Wie kommt man zu einer Marathon-Bestzeit?
Wenn man noch keinen Marathon gelaufen ist, geht das verhältnismäßig einfach. Man läuft einfach einen. Aber ich habe ja schon das eine oder andere Mal die Marathon-Distanz bestritten, also war es nicht SO simpel. Ich habe ein wenig zurückgeschaut, auch im direkten Vorfeld meines Marathons und während ich bereits im Training war. Natürlich sind die genannten Erkenntnisse auf mich gemünzt und müssen so nicht für jeden passen.
Eine, vielleicht die wesentliche Komponente, die über Wohl und Wehe auf von mir bestrittenen Marathon-Wettkämpfen entscheidet, ist der im Vorfeld gelaufene Umfang. Bestzeiten, für mich herausragende Leistungen auf der Marathon-Strecke und Freude auf dem größten Teil der 42,2 Kilometer konnte ich vor allem dann abrufen, wenn ich im Vorfeld Kilometer gebolzt hatte. Natürlich spielt auch die Menge an Kilometern auf Marathonrenntempo eine Rolle, aber gerade die Gesamtumfänge haben bei mir immer eine große Rolle gespielt. Vor dem Dämmer-Marathon 2022 hatte ich im Monat vorher 530 Kilometer gesamt absolviert und war Bestzeit gelaufen – acht Minuten hatte ich von der vorherigen Bestzeit abgezogen. Nach 544 im Monat vor dem Bienwald-Marathon gab’s 3:50 schnelleren Marathon als je zuvor. Neben allem anderen, was vor dem Regensburg-Marathon 2023 nicht richtig lief, fehlte da einfach auch die Menge an Kilometern. 417 waren es im Monat vor Regensburg, sicher nicht wenig, aber im Verhältnis zu dem, was ich vor der Bestzeit in Mannheim und vor der Bestzeit in Kandel gemacht habe, war das wenig. Ob ich den Baden-Marathon 2023 in Karlsruhe mit 3:12 trotz viel zu schnellem Beginn als Anomalie oder als Gegenbeweis nehmen will, werde ich mir noch überlegen. Aber so viel kann ich sagen: Umfänge zu laufen, auch über die in Marathonrenntempo zu absolvierenden Einheiten hinaus, ist meiner Performance bei Marathonwettkämpfen sicher zuträglich.
Eine ebenfalls wesentliche Komponente sind die in Marathonrenntempo gelaufenen Kilometer. Das ist natürlich eine Peter-Greif-Binse. Ist man sein Marathonrenntempo gewöhnt, regelt sich das von alleine, ohne intellektuelle Leistung während des Rennens. Denn Hand auf’s Herz: Nachdenken macht langsamer. Rechne ich mein Tempo aus, überlege ich mir, wie ich von zu schnellem oder zu langsamem Tempo weg kompensieren muss, wenn die Uhr anderes als das Erwartete anzeigt, merke ich sofort: Ich werde langsamer. Also trainiert man das Marathonrenntempo – den Körper, aber auch das Gefühl dafür. Fast 200 Kilometer im Marathonrenntempo habe ich in meinem Aufbau für den Bienwald-Marathon gebolzt, und das war vor Mannheim ähnlich. Insbesondere lange Tempodauerläufe, Tempowechselläufe und Endbeschleunigungen waren das, fast immer vorbelastet. Das Renntempo ist die Seele des Spiels. Das hilft auch, wenn man etwas zu schnell anfängt. Negative Splits sind natürlich cool, aber wenn man sie nicht schafft, was wohl nicht zu selten ist, hat man immerhin einen gefühlt sicheren Sockel des Marathonrenntempos, auf dem man das Rennen nach Hause bringen kann.
