Verliert …

… eine uneigennützige Handlung ihren positiven Charakter, nur weil sie belohnt wird?

Ich habe mich das gefragt, als in diesem Beitrag beim Sohlenrocker ein Kommentator seine Freude darüber ausdrückte, dass der Autor als „Pacer“ bei einem Marathon mitläuft. Ein Pacer gibt das Tempo vor, um eine bestimmte Zielzeit zu erreichen. Sohlenrocker wies darauf hin, dass ihm das Tempo gefiele, das er als Pacer zu laufen hat, und dass die Veranstalter Pacern Vorteile einräumen – klar, ist ja ein Service der Veranstaltung. Dennoch läuft ein Pacer vor allem „für andere“.

Ich habe festgestellt, dass mir auch die Geselligkeit und das gute Gefühl gefallen, wenn ich was „für andere“ tue, ich Dank aber auch gerne zurückweise – weil es mir ja auch was bringt, erst recht, wenn die uneigennützige Tätigkeit mit mehr als nur Dank durch andere belohnt wird.

Ich möchte anderen immer danken, ihren Uneigennutz würdigen, wenn sie was für mich tun oder ich sehe, dass sie was für Dritte tun. Selbst kommt mir solcher Dank überzogen vor, wenn ich ihn empfange. Offenbar ist die Antwort auf die Eingangsfrage für mich richtungsabhängig. Komisch, oder?

Wie sieht das bei Euch so aus?

Starren in der Bahn

Heute hatte ich in der Bahn eine skurrile Situation. Dafür muss ich etwas weiter ausholen. Grundsätzlich ist eine volle S-Bahn ja eine ähnliche Situation wie ein voller Aufzug. Die Menschen sitzen oder stehen zu eng, um sich wohl zu fühlen. Daher meiden die meisten die Blicke der anderen.

Heute fuhr ich aber am frühen Nachmittag mit der fast leeren S-Bahn zur Arbeit, da ich zuvor einen Außendienst mit dem Privatwagen in der Nähe meines Wohnortes erledigt hatte. Platz war reichlich, im vorderen Bereich des Wagens saßen in vier Vierersitzgruppen vier Menschen – einer pro Vierersitzgruppe. In Fahrtrichtung rechts waren das zwei Männer – einer in Arbeitskleidung mit Reflektoren mit Rücken zur Fahrtrichtung, mit ihm Rücken an Rücken ein anderer, älterer Mann mit Blick in Fahrtrichtung. Auf der linken Seite saß eine blonde, junge Frau mit Blick in Fahrtrichtung und ich mit Rücken zur Fahrtrichtung an die Fahrerkabine gelehnt, also der Blonden gegenüber und dem älteren Mann schräg gegenüber.

Ich kann nicht genau sagen, warum das so war, aber das Gesicht der jungen Frau mir über zwei Sitze gegenüber faszinierte mich, zugleich wollte ich sie aber auch nicht anstarren. Als ich einmal reflexhaft weggeschaut hatte, als ich sie anschaute und sie den Kopf in meine Richtung drehte, „war es rum“. