird, beim Dreiviertelmarathonziel zu wissen, dass die verbleibenden 10,5 Kilometer nur noch durchhalten, sich quälen, ohne vage Chance auf das Zeitziel sein würden, mittlerweile verdaut.

Woran ich das festmache? – Ich habe das nächste Saisonziel definiert, meinen Trainingsplan-Tab im Trainings- und Krankheitstagebuch leergeräumt, die Phasen definiert und sogar ein neues Diagramm erstellt.

Zwecks Übersicht stehen nur Abkürzungen drin, die ich zur Verfolgung der Erfüllung benutze, und ich habe auch noch nicht alles ausgefüllt, der Anteil an hochintensiven und intensiven Trainings wird noch geringer werden. Da die Trainingsartenliste flexibel ist, ich also je nach Philosophie, nach der ich meinen Plan baue, die Trainingsartenliste anpassen kann, benutze ich die – designtechnisch fragwürdige – automatische Farbgebung von Excel.

Die Definitionenliste der Trainingsformen ist aber nicht willkürlich gefärbt. Hier ordne ich jeder Trainingsform, die in meinem Plan erscheint, eine „Einstufung“ zu, welche sich aus meiner deutlich reduzierteren Liste von stark verallgemeinerten Trainingsformen rekrutiert. Denen habe ich Farben zugeordnet – von wenig intensiv nach intensiv (blau nach rot), mit dem satteren Grün für die langen Grundlagen-Sachen. Auch hier ist zu beachten: Noch ist das vorläufig, denn ich habe noch nicht alle Wochen voll geplant.

Zu beachten ist außerdem: Ich gestehe mir von den intensiven und/oder langen Einheiten im oberen Bereich der Liste nur eine pro Woche zu, um nicht zu überdrehen. Extensive und regenerative Einheiten darf es aber mehr geben, daher tauchen sie auch mehrfach auf.

Diese Idee, Trainingsformen zu zählen, sie meinen verallgemeinerten acht Trainingsform-Kategorien zuzuordnen und ihre jeweiligen Anteile am Trainingsplan in einem Diagramm darzustellen, hatte ich schon, als ich das Planungstool gestaltet habe. Da war ich mir aber noch nicht sicher, wie das alles funktioniert, aber nun war’s umsetzbar. In den nächsten Wochen wird sich der Plan mit vier Wochen mit Spaß mit Unterdistanz-Wettkämpfen und relativ viel Freiheit, auch mal was Dummes zu tun, drei Wochen Übergang, sechs Wochen eigentlicher Countdown, zwei Wochen Tapering und Wettkampfphase sowie Regenerationsphase sukzessive füllen.

Ich stehe wieder an der Karte und plane einen Kurs. Ich habe Regensburg und auch das Auslassen des Zehners in Rülzheim verwunden. Aufgestanden, Krone gerichtet, weiter geht’s!

Schlechtes – und Gutes

Man kann das Leben nicht in Zahlen erfassen, sagen mir die Leute immer. Laufen ist mehr als Statistiken und Zahlen, Leben sowieso. Und das ist auch richtig.

Aber man kann Teilaspekte und Probleme sehr wohl in Zahlen fassen und als Diagramme darstellen, daraus Entwicklungen und manchmal sogar Handlungsbedarf ableiten, an anderen Stellen sich darüber freuen, dass eben kein Handlungsbedarf besteht. Die Kombination von Schmerz- bzw. Krankheitstagebuch mit meinem Trainingstagebuch gibt mir genau solche Möglichkeiten. Beim Laufen muss ich gestehen, bin ich im Moment noch am mich sortieren. Ich weiß, was zu der ganz anderen Leistung in Regensburg beigetragen hat, als ich geplant und eigentlich auch drauf hingearbeitet habe, über alle Konsequenzen daraus bin ich mir aber noch nicht klar. Wo ich hingegen sowohl Daten als auch Ideen habe…

Schlechtes

Kranksein ist doof. Speziell so eine Krankheit, die einschränkt, bei der die Ärzte die Schulter zucken und meinen, es seien nur Schmerzen und viele, wenig nutzbringende oder schon ausprobierte Lösungsansätze bringen, die einander gegebenenfalls auch widersprechen… das betrifft vor allem meine Spannungskopfschmerzen, die wohl wetterfühlige und andere Komponenten haben. Mir wurde schon gesagt, „dieses viele Laufen“ sei ein Problem, weil es den unteren Rücken… ja, klar. Andererseits weiß ich, dass Laufen mir vorbeugend und auch oft akut hilft. Und ich lüge mir gerne in die eigene Tasche, dass es gar nicht so viel sei.

Tja. Doch, es ist im Moment wieder so viel. Für 2023 bisher 1,5 Tage pro Monat im Schnitt. Die hier aufgeführten Tage sind nur zu einem (eher kleinen) Teil auch Fehltage auf der Arbeit, da ich auch an Wochenenden und Feiertagen Probleme hatte. Unter „Sonstiges“ ist alles aufgeführt, was Infekte, Übermüdung, Erschöpfung, Frakturen, Stürze etc. beinhaltet – August letzten Jahres natürlich der Fingerbruch. Da ich die Statistik erst seit August detailliert nach Grund führe, fehlt die Corona-Erkrankung vom Juli hier. Wenn ich „Mix“ hier aufführe, heißt das, dass zwei oder mehr der genannten Gründe zu gleichen Anteilen zum Gefühl eines Krankheitstages beitrugen. Tja. Gut sieht anders aus.

Was sind also die Konsequenzen? Ich muss mich mehr um Entspannung – mental und emotional ebenso wie im Rücken und Nacken kümmern. Ich weiß recht genau, dass einige Sonderaufgaben gekoppelt mit Mehrarbeit, weil Kolleginnen aus gutem, frohem Grund in ihre wichtigere Mission (Mutterschutz und Elternzeit) gingen, aber eben auch deren Arbeit übernommen werden musste. Abstriche in der Durchführung haben wir leider nicht so weit zu machen geschafft, wie es nötig gewesen wäre, und so drehte ich zeitweise ein bisschen am Rad. Das spielt sicher eine Rolle, dagegen kann ich aber nicht sehr viel tun. Mehr Entspannung – emotional, mental und körperlich – kann ich aber durchaus zu implementieren versuchen, und genau das ist auch auf dem Weg.

