Seit bald fünf Jahren sind Kennzeichen aufgelöster Kreise wieder im Umlauf – genauer: Seit der Entscheidung des Bundesrats vom 25.10.2012 können die Länder die Wiedereinführung von Kraftfahrzeugkennzeichen aufgelöster Kreise beim Bund beantragen – was damals schon von wahren Problemen ablenken sollte und darin offenbar erfolgreich war. Ich habe mich damals darüber aufgeregt, dass dieser Beschluss gefasst wurde und ein anderer, wichtigerer eben genau nicht.
Nun finden wir also LEO für Leonberg, BH für Bühl und dergleichen wieder auf Nummernschildern in Deutschland – im Landkreis Rastatt fahren viele Leute mit BH-Kennzeichen herum, und auf der Autobahn Richtung Stuttgart finde ich auch eine Menge LEO-Kennzeichen vor. Die Tatsache, dass mein Heimatort Bietigheim nie zum Landkreis Bühl gehörte, aber ein Haufen BH-Kennzeichen vor Häusern im Ort stehen, stimmt mich so ein bisschen nachdenklich, ob das Ganze auch konsequent im Sinne der regionalen Identifikation umgesetzt und genutzt wird.
Allerdings kommt hier auch mein hauptsächlicher Kritikpunkt an dieser Möglichkeit. Klar, es hat keinen eigentlich rationalen Nutzen, die alten Kennzeichen aufgelöster Kreise wieder zugänglich zu machen, das kann man schon als Kritikpunkt sehen. Aber mir geht es hier um etwas Anderes. Das Kennzeichen am Auto wird zum emotionalen Aushängeschild für die Darstellung der eigenen Identität hochstilisiert. Von mir aus gerne, denn ich nutze mein Nummernschild ja auch so: NX-1701 steht (weil NCC zu lang ist für die Sequenz nach dem Bindestrich auf dem Kennzeichen) für die USS Enterprise aus Star Trek. Das ist Ausdruck meiner Leidenschaften, keine Frage. Stellt sich die Frage: Sollte das Nummernschild als Identifikationsplattform dienen dürfen? Die Antwort ist sicher ein klares: „Ja, warum denn auch nicht?“
Dieses „Warum denn nicht?“ liefert die einzige Begründung für eine unvollständige Liberalisierung der Kennzeichen an deutschen Autos: Die Infrastruktur zur Zuordnung von Autokennzeichen zu Landkreisen oder kreisfreien Städten basierend auf Bestandsschutz genießenden Altkennzeichen und den aktuell vergebenen existierte bereits, man musste also keine zusätzliche Zuordnung etablieren.
Überlege ich mir nun, wie ich meine Identität definiere, dann spielt das Kennzeichen „RA“ des Landkreises Rastatt für mich keine Rolle, auch „HN“ für Heilbronn, was auf meinem ersten und zweiten Auto prangte und „KA“, das zwischenzeitlich an den Stoßstangen meiner Fahrzeuge hing, hat für mich kaum eine Bedeutung. Es sind Wohnorte, aber wenn ich meine Identität ausdrücken möchte, spielen die nicht so eine große Rolle. Für viele andere offenbar schon – denn mittlerweile sind viele der wiedereingeführten Altkennzeichen sehr weit verbreitet – siehe LEO und BH aus meiner persönlichen Erfahrung. Man kann diese Liberalisierung auf Altkennzeichen (und sonst keine neuen Möglichkeiten) als Bevorzugung von regional Langzeitverbundenen bezüglich ihrer Identität ansehen, wenn man mal den im vorigen Absatz genannten Sachgrund ausblendet. Viele Menschen in meinem Umfeld leben nicht mehr in den Landkreisen, in denen sie aufgewachsen sind, ziehen öfter um – und diese Mobilität ist spätestens erforderlich, wenn ich studieren gehe. Wie sieht’s mit der Identität dieser Wanderer aus?
Natürlich: Die Darstellung der Identität bezogen auf den alten Landkreis auf dem Kennzeichen ist einfach zu realisieren und kostet keinen zusätzlichen Aufwand. Andererseits wird hier die Heimatverbundenheit deutlich über andere identitätsstiftende Aspekte gestellt, zumindest bei dem nach außen Tragen auf dem Kennzeichen. Ich ganz persönlich muss da einen kleinen Moment nachdenken und mir das Sachargument, dass die alten Kennzeichen ohnehin immer noch ihren Landkreisen zugeordnet werden können, zum Beispiel bei der kennzeichenbasierten Verfolgung von Verkehrsdelikten, um nicht in ganz andere Gedankenschienen abzudriften. Irgendwie klingt die Wiederöffnung des Kennzeichens für alte Landkreise in meinen Ohren nach der zumindest teilweisen Öffnung für eine Alter-Name-und-Boden-Heimatverbundenheit, die als Identitätsstifter ein wenig in Richtung von Dingen geht, die in Deutschland viel Schaden angerichtet haben und noch immer anrichten.
Im Endeffekt bin ich aber vielleicht auch nur gekränkt, weil ich nicht die Kennung der USS Enterprise aus Star Trek auf mein Nummernschild prägen lassen durfte.