Born to Run – meine erste Annäherung

Vor einiger Zeit habe ich auf Ma Sans Blog über das Projekt „10km in unter 40 Minuten“ die Kommentarspalte gefüllt. Im Zuge dessen empfahl er mir das Buch „Born to Run“ von Christopher McDougall. Für mich ganz klar: Ich wünsch’s mir zum Geburtstag! Und zum Geburtstag bekam ich es auch – mittlerweile habe ich es das erste Mal ausgelesen. Vermutlich werde ich es über die Zeit hinweg wieder lesen, denn es ist mit dem Buch wie mit „Es gibt hier nur zwei Richtungen, Mister“ von Reinhold Ziegler: Ich werde wohl bei jedem Lesen etwas Neues entdecken, da viel drinsteckt, das Buch aber auch das anspricht, was sich in mir verändert und entwickelt. Das allein ist schon einmal ein Prädikat.

Dennoch soll das hier keine Rezension sein, eher ein Erlebnisbericht vom (ersten) Lesen. Born to Run hat mich recht schnell eingefangen. Kein Wunder, das Laufthema ist ja durchaus meins. Aber auch der Aufhänger an der simplen Frage „Warum tut mein Fuß weh?“, die McDougall stellt, kommt gut. Wie ihm Ärzte sagen, der Mensch sei biomechanisch nicht zum Laufen gemacht, da spüre ich seine Skepsis im Buch – und mir rollen sich bei diesen Aussagen die Fußnägel hoch. Natürlich kommt auch dieses Thema im Buch zur Sprache, aber der zentrale Kern des modernen Menschen ist, dass er ein Ausdauerjäger ist! Alles an uns ist auf Langstreckenlauf ausgerichtet. Wir sind keine guten Sprinter, im Verhältnis zu anderen Lebewesen, wir sind Langstreckler. Das war mir schon vorher klar, aber die Erkenntnis wurde von dem Buch weiter gefestigt. Was mir neu war, und was ich klasse fand: Das Buch stieß mich auf Dinge, die sehr offensichtlich sind, einem aber nie auffallen: 

  • Wir Zweibeiner haben Atemrhythmus und Schrittfrequenz voneinander entkoppelt. All die vierbeinigen Läufer – Sprinter wie der Gepard ebenso wie eher ausdauernde Räuber wie der Wolf (und natürlich deren Beute) haben eine biomechanische Verbindung von Schritt und Atemzug. Wir nicht! Wir können also einen Laufstil pflegen, bei dem wir schnellere Schritte auf den Boden trommeln, als unsere Lungen atmen.
  • Wir nackten Affen geben Wärme über die Haut ab. Toll, oder? Ja, verdammt toll! Denn andere Tiere – alle anderen Tiere – geben Wärme vor allem über das Atmen ab, Wärme- und Sauerstoffhaushalt sind also fest gekoppelt, und dann ist das Ganze noch an die Schrittfrequenz gebunden… das funktioniert natürlich bei manchen Temperaturen SUPER, aber bei allen anderen nicht so gut. 

Beide Aspekte hat natürlich nicht Christopher McDougall herausgefunden, aber er zitiert Wissenschaftler, die sich damit beschäftigen – und damit ist klar: Himmel, verdammt, natürlich! Wir sind Ausdauerläufer, denn wofür sonst musste die Evolution bei uns Wärme- und Sauerstoffhaushalt voneinander und von unserem Vortriebswerkzeug entkoppeln? Dann ist da noch die Sache mit den Füße, Knien, Beinen allgemein. Läufer sind dauernd verletzt, ja? Bessere Schuhe = weniger Verletzungen? Ist das so, fragt Christopher McDougall im Buch und liefert die Antworten, allerdings auch „nur“ als Zitate: Einerseits von renommierten Ärzten, andererseits von einem seiner Weggefährten bei dem Rennen in Mexico, um das es – nun, scheinbar? – eigentlich geht. Laufen wir auf der Ferse, mit viel Dämpfung und so weiter, dann laufen wir in einer Weise, für die unsere Füße nicht gemacht sind. In der Gestalt von „Barefoot-Ted“, unterfüttert mit ein paar Zitaten, bricht McDougall die Lanze für’s Barfußlaufen und den damit gekoppelten Vorfußlauf mit Aufkommen auf der Ballen-Außenkante und Abrollen und Abdrücken über die Zehen. Das wiederum war mir nicht neu, nicht im geringsten. Ich habe auf meinen ersten Mizuno WaveRiders gelernt, so zu laufen, das Ganze auf Vibram Fivefingers kultiviert und bin darüber schneller, verletzungsresistenter und glücklicher mit dem Laufen geworden. 