Für mich ist es hilfreich, die Dinge so aufzuführen, um mir nicht, wie mein Vater es so nett ausdrückt, bezüglich meines Gesundheitszustands „in die eigene Tasche zu lügen“.

Mäßiges

Krank im Sinne meiner Definition zu sein, heißt aber nicht, dass ich gar nichts tun kann. Ich kann zum Beispiel an meinem Rücken arbeiten, damit er weniger verspannt, selbst wenn ich meine Hand nicht richtig benutzen kann, oder flott mit einer gewissen Belastung gehen, ich durfte sogar laufen, mit dem Fingerbruch. Oft hilft an Kopfwehtagen auch ein Lauf, dass es besser wird oder schneller besser wird als ohne den Lauf. Hin und wieder bin ich auch im Versuch, dass es an der frischen Luft besser wird, mit Kopfweh auf dem Rad zur Arbeit gefahren, musste dann einsehen, dass es nicht geht, und fuhr wieder heim – wenn ich dann den Rest des Tages mit brüllenden Kopfschmerzen im Bett verbrachte, ist es natürlich trotzdem ein Kranktag.

So sieht man, dass Kranktage nicht zwingend mit Ruhetagen im Sinne des Trainierens korrelieren. Man muss ja auch wieder auf die Beine kommen, und therapeutisches Training funktioniert. Dieses Diagramm ist neu in meiner Liste und ich gucke mal, was draus wird. Im Dezember, und das muss ich klar sagen, habe ich meine Demotivation für einige Dinge (unter anderem Sport) nicht als „Krank – Psyche“ erfasst, das hätte ich können, fand ich aber nicht gerechtfertigt. So schlimm war’s nicht.

Gutes

Auch wenn’s beim Laufen in Regensburg nicht so gut lief und der entsprechend hohe Puls bei am Schluss wirklich quälend langsamem Tempo dieses Statistik im Mai ein bisschen torpediert und auch sonst ein paar Dinge im Mai beim Laufen nicht so liefen, sieht man doch die Entwicklung in der physikalische Arbeit pro zusätzlichem Herzschlag (pApzH) beim Laufen auf einem hohen Niveau und beim Radfahren mit fulminantem Anstieg, den ich so auch in mittlerer Geschwindigkeit und insgesamten Gefühl auf dem Rad bemerke:

Die pApzH entwickelt sich somit zunehmend zu einem validen Schätzer für’s Radfahren und auch für’s Laufen, und vielleicht hätte mir die nicht mit der Entwicklung beim Radfahren zusammenpassende Kurve beim Laufen vor dem Regensburg Marathon eine Warnung sein sollen. Ob oder ob nicht – muss ich noch ein bisschen gucken. Da bin ich noch am mich sortieren für den neuen Plan für den nächsten Marathon – das wird dann der Badenmarathon in Karlsruhe im September, wo wir wohl eher von warm nach kühl oder im konstant warmen Bereich liegen werden, der mir besser liegt.

Was beim Radfahren aber wohl auch eine Rolle spielt, ist die zunehmende Gewöhnung an etwas, das ich als gut schon wusste – aber nur begrenzt umsetzen konnte: Hohe Trittfrequenz. In meiner Trittfrequenz-Mittelung für Aktivitäten sind auch die tendenziell langsamen Fahrten mit niedriger Trittfrequenz und Anhänger dran zum Einkaufen mit drin, ebenso die Zeiten, in denen ich rollen lasse, dennoch lässt sich eine langsame, aber stetige Tendenz der Trittfrequenz „nach oben“ ablesen, die seit dem wieder Loslegen auf dem Rad nach Covid-19 im Juli 22 mehr oder minder anhält, mit ein paar Rückschlägen oder Plateaus. Den Juni 23 würde ich noch nicht ganz für voll nehmen, aber dass ich auf langen Geraden oft eine 100 oder mehr auf der Trittfrequenz-Anzeige stehen habe, ist neu.

Da ich mich ja entwickle… habe ich nun endlich auch mal die Achse angepasst und zeige das Diagramm gleich nochmal:

Was auch sehr deutlich ist: Ich trete zunehmend höhere Durchschnittsleistungen, und das äußert sich auch in höherem Tempo:

Dass ich letztes Jahr bis inclusive November schneller fuhr, hing auch mit einem damals noch nicht angefangenen, zu meinem leichten Frust bisher nicht abgeschlossenen Projekt zusammen: Das Rennrad, bei dem ich aus derselben Leistung mehr Tempo rausbekomme, steht immer noch zum Umbau auf Di2 auf dem Wartungsständer. Seit Dezember bin auch ausschließlich mit dem schwereren Alltagsrad gefahren, das dazu noch in Felgen, Gepäckträger und Geometrie deutlich weniger aerodynamisch ist als der „Green Scooter Killer“. Insofern ist die Geschwindigkeit seit Dezember voll vergleichbar, weil keine unterschiedlichen Räder zum Einsatz kamen. Das ist gut für die Statistik und nervt mich, weil ich immer noch am Verlegen der Kabel im Rahmen bin – mit langsamen, aber mir dann doch zu homöopathischen Fortschritten.

Was denn nun?

Gut ist, dass ich mit meiner regelmäßig geführten Statistik über Krankheit, Training, Leistung vermeide, „mir in die eigene Tasche zu lügen“ und somit eine halbwegs belastbare Basis habe, um Entwicklungen zu verfolgen und Maßnahmen zu ergreifen. So sehr Körpergefühl wichtig ist, so leicht ist es doch, unangenehme Entwicklungen schönzureden, und somit nicht zu erkennen, wo man vielleicht was drehen kann und sollte. Gut ist also, dass ich Gutes und Schlechtes so erkenne.

[KuK] Doch die Umstände…

…sie sind nicht so.

Eigentlich habe ich das dringende Bedürfnis nach einem sportlichen Erfolg im Sinne von „Performance according to plan“. Nicht, dass ich auf das Durchbeißen auf den letzten zehn Kilometern beim Regensburg Marathon nicht mehr stolz wäre, auch auf die Leistung bei der Badischen Meile trotz Sturzes im Vorfeld bin ich weiter stolz.