Tapering ist wahrscheinlich die höchste Kunst. Aber, und auch das muss man ganz klar sagen, auch das ist individuell. Mehr als einer meiner Kontakte hat meine Tempowechselintervalle in der vorletzten Woche vor dem Wettkampf als zu heftig kritisiert, den schnellen Lauf am Samstag acht Tage vor dem Wettkampf, den ruhigen 30er am Tag drauf. Ich kam von 154 Kilometern drei Wochen vor dem Marathon und ging auf ca. 80 runter, keine Endbeschleunigung mehr. Ich nehme zurück, aber Tapering heißt nicht, die Beine hochzunehmen – zumindest für mich nicht. Gehe ich zu tief runter, wird’s nix, gehe ich zu früh runter, auch nicht. Aber natürlich muss ich auch gucken, dass ich nicht kurz vor dem Wettkampf wieder mehr Intensität mache – und genau das ist die Gefahr, wenn ich zu früh zu tief runter gehe. Meinen letzten Lauf – langsam geplant, übrigens – vor dem Marathon hat mir Migräne verhagelt. Im Zuge einer sehr netten Mitteilung, in der mir eine wirklich starke Athletin ein paar Worte zu meinen Meditationen darüber, was in Regensburg schief- und in Mannheim gut ging, habe ich den Begriff „flat werden“ kennen gelernt. Wenn man also aus dem Wechsel von Belastung und Superkompensation raus fällt, geht’s nur noch runter. Also habe ich versucht, immer noch Belastungen einzustreuen, aber halt weniger lang die Intensität gehalten – und nicht mehr lang und schnell in Endbeschleunigungen kombiniert, in den zwei Wochen vor dem Marathon. Das dürfte helfen.
So weit, so sehr sind das Binsenweisheiten. Eine für mich entscheidende Erkenntnis ist, dass trotz ersten Tempodauerläufen und Tempowechselläufen in den sechs, acht Wochen vor dem Marathon, in denen ich das geforderte Tempo nicht halten konnte, im Bienwald sehr viel glatt gegangen ist. Das bringt mich zusammen mit einem Seminar über das Gestalten von Veränderungen, in dem auch viel von agilen Methoden die Rede war, auf eine Idee, wie ich diese dynamische Tempo-Anpassung über den sich verbessernden Trainingszustand hinweg systematisieren kann. Ich werde nun also probieren, analog zur Struktur aus Sprints und Review bei Scrum, meine Ruhewochen mit einem Review des jeweiligen Trainingszyklus zu kombinieren, in dem dann auch durch einen LC1000-Leistungstest die Renntempi neu bestimmt werden. Natürlich ist das noch kein agiles Trainingsmanagement, sondern greift sich nur ein paar Aspekte heraus, aber ich denke, dass ich meine Belastungswochen-Abfolgen jeweils mit einer Ergebnis-Bestimmung irgendwo in der Ruhewoche kombinieren werde, könnte das deutlich systematischer machen. Zum Beispiel statt harten Intervallen mit entweder vielen, kurzen, schnellen, oder wenigen, langen, immer noch ziemlich schnellen dann eben ein Kilometer all out am Intervalltag, typischerweise Dienstag. Damit erhalte ich eine dynamische Anpassung und zugleich ein Gefühl der Kontrolle, des Geregeltseins, ohne mich vor Beginn meines halben Jahres Gesamtvorbereitung schon endgültig auf die Marathonpace, die ich anstrebe, festlegen zu müssen.
Ich hatte erst darüber nachgedacht, dieses System auch in Form von „Aufbau“ und „Ruhe und Review“ als Attribute meiner Trainingswochen einzubauen, aber ich belasse es erstmal bei der Nutzung meiner Freitext-Wochenüberschriften für diese Art der Planung.
Offenkundig habe ich mit einigen Dingen, die ich hier nun rückblickend systematischer sehe, als sie im Training passierten, trotz des Rückschlags durch Krankheit den ganzen November über, vieles richtig gemacht. Das versuche ich nun, auf die Planung für den Baden-Marathon am 15.09.2024 anzuwenden. Mal sehen, wie viel damit schiefgeht – und wie das nun funktioniert, wo ich es nicht ad hoc nach Gefühl zusammenimprovisiere, sondern systematisiert habe.