Aber ich schweife ab, was für Läufer glaube ich bei „Born to Run“ nicht ungewöhnlich ist. Was Christopher McDougall erzählt, ist nämlich eine Mischung aus eigenem Finden zum Langstreckenlauf, einer Verneigung vor etlichen Ultra-Marathonläufern und einer Annäherung an die Lebensweise eines Volkes, das nie verlernt hat, wie man läuft. Dabei geht es um Laufstil, um unsere Biologie des Laufens (siehe oben), um Ernährung, natürlich um die Tarahumara bzw. Ráramuri und um die Läuferszene. Es ist spannend, wie charakterzentriert er erzählt, immer wieder auf Exkurse über die Läufer geht, die dann später zur Geschichte gehören, oder teils auch bereits kurz eingeführt wurde. 

Was „Born to Run“ vielleicht nicht ist: 

  • Eine Anleitung zum Laufen. Es ist aber eine Erzählung vom zum richtigen Laufen angeleitet Werden.
  • Eine Abhandlung über Tarahumara-Kultur. Es weckt aber das Interesse an diesem Läufervolk und kann zumindest als Reportage dienen.
  • Eine Charakterisierung der Langstreckenläufer-Subkultur. Aber es zeigt an einigen Ereignissen und Läufern vieles davon auf. 

Spannend zu lesen ist es, macht Lust auf mehr und hat zumindest mir sehr viel Spaß gemacht. Ich habe dann durchaus mal die Protagonisten gegooglet und zumindest bei einer der Personen ein Follow auf Twitter gelassen. Ich glaube, es könnte auch Nicht-Läufern gefallen, aber auch ein schlechtes Gewissen machen. Denn das ganze Mantra, der Mensch sei eigentlich nicht zum Laufen geschaffen und wenn doch, dann nur mit was-weiß-ich-für raffinierten Schuhen, ist genau das, das Christopher McDougall erzählt, vorgebetet bekommen zu haben – aber er hat es nicht geglaubt. 

Am Ende ist es (ganz abseits des Buches) unbequem, dass wir eben doch durch das Laufen – das Ausdauer-Langstrecken-Laufen zwecks Jagd – körperlich und geistig zu dem geworden sind, was der Mensch heute ist. Denn wir sind „Born to Run“, geboren, um zu laufen. Schuhe, die die Füße vor spitzen Steinen schützen, vor Scherben und dergleichen, sind eine tolle Sache. Aber wenn wir oft verletzt sind, liegt das meistens eher an zu viel Schuh und nicht an zu viel Laufen. Und genau an diese Dinge führt Christopher McDougall uns heran, wobei er die Geschichten von „Caballo Blanco“, den Tarahumara und Ultraläufern wie Scott Jurek, Barefoot Ted oder Jenn Shelton, Ansichten und Erkenntnisse von Biologen und Ärzten sowie ein nacherzähltes Erlebnis einer Ausdauerjagd der Buschleute in Namibia als Zeugen aufruft.

Ich jedenfalls fand’s klasse!

