Pride und Demut

Ich weiß nicht, ob es den Eindruck macht, dass ich ein Geheimnis draus machen würde. Eigentlich ist das nicht meine Absicht. Aber ich fühle mich normal, selbst wenn es um Themen geht, die… naja, mir meine Unvollständigkeit in mancher Hinsicht vor Augen führen.

Wenn es zum Beispiel um’s Kinderkriegen geht, oder um die Periode. Man mag mir sagen, dass das Erstere mir nicht möglich ist, solle ich bedauern, das Fehlen der Letzteren solle mich freuen. Aber es hilft nichts, das gehört zusammen, und da ich eine männliche Pubertät durchlebt habe, so falsch sich das auch anfühlte, ist beides außer Reichweite. Ich habe vielen Gedanken zu diesem Thema schon vor Jahren, als die AfD erfolgreicher wurde und als Donald Trump mit (neben vielem anderen auch) trans-feindlicher Agenda US-Präsident wurde, in einem Post Ausdruck verliehen. Das ist natürlich noch nicht alles, ganz ohne das Trans-Thema fülle ich (weiterhin ohne das Buch zu kennen, das ich in dem Post zitiere, und mittlerweile auch mit einem gewissen Widerwillen gegen den Autor) in einer Meditation über mich diverse Rollen teils oder ganz aus.

Nun lese ich in den Messages einer Freundin, dass es mit dem Selbstbestimmungsgesetz vorangeht und das freut mich. Mein Weg war anstrengend, ich bin ihn neben der Promotion gegangen, und das war hart. Wenn man in anderthalb Monaten medizinische Gutachten zusammensammelt, um eine OP bewilligt zu bekommen, und fast vier Monate nach Einreichen beim medizinischen Dienst der Krankenkassen nochmal zum Vermessen der Dinge, die man eigentlich loswerden will, zum Arzt geschickt wird, da das Gutachten ja „ein halbes Jahr alt“ sei, dann schlaucht das. Wenn der bürokratische Prozess daneben leichter wird, ist das ein Fortschritt. Die Hürden sind weiterhin hoch genug, und auch wenn das eine unbeliebte Meinung ist: Das ist auch gut so. Geschlechtsidentität ändern, selbst wenn man es unbedingt braucht, um zu überleben, ist ein hartes Ding. Zum Glück zeigen Zahlen aus Ländern, in denen der bürokratische Prozess des Änderns der Geschlechtseinträge einfacher sind, dass sich auch dort nicht mehr Leute auf diese Achterbahn bewegen, es nur für die, die es brauchen, außen leichter ist. Innen ist es, so überlebensnotwendig es auch sein mag, immer sauschwer.

Ich beende mal den impliziten Klammertext: Hier ist die Freude, der „Pride“-Moment. Yay für das Selbstbestimmungsgesetz!

Aber so einfach ist es natürlich nicht. Nicht nur die oft beschworenen, an vielen Stellen der „Pride“-Gemeinde verhassten „TERFs“, sondern auch andere Stellen wägen Schutzräume für Transpersonen und Schutzräume für Frauen gegeneinander ab. Und ich kann das auch verstehen! Der Welt-Leichtathletik-Verband hat diese Woche einerseits die „Lex Semenya“, also den Bann von zu hohen Testosteron-Werten bei einer bestimmten, als weiblich anerkannten Form von Intersexuellen auf der Mittelstrecke auf alle Disziplinen ausgeweitet. Testosteron wirkt ja tatsächlich leistungssteigernd und kurbelt das Muskelwachstum an. Es ist also verständlich, dass man für eine gewisse Zeit vor und auf jeden Fall zur Zeit des Wettkampfs im Elite-Bereich bestimmte Testosteron-Levels unterschritten haben muss, um im „Schutzraum“ für Frauen antreten zu dürfen. Auch körperliches Geschlecht ist ein Spektrum, und so schmerzhaft das ist, muss zum Erhalten eines Schutzraums die Grenze irgendwo im Spektrum gezogen werden. Im Zuge dieser Entscheidung wurde auch festgestellt, dass man mangels Elite-Athleten mit transsexuellem Hintergrund (der Welt-Leichtathletik-Verband schreibt „transgender“) keine Daten habe, ob es reiche, dieselben auf Testosteron-Werten basierenden Ausschlusskriterien auch für Transsexuelle auszusprechen, oder ob man die männliche Pubertät der wesentliche Faktor sei. Zur Klarstellung: Die Athletinnen wie z.B. Caster Semenya haben aufgrund des auch körperlich nicht immer ganz eindeutigen Geschlechts Drüsen, die Testosteron produzieren und – so genau habe ich das nicht verstanden – innen liegenden Hoden ähneln oder solche sind. Sowas haben Post-Op-Transsexuelle nicht. Daher hatte ich immer gedacht: „Hey, das betrifft mich alles nicht…“ Und nun bannt der Welt-Leichtathletik-Verband – genau wie der Welt-Schwimm-Verband – Transfrauen generell von Elite-Wettkämpfen. Man wisse halt nicht, ob’s an der männlichen Pubertät liegt oder an den Hormonen.