Aber ich möchte nicht in den dritten Wettkampf in Folge gehen, in dem – dieses Mal absehbar – trotz der stringenten Vorbereitung und der gemäß Resultaten im Training zu erwartenden tollen Leistung ebendiese in Frage steht.

Nach zu viel Radeln in der Woche nach dem Marathon, weil‘s halt von Reisen gefordert war, nach einigen mentalen Problemen am Freitag, die in den Samstag abstrahlten, und einer durch äußere Umstände bedingt absurd schlechten Nacht auf Sonntag habe ich mich entschlossen, nicht zu pokern.

Es kann sein, dass trotz der schlechten Vorzeichen eine tolle Zehner-Zeit drin wäre, morgen. Eine 38:xx wie erhofft wohl nicht, aber eine Sub-40 könnte schon sein. Aber was, wenn nicht, wenn ich wieder merke, es läuft nicht – und das angesichts der mangelnden Erholung vom Marathon wegen der Umstände nicht einmal unwahrscheinlich ist?

Also habe ich schweren Herzens entschieden, den Zehner morgen nicht anzutreten. Ich bräuchte ein Erfolgserlebnis, aber nicht so dringend, dass ich so ein Vabanque-Spiel mit meinem Nervenkostüm treiben würde. Also werde ich morgen leichten Herzens ausschlafen. Ich kann eine gute Nacht brauchen!

Mein härtester Marathon – Regensburg

Nun habe ich eine Nacht drüber geschlafen. Enttäuscht bin ich noch immer nicht, aber ein paar mehr Gedanken habe ich mir schon gemacht. Während ich diesen Text schreibe, werde ich en passant einen Teil der Aufarbeitung und Analyse durchführen und hier einfließen lassen.

Das emotionale Sofortbild von gestern paraphrasiere ich hier noch einmal: Es war ein Erfolg der anderen Art. Ich ging nach einer wirklich langen, ausführlichen, gut geplanten und auch gut ausgeführten Vorbereitung mit dem Ziel, eine neue persönliche Bestleistung zu laufen, einen weiteren Schritt in Richtung der drei Stunden zu machen, in diesen Marathon. Heraus kam ich mit meinem drittbesten Marathon, mit einer Zeit deutlich unter drei Stunden dreißig Minuten, aber eben auch mehr als 21 Minuten langsamer als die Ausrichtung meiner Vorbereitung. Ob – wie ich gestern auch anhand von Rückmeldungen meiner Lauffreunde vermutete – bei Kilometer 18 irgendetwas aus dem Takt kam oder erst nach der ersten Hälfte, konnte ich gestern noch nicht sagen, und vielleicht werde ich es auch im weiteren Verlauf dieses Beitrages nicht herausbekommen. Sicher ist, dass es zu Beginn der zweiten Runde (in Regensburg läuft man eine Halbmarathon- und zwei Viertelmarathon-Runden) sehr schwer wurde und jenseits der 30 Kilometer bis auf den puren Überlebenswillen alles zusammenbrach. Aber ich habe es geschafft, am Dreiviertel-Marathon-Ziel vorbeizulaufen und mich durch das letzte Viertel ins Ziel zu quälen, ohne Aussicht auf eine gute Zeit, ohne Aussicht, dass es vor der Ziellinie nochmal einfacher werden würde. Eine pure Willensanstrengung, Mentaltraining, könnte man sagen – Mind over Matter.

Die Medaille vom Regensburg-Marathon wird dadurch wichtig, wichtiger als die vom furiosen Sturmlauf zur unter 3:10 in Mannheim letztes Jahr. Da war’s die Zeit, die auf der Urkunde stand, wegen derer das Ereignis denkwürdig war. So sehr ich weiß, dass 3:26 und ein paar Sekunden für viele Menschen eine herausragende, ja unerreichbare Marathon-Zeit sind, so wenig entspricht diese Zeit dem, was ich erwartet habe. Aber durchgekommen zu sein, auch wenn bereits auf Halbmarathon-Distanz klar war, dass das schwer werden würde, spätestens bei drei Vierteln offenbar wurde, dass unglaublich viel „sich Quälen“ nötig sein würde, nur um durchzukommen, und ein auch nur vage mit meinen Trainingszielen vereinbares Ergebnis trotzdem außer Sicht, völlig unerreichbar war, das war die Leistung. Und dafür steht die Medaille, die hier obendrüber Amaya, Rocky, Xue und Lyn bewundern.

Was hat mir also „den Stecker gezogen“? Bereits gestern habe ich einige Faktoren identifiziert:

  • Es war sehr warm – deutlich über 20 °C, später über 25 °C, dazu pralle Sonne. Das mag ich eigentlich, aber es kam eben nach einer wieder recht kühlen Phase sehr plötzlich. Als wir nach Regensburg fuhren, war’s noch morgens kalt, abends kühl. Bereits am Samstag beim Sightseeing war’s warm und sonnig – und am Sonntag, am Renntag, dann wie in Mannheim vor einem Jahr, nur eben mit einem Tag statt drei warmen Wochen Vorlauf zur Hitzeadaption. Ich war sicher nicht die einzige, die deswegen Probleme hatte, es haben etliche Leute aufgegeben oder mussten gar zu den Sanitätern.
  • Unerwartet viele Höhenmeter, die auch noch für mich schwierig verteilt waren. Trailläufer lachen über 157 Höhenmeter auf Marathon-Distanz, wie sie meine Garmin- und Strava-Aktivität anzeigen. Ich werde nachher noch analysieren, ob – wie ich vermute – diese 157 Höhenmeter eigentlich eine Untertreibung sind. Die Steinerne Brücke dürfte – ähnlich wie die Köhlbrandbrücke – nur eingeschränkt auftauchen, wenn nicht durchgehend ein 3D-Fix beim GPS aktiv war, denn dann benutzt Garmin die Höhenmeter von der Karte, und die berücksichtigen nicht die Höhe auf menschlichen Bauwerken. Wie gesagt, dazu später mehr.
  • Gegenwind – Gegenwind aus der Hölle! Gerade auf dem dreimal durchlaufenen Anstieg vom Infineon-Parkplatz hoch zur Brücke über die A93 und dann weiter zum oberen Zugang zur Altstadt war’s nicht nur konstant ansteigend, sondern auch noch von echt krassem Gegenwind geprägt. Gefühlt hatte man auch unten an der Donau, dann in Gegenrichtung unterwegs auf dem zweiten Teil der Viertelmarathon-Runde, noch recht viel Gegenwind, obwohl das eigentlich unlogisch erscheint. Jedenfalls hatte ich weit häufiger den Eindruck brutalen Gegenwinds, der einen mehr abbremste als angenehm kühlte, als ich den Eindruck stehender Luft und brütender Hitze hatte.
  • Kopfsteinpflaster. Woah. Das unterschätze ich total. Naja, künftig vielleicht nicht mehr. Das Kopfsteinpflaster in Regensburgs Altstadt, vor allem die Rinnen in der Mitte der Straßen, wo Wasser abfließen soll, die man im Pulk teils nicht vermeiden kann… das aus dem Knöchel wieder auszugleichen, kostet bei jedem Schritt zusätzliche Kraft, ebenso wie die Unebenheit und Rutschigkeit von „geradem“ Pflaster immer etwas Kraft zieht.

Auf der Steinernen Brücke kombinierten sich Wind, Anstieg und Kopfsteinpflaster zu einem Crescendo des Grauens. Ich hatte wirklich, wirklich Angst vor dem dritten Durchlauf der Steinernen Brücke, aber da bin ich nicht gegangen. Ich hatte drei Gehpausen in der dritten Runde – aber nur an Verpflegungsosten. Beim dritten Mal habe ich mir dreißig, vierzig Meter zum wieder Loslaufen genommen, aber letztlich habe ich keine Gehpausen gemacht, die keinen Anlass hatten. Vermutlich hat das meinem mentalen, meinem Nervenkostüm gut getan.

Weitere Faktoren habe ich auf der ziemlich chaotischen Heimfahrt (es müssen wohl ein oder zwei ICE International aus Wien in Passau „verendet“ sein, so dass der ICE von Passau nach Dortmund, den wir bis Frankfurt nehmen wollten, bereits in Regensburg über eine Stunde verspätet und restlos überfüllt war), in der Nacht und heute früh identifiziert, die zu diesem Einbruch beigetragen haben könnten:

  • Verletzung im Vorfeld – es war nur die Hand. Es war 17 Tage vor dem Marathon. Aber es hat mir Probleme im Vorfeld beschert und einen sehr, sehr schlechten Kopfwehtag vor der Badischen Meile.
  • Taperingfehler. Ich weiß, dass ich die Beine mehr still halten hätte sollen. Den gemeinsamen Lauftreff mit Brigitte und Stephanie am Dienstag bereue ich nicht, aber der Feuer-Fehlalarm auf Arbeit vorher hat die Radfahrt zum Lauftreff zu einem Sprint gemacht, und das war wohl keine gute Idee. Auch die sehr lange Fahrt zum Startpunkt des Außendienstes am Mittwoch und danach wieder heim, das war suboptimal.
  • Mentaler Stress und erneutes Kopfweh – Mittwoch nach dem Außendienst hatten die Kollegin und ich noch den zweiten Dienstsitz besucht. Die Gespräche dort waren wichtig, aber durchaus aufwühlend. Zusammen mit dem Abkühlen, dem Druckabfall und dem langen Mittwoch hat mir das am Donnerstag Kopfschmerzen gemacht, und das war dann nicht optimal zum Speicher füllen.
  • Sightseeing-Bedingungen am Samstag vor dem Lauf – da sind wir Spazieren gegangen, nicht schnell, nicht mit Druck. Aber eben doch in der Sonne und im überraschend sommerlichen Regensburg. Vermutlich war das zu viel.

All das einzeln stecke ich normal gut weg. Aber nimmt man die obigen acht Punkte zusammen, kann vermutlich kaum etwas anderes herauskommen, als ich dann gestern erlebt habe. Es war kein Fiasko, nein, gar nicht. Aber es war anders als erwartet. Wenn ich meine Erinnerungen nun mit dem Höhen-, Pace- und Pulsdiagramm zusammenwerfe, kommt das Folgende heraus:

Somit sehe ich: Die steinerne Brücke ist in den Höhenmetern drin. Es waren wohl wirklich „nur“ 160. Dafür sind die Anstiege der Steinernen Brücke eher steil, im Verhältnis zur sonstigen Strecke, und nicht so kurz wie z.B. die Radunterführungen in Karlsruhe, außerdem sind diese Anstiege gepflastert und es ist zwischen den zwei Überquerungen ein Wendepunkt, der Tempo rausnimmt. Da man aber anschließend wieder hoch durch die Altstadt von Regensburg auf recht „pflasterigem“ Pflaster läuft (ich habe davon abgesehen, weitere zwei Anstiegs-Pfeile nach der Steinernen Brücke einzufügen, weil das vielleicht den Tatsachen, aber nicht so richtig meinem Gefühl entspricht), ist wohl vor allem die Kombination aus Profil und Pflaster bei der Kombination Steinerne Brücke und Altstadt für mich der Brecher gewesen. Ich finde, man sieht das auch recht deutlich: Zwei Puls-Spikes und anschließender Geschwindigkeitsverlust bei jedem Durchlauf durch die Kombination aus Steinerner Brücke und Altstadt. Man kann das sicher schnell laufen – aber ich kann es eher nicht. Vor allem nicht, wenn plötzliche Hitze und die oben genannten Fehlerchen im Tapering dazu kommen.

Deutlich zu sehen ist im Diagramm mit Schrittlänge und Schrittfrequenz, dass mir vor allem die Dynamik im Schritt, die Flugphase, die Schrittlänge abhanden kam. Das Niveau sinkt bereits erstmals nach der Steinernen Brücke. Da war der Bruch, dreimal. Aber die Brücke und das Pflaster waren nur die Auslöser, die Gründe liegen wohl eher in der plötzlichen Hitze, etwas zu viel Sonne am Vortag und ein bisschen zu viel Action im ersten Teil der zweiten Taperingwoche.