8 Kommentare zu „Born to Run – meine erste Annäherung

  1. Mich hat das Buch ebenfalls begeistert, obwohl ich normalerweise als Läuferin einen weiträumigen Bogen um die meisten Bücher über das Thema Laufen mache. Liebe Grüße, Annette

    1. Ich muss sagen, neben dem Nachschlagewerk „Laufen!“ von Aderholt und Weigel bin ich bisher auch eher nicht so auf Laufluteratur gesprungen. Aber „Born to Run“ ist halt technisch, frisch – und kein Sachbuch im eigentlichen Sinne. Es fängt auch ein Gefühl ein… und das macht es anders. Erst recht, da McDougall sich zurücknimmt und von Caballo Blanco erzählt, von Scott Jurek, Jenn Shelton, Billy Barnett, von den Tarahumara… und eben nicht eine Anleitung zum Laufen oder seinen eigenen Weg über Laufen zum Leben in den Fokus stellt, obwohl ihm beides möglich gewesen wäre.

  2. Hallo Talianna,

    in der letzten Zeit las ich die Bücher „Eat and Run“ von Scott Jurek sowie „Der Aufstieg der Ultraläufer“ von Adharanand Finn. Ersterer ist ein Weltklasseathlet. Letzterer ein geübter Marathoni und Ultraläufer. Beide gehen in ihren Büchern auf Born to Run intensiv ein, was einem klarmacht, dass Christopher McDougall einen Nerv getroffen hat. Das Buch ist ja ein Bestseller und es ist zu hoffen, dass noch viele, viele Läufer dieses Buch lesen und sich grundsätzlich Gedanken machen über die Art und Weise, wie sie sich bewegen. Wenn ich mich draußen um-schaue, also sehe, wie die Leute laufen, dann stelle ich fest: Es wird sehr viel Geld für Ausrüstung ausgegeben, doch keiner hat Ahnung vom Laufstil, das aber ist doch das Allerwichtigste. In „Der Aufstieg der Ultraläufer“ redet der Autor mit Zach Miller, einem der besten Ultraläufer der Welt. Miller trägt eine 5 Dollar Casio Uhr, schenkt der Ausrüstung unterm Strick keine Beachtung und gehört dennoch zur absoluten Weltelite, auch wenn er sich die Nacht durch beim Ultramarathon Du Mont Blanc mit den besten der Welt misst. Liest man Born to Run und hatte vor-her keine Ahnung von der Thematik, wird man danach ganz sicher anders unterwegs sein als vorher. Dass du vieles oder das meiste schon wusstest, spricht absolut für dich. Doch wie gesagt, die Allermeisten haben davon keine Ahnung, sonst würde sie nicht so rumrennen, wie sie das machen. Sie alle werden eher früher als später Bekanntschaft mit Physiotherapeuten, Orthopäden und Kortisonspritzen machen, und sich in der Folge dann doch nur noch teurere, noch gedämpftere Schuhe kaufen. Und die Ärzte werden Ihnen Einlagen verschreiben und Dämpfungen empfehlen, und Kniebandagen und weiteren Mist, was nichts bringt! Denn all das wird ihre Probleme nicht lösen. All das bringt gar nichts, wenn man falsch unterwegs ist. Ich verstehe nicht, warum man dieser Tatsache nicht mehr Beachtung schenkt. Auch Steffnys Aussage dazu kann ich, so wie du, nicht nachvollziehen. Ich habe in meinem Artikel zum Barfußlaufen zwei Videos gepostet, eines von Scott Jurek und ein weiteres von McDougall. Ihre Darstellung sprechen zu 100% für den Vorfußlauf, nichts, aber gar nichts für den Fersenauftritt. Warum sagt einem das kein Orthopäde, warum sehen die natürliche Pronation als Problem an, und steuern mit Einlagen gegen? Diese Frage beantworte mir mal bitt einer!
    Wie auch immer. Es freut mich, dass dir das Buch trotzdem gefallen hat, obwohl es wenig Mehrwert für dich bot. Die Geschichte ist ja einfach unglaublich, weil es ja wirklich darum geht, welche Bedeutung das Laufen für uns Menschen hat und auch schon immer hatte, und wir es einfach nur vergessen haben. Es ist wirklich toll, die Szene, als Scott Jurek am hinteren Ende der Karavane läuft und sich McDougall fragt,. Warum er das macht, und dann zu dem Entschluss kommt, dass es nicht ums Gewinnen geht, sondern ums Mitnehmen. Einfach großartig, finde ich! Ja, und irgendwo bringt er auf den Punkt, was mir beim Laufen in kurzen Gedankenblitzen durch den Kopf geht, wenn ich mich wieder einmal sonderbar eins mit der Welt fühle und gar nicht weiß, warum eigentlich. Ja, weil wir wirklich geboren sind, um zu laufen. Von Kopf bis zur Zehenspitze dazu geschaffen. Weil uns das Laufen den evolutionären Erfolg gebracht hat. Ich finde es beängstigend, dass wir das vergessen haben! Nein, wir saßen eben nicht in Höhlen um das Feuer herum, unsere frühen Vorfahren haben sich laufend bewegt, immer zu ständig. Dass ich, dass du, dass wir beim Laufen so glücklich sind, liegt einfach daran, das wir ganz nah an unserer Natur dran sind. An dem, wofür wir geschaffen wurden!