Ich kann das verstehen. Der Schutzraum für Athletinnen und deren Leistung betrifft VIEL mehr Leute. Seine Grenze sauber zu formulieren, und fair zu bleiben, ist nicht einfach, und wenn da eine Minderheit runterfällt, bis man mehr Daten hat, nimmt man das in Kauf. Schließlich haben die auch eine Kommission aufgesetzt, um zu prüfen, ob es mit den Hormon-Grenzwerten getan ist. Aber bis das geklärt ist, sind Transfrauen bei Elite-Wettkämpfen in der Leichtathletik raus. Ist halt ein bisschen blöd, wenn man selbst zu dieser Minderheit gehört…

Aber was der Verband schreibt, ist ja auch richtig: Der Schutzraum ist wichtig und auf Elite-Ebene gibt es derzeit keine Transfrauen. Mich schon gleich gar nicht, mit Meisterschaften habe ich nichts zu tun. Ich bin schnell, freilich, aber ich habe keine hohen Testosteron-Spiegel. Als ich vor der großen OP das letzte Mal sowas hatte, boah, die Aggression! Ich würd’s spüren und messen kann man es auch. Aber ich bin nicht so schnell. Zudem trete ich nur bei stadionfernen Events an, also bei Volksläufen, für die man keine Verbandszugehörigkeit braucht, bin Hobbyläuferin, keine Amateurin. Der deutsche Verband empfiehlt, bei solchen „stadionfernen“ Veranstaltungen die Inklusion oberstes Gebot sein zu lassen, während bei stadionnahen, Eliteveranstaltungen, die dann auch zu Meisterschaften führen und irgendwie eine Registrierung beim Verband oder einem Verein im Verband erfordern, wo also Amateure und Profis antreten, natürlich die Regeln für Elite-Leute gelten.

Es betrifft mich also nicht. Allerdings kann ich mir schon vorstellen, dass irgendwo irgendwer durch mein mit hartem Training systematisch erarbeitetes Tempo neidisch wird und dann wird es ein Thema, ob’s in meinem Falle auch auf die Ebene „stadionfern“ runter gebrochen wird. Seid gewiss, ich bin drauf gefasst. Aber so lange die Regeln erlauben, dass ich dort antrete, wo ich glaube, nur mein systematisches Training als Vorteil zu haben, werde ich das tun. Ich laufe für persönliche Bestzeiten, für die Überwindung meiner Grenzen, nicht für Platzierungen. Die machen Spaß, sind aber nicht meine Motivation. Hier also Demut, aber nicht zu viel.

Am Ende des Tages sind wir, wer wir sind. So lange die Regeln sind, wie sie sind, brauchen wir nicht vorauseilend gehorsam uns zurücknehmen. Aber wenn die Regeln da sind, wenn sie auf Fakten (oder auf Vorsicht wegen Unkenntnis und einer Abwägung der Konsequenzen) basieren, dann ist es an uns, zu helfen, Daten zu liefern. Wohl denen, die nicht laufen, schwimmen, radeln, anderen Sport tun, um andere auszustechen, sondern die das tun, um über sich hinaus zu wachsen, um ihrer selbst willen.

3 Kommentare zu „Pride und Demut

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