Schwamm drüber nun? Nein! Gar nicht! Im Gegenteil – ich habe sehr viel über mich gelernt. Über Fehler im Tapering. Über Übermut. Auch darüber, dass es wirklich so ist, wie ich im Vorfeld gepredigt habe. Viele haben anhand meiner Vorbereitung sehr, sehr nachdrücklich prognostiziert, dass es nur gut gehen kann, dass ich unter drei Stunden bleiben könnte, dass…

Aber über volle 42,2 Kilometer kann man auch ohne die oben genannten Faktoren nicht alles kontrollieren – man kann sogar mehr nicht kontrollieren, als man kontrollieren kann. Eigentlich will man die Schrittfrequenz, die Schrittlänge, die Pace konstant halten, vielleicht etwas steigern. Eigentlich will man den Puls auf Level kommen lassen, dann das Level bis 25 oder 30 Kilometer halten und dann darf er gerne etwas hoch. All diese Kurven haben über 40 Kilometer Gelegenheit, aus dem Ruder zu laufen und völlig irre Kapriolen zu schlagen, wenn was nicht läuft. Marathon ist ein vielfaktorielles „Problem“, und damit es was wird, müssen viele, wenn auch nicht alle Faktoren stimmen. Wenn ein, zwei zu viel nicht über mindestens 40 Kilometer passen, steht nur noch der eigene Wille zwischen einem selbst und einem „DNF“, einem „Did not Finish“, oder eine „DSQ“ (Disqualified). Mein Wille stand dazwischen und das ist etwas, das mich viel stolzer macht als ein locker gelaufener 3:05er-Marathon. Der kommt vielleicht noch. Viele sagen: „Bestimmt!“, ich sage: „Vielleicht!“. Wie man auf dem Bild unten, nach dem Duschen sieht, bin ich nicht enttäuscht, im Gegenteil. Und das reicht mir.

[KuK] Ready to Run

Rucksack mit Wechselklamotten (Shorts, Socken, Sport-BH, Unterhose, Trikot), warmen Überziehern (Windbreaker, Radjacke, Stulpen), Nachmarathon-Notverpflegung (Molkeriegel, Maske, Blasenpflaster), sicherheitshalber noch Tape und Schere sowie Sonnenbrille. Trinkgürtel mit Flaschen und zwei Gels. Wechselschuhe und Beutel dafür, Rennschuhe mit Sensoren und Chip. Klamotten für den Lauf (Trikot, Sport-BH, Unterhose, Shorts, Socken). Haargummis. Zinksalbe, mit der ich gute Erfahrungen für voraussichtliche Scheuerstellen habe.

Ruanjik, Lyn, Rocky und Xue überlegen, ob noch was fehlt, aber das Handy kann erst morgen früh dazu, Geld und das restliche Gepäck bleibt beim Ehewolf bzw. an der Hotelrezeption untergestellt.

Ready to go

Gestern hatte ich nochmal Kopfschmerzen – der Mittwoch war lang, dazu hat das Wetter leicht gewechselt, in Richtung Tiefdruck. Ein bisschen macht mir Gedanken, dass die Resistenz gegen die Wetterfühligkeit im Moment nicht so richtig gut ist, aber ich hoffe auf etwas ruhigere Zeiten auf der Arbeit.

Nun habe ich bis auf Kulturbeutel und Plüschtiere meinen Rucksack schon gepackt. Das Zugticket ist gekauft, das Hotel reserviert, die Bestätigung der Anmeldung zum Marathon mit Update der Zeiten, wann die Nummer abgeholt werden kann, ist auch schon da.

Ich habe einen modifizierten Greif-Countdown durchgezogen, habe mich 18 Wochen mit der Grundlage, 8 Wochen mit dem Aufbau und 3 Wochen mit dem Feinschliff beschäftigt. Nicht immer lief alles glatt, aber alles in allem habe ich in allen Phasen des Aufbaus jeweils über 90 % meines selbst beschriebenen Solls erreicht, trotz ein paar psychischen und physischen Rückschlägen auf dem Weg.

Ob mein Ziel der 3:05er-Zeit beim Marathon möglich sein wird, steht trotzdem noch in den Sternen. Ich habe getan, was ich konnte, um mich vorzubereiten und bereit zu sein. Rückschläge habe ich weggesteckt. Meine Garmin-Uhr prognostiziert 3:22:55, aber das kann ich getrost als völlig albern abtun. Ich habe die Zehner- und Halbmarathon-Prognosen der Uhr in den letzten Wochen mehrfach massiv unterboten, so dass ich dieser Prognose gelassen begegnen kann. Die Prognose meines Stryd von 2:55:23 halte ich in die andere Richtung für ähnlich albern – so schnell werde ich nicht sein. Ganz bestimmt nicht! Einige erfahrene Läufer, denen ich Ausschnitte meines Trainings gezeigt habe, halten mich für bereit, unter drei Stunden zu laufen. Ich selbst denke nicht, dass das gehen wird. Aber im Bereich zwischen 3:03 und 3:10, ja, das fühlt sich nach einer Mission an. Ich werde im Bereich 4:20/km oder etwas langsamer anlaufen und schauen, was passiert. Wenn ich die 4:20/km durchhalte oder gar schneller werde, sind die 3:03 unterboten, aber das sind alles Spekulationen.

Das Ziel für Sonntag lässt sich mit einem Fallback-Ziel (unter 3:15), einem Ziel für den Fall, dass es so lala läuft (unter 3:10, also neues PB – die Vorbereitung sollte das hergeben), einem Nominalziel (3:05 knapp unterbieten) und einem Maximalziel (3:03 unterbieten – und somit die Bestzeit des schnellsten Marathonis in meinem Sonntagslauftreff schlagen) charakterisieren.

Ich war noch nie so gut, so systematisch, fokussiert auf einen Marathon vorbereitet. Aber ich habe auch noch nie so für mein Gefühl wenig konservative Ziele formuliert.

Es ist ein Experiment. Jedes Mal. Und dieses Mal für mich ganz besonders. Noch 48 Stunden, dann stehe ich an der Startlinie. In 52 Stunden sollte ich schlauer sein.

Entwicklung

Seit geraumer Zeit laufe ich Wettkämpfe – der erste war der B2Run in Karlsruhe im Jahr 2009. Damals bin ich noch nicht wirklich so viel oder schnell gelaufen, und detailliert aufgezeichnet habe ich auch noch nicht. Es ging in erster Linie darum, Kopfschmerzen los zu werden. Aber ich stolperte mittenrein in eine Mannschaft meines Instituts am KIT, damals noch…

Dann kamen ein paar Läufe für die oder bei der Uni Stuttgart, auch auf krummen Strecken: fünfeinhalb, sieben, zwölf, sechs und nochmal zwölf Kilometer. Tja, und dann, 2017, folgte der erste Halbmarathon. Danach bewegte ich mich weiterhin auch auf „krummen“ Strecken: zwölf und knapp über zwölf Kilometer, die Badische Meile… aber eben auch auf den „geraden“ oder „offiziellen“ Distanzen von fünf, zehn, fünfzehn und zwanzig Kilometern sowie auf den 21,1 Kilometern Halbmarathon und auf den 42,2 Kilometern Marathon. Ich hatte mir auf die Fahnen geschrieben, die gesamte Entwicklung für mich selbst darzustellen, unabhängig von all dem Training. Dafür habe ich eine „Korrektur“ oder eine „Umrechnung“ auf das Zehn-Kilometer-Wettkampftempo mithilfe einer Formel eingeführt und das Ganze dann aufgetragen. Dieses Diagramm habe ich hier schonmal gezeigt:

Wie man sieht, habe ich anfangs eher herumgespielt, ab 2017 gab es dann eine deutlich sichtbare Entwicklung, die dann auf recht hohem Niveau, also recht schneller (ergo: zahlenmäßig niedriger) Pace in Minuten pro Kilometer stagnierte. Viel mehr rauszuholen ist im Moment nicht drin, die Schritte werden notgedrungen etwas kleiner. Irgendwann wird vielleicht der Wunsch entstehen, ein neues Diagramm einzuführen – auf zehn Kilometer und auch alterskorrigierte Leistung. Aber so weit ist es noch nicht!

Das Modell, das ich für die Korrektur auf das Zehn-Kilometer-Wettkampftempo benutze, seht Ihr im untenstehenden Diagramm aller meiner Wettkampfzeiten:

Blaue Punkte sind Wettkämpfe, blaue Rauten mit rotem Rahmen sind persönliche Bestleistungen, grün hinterlegte Symbole sind Leistungen, die aus der aktuellen Wettkampfsaison stammen. Alle Wettkampfzeiten wurden auf die Zeit pro Kilometer, die „Läufereinheit“ der Pace oder des Tempos gerechnet, also „Minuten pro Kilometer“. An die persönlichen Bestzeiten, die hoffentlich mein Potential so gut es geht abdecken, habe ich sowohl die auf Pace umgerechnete Kurve nach Steffny und Riegel (Zeit entspricht einem der individuellen Leistung entsprechenden Vorfaktor mal der Wettkampfdistanz hoch 1,07 – hier natürlich auf Pace umgerechnet) als auch eine Parabel angepasst, mit Hilfe einer Least-Squares-Methode. Für die Korrektur meiner Wettkampfzeiten auf Zehn-Kilometer-Tempo benutze ich jeweils das aktuell „bessere“, also eine niedrigere Summe der quadratischen Abweichungen liefernde Modell.

An sich funktioniert das gut und macht mich auch glücklich. Aber das Modell ist komplex und daher ein bisschen fehleranfällig. Die meisten von Euch werden wahrscheinlich sagen: „Hä? Keine Ahnung, was Tally da rechnet, kann alles rauskommen!“ Würde ich so nicht sagen, aber ich verstehe Euch natürlich. Deswegen habe ich mir nun eine etwas griffigere Darstellung ausgedacht:

Somit ist hier nun zu sehen, wie sich auf Marathon, Halbmarathon und den „geraden“ Distanzen meine Leistung entwickelt hat. Ich schreibe meine Liste, damit auch die beiden obigen Diagramme und auch die sechs hier gezeigten Diagramme mit jedem Wettkampf fort – und bin nun wirklich gespannt, wie sich das obere, linke Diagramm für den Marathon mit dem Wettkampf in Regensburg weiter entwickelt. Vielleicht gibt es ein neues Personal Best (also im zweiten Bild dieses Beitrages eine neue rot-blaue Raute, derzeit grün hinterlegt) auf der Marathon-Linie, und vielleicht geht die obere, linke Linie noch ein bisschen weiter runter.

Vielleicht auch nicht. Man wird sehen.

Stay tuned!

Relativ

Gestern gab es für mich einen Moment, in dem ich mich mit Relativität befasst habe. Dabei ging es nicht um Physik, nicht um die spezielle oder die allgemeine Relativitätstheorie.

Wir trafen uns für eine Vorbesprechung. Morgen werden im Dammwald zwischen Bietigheim und Ötigheim die dort ausgewiesenen Laufstrecken eingeweiht. Es gibt die braune mit 3,8 Kilometern, die grüne und die blaue mit je knapp über vier Kilometern und eine orange mit 6,6 Kilometern Länge. Damit die angemeldeten Leute und vor allem auch die Kinder des auf reduzierter Strecke stattfindenden Schülerlaufs sich zurechtfinden, niemandem etwas passiert und wenn doch, ein ortskundiger Läufer oder eine ortskundige Läuferin dabei ist, der oder die auch weiß, wo der nächste Posten für erste Hilfe zu finden ist, braucht’s für so eine Veranstaltung natürlich einen Haufen Guides und Streckenposten. Da bin ich dabei.

In dieser Runde unterhielt ich mich nun mit einigen Leuten – zwei meiner Trainingspartner sind dabei, drei weitere Leute aus unserem Lauftreff, zwei weitere Läufer aus dem Ort. Die wissen natürlich, was ich so derzeit mache – Marathontraining und so. Ein engagierter Herr, ebenfalls in Laufsachen, ebenfalls zum Veranstaltungsort gelaufen gekommen, berichtete über seine derzeitige Laufleistung – und dass er mal Halbmarathon vorbereitet habe und auch gelaufen sei. In diesem Jahr hatte er es auf eine Laufleistung von 800 Kilometern gebracht.