    Liebe Grüße

    1. Lieber Ma San,
      vielen Dank für Deinen ausführlichen Kommentar – eigentlich sollte ich den, zusätzlich zu Deinem Beitrag über das Buch, auch meinen Lesern ans Herz legen – da steckt nochmal viel drin, was ich einfach nicht geschrieben habe.
      Ich könnte auf alles antworten – aber eigentlich war da oft nur ein Nicken, beim mehrmaligen Lesen Deiner Antwort.
      Nun… eines will ich schreiben. Klar gewinne ich gerne. Aber Konkurrenz darf nie den Wert des gemeinsamen Laufens schmälern. Ich habe mir mal das Mantra entwickelt: „Konkurrenten sind wir nur beim Warten auf die Siegerehrung. Auf der Strecke sind wir alle Kameraden, die den anderen mit ins Ziel nehmen wollen.“ Es spielt dabei nicht so eine große Rolle, ob wir vor oder hinter dem anderen ankommen werden, solange wir nur ein Stück gemeinsam laufen. Zwei Junge Sternchen der lokalen Leistungsförderung waren sehr irritiert, als ich mich letztes Jahr beim 20er der Winterlaufserie in Rheinzabern herzlich für den Windschatten bedankte – inzwischen bin ich zwar selbst schneller, aber mit der Sarah und der Johanna halte ich nicht mehr mit, die sind sowas von explosiv am sich entwickeln! Dieses Jahr lief ich irgendwann in eine Gruppe von einem befreundeten Verein hinein, wir kämpften zu viert – mit immer mehr um uns herum – gemeinsam gegen den Wind. Als wir dann auf der Zehner-Schleife einen Vereinskameraden gehen sahen, klopfte ihm jeder der Gruppe – seine drei Vereinsleute und ich kennen ihn, die anderen nicht – aufmunternd auf die Schulter, da er eben doch wegen der Achillessehne langsam machen musste. Diese Gemeinschaft ist es, die mich noch viel mehr auf Wettkämpfe zieht als das Sich-Messen oder Gewinnen. Und das habe ich in „Born to Run“ überall herausgelesen. Vor allem bei Scott Jurek, aber eben auch bei der Rettungsaktion für Billy Barnett und Jenn Shelton.

      Die Geschichte ist unglaublich, die Born to Run erzählt, aber ihre Komponenten sind der Stoff, aus dem auch nicht ganz so „ultraige“, passionierte Läufer gemacht sind 🙂

      Viele liebe Grüße
      Talianna

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