Ich sagte einfach nichts dazu. Ich finde durchaus, dass 800 Kilometer in einem Jahr zu laufen eine respektable Leistung ist. Man gehört sicher zum aktiveren Viertel, vielleicht zum aktivsten Zehntel der Deutschen, wenn man das tut. Mein Laufpartner sah meinen Gesichtsausdruck und brachte zum Ausdruck, dass „manche darüber nur müde lächeln könnten“. So hätte ich es nicht ausgedrückt, aber tatsächlich war 2016 das letzte Jahr, in dem ich weniger als 1000 Kilometer gelaufen bin.

Es ist ja nun nicht so, dass ich nicht prinzipiell wüsste, dass auch unter aktiveren Menschen 1000 Kilometer Laufen in einem Jahr, gar über 2000 oder sogar über 3000 Jahreslaufkilometer eher viel sind. Ich kenne Leute, die laufen über 5000, über 6000, ja über 7000 Kilometer im Jahr – meist nicht besonders schnell, es sind auch keine Profis, es sind einfach nur ein bisschen verrückte Menschen, für die das Laufen ein Ausgleich, eine Hilfe, ein Lebens-Strukturgeber ist. Ich hab’s lediglich im letzten Jahr, bevor ich wieder das Radfahren anfing, einmal über 4000 Kilometer gebracht.

An dieser Stelle setze ich mir einen Haltepunkt. Ich spüre die Schere, die aufgeht, in den Worten meines letzten Absatzes. Klein-Tally sagt sich: „Hey, gegen diese coolen Leute, die 40 Kilometer täglich abspulen, um für eine Ultra-Challenge unterwegs zu sein, oder die 7000 Jahreskilometer laufen, einfach nur, weil es ihnen gefällt, oder die Lauf- oder Skate-Streaks von vierstelligen Tageszahlen abliefern, bin ich ein ganz kleines Licht.“ Aber das trifft die Sache nicht. Erstens betreibe ich ein konsequentes, nicht rein umfangorientiertes Training, das an vielen Stellen mit viel Analyse betrieben wird, zweitens ist meine Laufleistung mit im Schnitt 10 Kilometern am Tag nicht im Bereich des laufverrücktesten part-per-million in Deutschland, aber wohl doch vielleicht im Bereich des laufverrücktesten Prozent, vielleicht sogar im Bereich des verrücktesten Prozents der Läufer. Es ist also gar nicht so unwahrscheinlich, in einer Gruppe von 20, 30 Leuten, die sich als Lauf-Guides für so ein Einführungsevent für abgesteckte Laufstrecken bereit erklären, die mit den meisten Jahreskilometern und vielleicht auch die mit den schnellsten Langstrecken-Zeiten zu sein.

Wie viele sehr reiche Menschen in Deutschland, die sich als „eher in der Mitte“ empfinden, betreibe ich instinktives Understatement. „So schnell bin ich doch gar nicht, so viel laufe ich doch gar nicht.“ Doch, tue ich. Warum also dieses Understatement? Weil ich einerseits verdammt stolz drauf bin, was ich mit dem Sport inzwischen erreicht habe, aber andererseits mich auch sehr dafür geniere, darauf so stolz zu sein.

Welchen Sinn hatte dieser Beitrag nun?

Keine Ahnung.

Aber löschen werde ich ihn nun doch nicht mehr.

32. Badische Meile

Die Badische Meile… konsequent liegt sie eigentlich zu knapp vor meinem Frühjahrsmarathon. Wäre ich in Mannheim gelaufen – wie letztes Jahr – wären’s sechs Tage von den schnellen 8,88889 Kilometern „Spaßlauf“ bis zum Marathon. Dieses Jahr findet Mannheim nicht statt, so sind es 14 Tage bis Regensburg. Das ist schon besser, aber eigentlich auch nicht optimal. Dennoch…

Ich laufe sie, die Badische Meile. Mein Lauftreff vom Regierungspräsidium, nach Corona sogar als Ansprechpartnerin so ein bisschen richtig „meiner“, tritt dort an, und etliche weitere. Ich organisiere das Gruppenfoto, ich habe dort schon tolle Läufe erlebt. Die Leute vom Sonntagslauftreff der LG Hardt, die Leute vom Oberwald parkrun, viele weitere Laufbekannte treffe ich dort. Natürlich laufe ich die Badische Meile. Zu kurz und zu schnell vor dem Marathon? Klar, aber was soll’s! Ich bin kein Profi, ich lebe nicht davon, Laufen ist für mich Freude und Gesellschaft, und das erlebe ich bei der Badischen Meile, dieser irren Distanz knapp unter den zehn Kilometern.

Nach dem fünften Platz letztes Jahr, 34:21 mit dem ersten Wettkampf auf Altra Vanish Carbon, meinem ersten Carbon-Schuh überhaupt, hatte ich große Ziele. Freilich, ich habe immer betont, vor dem Marathon sei die Badische Meile nur „Spielerei“, wichtig sei mir der Marathon. Das ist – im Verhältnis – auch so, dennoch spielt das Ergebnis bei der Badischen Meile für mich eine Rolle. Aber genau deswegen habe ich auch gesagt, als ich am Donnerstag im Lauftreff nach dem Umgucken zu einem wohl sexualisiert gemeinten Hupen stolperte und fiel: „Lieber 72 Stunden vor der Badischen Meile als 72 Stunden vor dem Marathon!“ Noch am Freitag hatte ich Befürchtungen, die Mittelhand sei gebrochen, noch am Samstag litt ich mit einer Mischung aus Wetterfühligkeit und sturzbedingten Verspannungen unter einem Kopfschmerzanfall mit Schmerzintensität bis zum Erbrechen, musste gemeinsames Laufen und eine Geburtstagsfeier absagen.

Aber Sonntagfrüh ging’s besser, die Hand war abgeschwollen, der Glaube an eine Prellung statt Bruch nicht nur verzweifeltes Festhalten, sondern fast schon Gewissheit. Freilich, ich wusste: Die Flüssigkeitversorgung nach dem schlimmen Samstag war nicht optimal. Der Traum, die Zeit auf der Badischen Meile unter die 34 Minuten drücken zu können, ausgeträumt. Aber laufen wollte ich – und schnell laufen wollte ich auch, nur vielleicht nicht so schnell wie erhofft. Als wäre es noch nicht genug, hatte mein Glücksbringer, mein größter Fan, nun selbst Kopfschmerzen und musste im Bett bleiben. Meinem Schatz Holger ging es im Laufe des Vormittags wieder besser, aber zum Lauf kommen konnte er dennoch nicht. Ich hatte aber trotzdem, passend zum Sponsor der Badischen Meile, meine Puma FastR Nitro Elite Carbon eingepackt und trug zu den Transfers zum Lauf und wieder heim meine Puma Liberate Nitro.

Das Foto der Gruppe vom Regierungspräsidium organisierte ich dann in üblicher Manier – ich war im Auge des Sturms: Alle sammelten sich um mich, unversehens war ich der Mittelpunkt, jeder redete mit mir. Im Sport Löwen Trikot war zudem mein ganz persönlicher Zeit- und Platzierungsansager sowie Fotograf Nobse auf Inline-Skates gekommen, der schoss nach dem ersten Foto ohne mich auch unser großes Gruppenfoto vom Regierungspräsidium Karlsruhe. Dann gab ich mein Gepäck ab, unterbrach noch rasch meine Suche nach einer Toilette für das Foto des Oberwald parkruns und fand schließlich doch noch ein stilles Örtchen, um mich vor dem Lauf noch zu erleichtern. Und dann ging es auch schon los.

Mit 3:50/km schoß ich auf die Strecke, das war etwas zu schnell, das war mir auch klar. Aber was mit dem Kopfschmerz vom Vortag, den Blessuren gehen würde, war unklar, also hakte ich für mich selbst eine sinnvolle Renntaktik direkt beim Loslaufen ab. Juchheia, auf ins Verderben! So schlimm war’s dann aber doch nicht, ich konnte mich noch lange ganz gut an Emma Simpson Dores Rücken orientieren. Wenn ich Emma vor mir sehe, weiß ich: „Du bist schnell, vielleicht ein bisschen zu schnell, aber nicht VIEL zu schnell.“ Das hielt ich, auch noch, als ich beim Herauslaufen aus dem Straßentunnel der Kriegsstraße realisierte, dass ich wirklich die Flüssigkeitsreserven nach dem Kopfschmerz nur oberflächlich hatte füllen können. Nein, in den Schmerz musste ich nicht gehen, aber dass es zu warm war, um nach so einem gestrigen Tag dieses Tempo durch zu laufen, das war auch unmissverständlich klar. Ich klammerte mich daran, Emma nicht aus den Augen zu lassen. Vermutlich wirkte ich so wie im Tunnel, dass Nobse mir beim Queren der Kriegsstraße Richtung Bahnhof zurief: „Emma ist in der Gruppe vor Dir!“ Ich antwortete, das wisse ich, er bekundete, das sei gut. Ich glaube, den einen oder anderen hat dieser Support beeindruckt oder belustigt.

Foto: Norbert Raufer.

Ich hatte Emma auch bei Kilometer sechs noch im Blick, als Caroline Grauer, wie Emma von der LG Region Karlsruhe, an mir vorbeizog. Im Bild sehr Ihr mich mit der Nummer 88, zu diesem Zeitpunkt war Caroline schon vor mir. Langsam, aber sicher machte sie weiter Boden gut. Dass Caroline Emma noch überholt hat, passierte außerhalb meiner Sicht. Mein Tempo fiel – nicht sehr, aber es fiel. Das war nicht schlimm – freilich, gute Renntaktik ist es, in der zweiten Hälfte schneller werden zu können. Aber wenn man nicht weiß, was geht, weil Unvorhergesehenes passiert ist, dann läuft’s halt anders. Am Beiertheimer Friedhof brüllte mir Nobse Ermutigungen zu, und ich konnte nur erwidern, es ginge nicht schneller – aber er brüllte, es sei super, was ich tat – und auf der anderen Straßenseite feuerte mich die Leiterin meines früheren Referats am RP an. Nur noch zwei Kilometer, und ich wusste, hart würde es bei Kilometer acht, 900 Meter vor Schluss: Harte Rechtskurve, 150°… und direkt danach 10% Steigung. Das ist so ein richtiger Brecher, aber hey, wenn ein Sturz mich nicht bricht, was ist dann eine Steigung? Danach ging es mir jedenfalls richtig gut, weil das Schlimmste überstanden war, auch wenn mir hier die Anstrengung noch ins Gesicht geschrieben steht:

Im Stadion schließlich übersprinteten mich noch zwei Jungs, aber das war mir völlig egal. Ich hatte gegeben, was ich hatte, und über dem Zielbogen standen 34:18, als ich ihn das erste Mal sah. Bis ich drunter durchlief, tickte das hoch auf 34:31, aber wen interessieren zehn Sekunden schlechter als letztes Jahr, wenn es unter solchen Bedingungen erlaufen wird? Da ist auch egal, dass ich wirklich langsamer geworden bin – die noch nicht ganz wieder gefüllten Flüssigkeitsspeicher und die Hitze waren echt hart.

Die offizielle Zeitmessung sah mich dann auch bei 34:28, gerade mal sieben Sekunden schlechter als letztes Jahr, Platz 6 hatte ich erreicht. Insgesamt ein ziemlich gelungenes Rennen für die Umstände – berücksichtigte man die Umstände nicht, so wäre ich enttäuscht. Aber ich rate ja immer jedem, der es hören will (oder auch nicht hören will), sich nur an seinem früheren Selbst unter Berücksichtigung aller Umstände zu messen – und wer bin ich, Tally zu widersprechen?

Und so habe ich ein „Yay!“ für meine 32. Badische Meile. Das war richtig klasse, und all die schönen Gespräche, das Zusammensein danach, mit den RP-Laufkollegen, den parkrunnern und den Lauftreff-Kameraden, ja, das war großartig und wunderschön. Laufen ist einfach meine Leidenschaft!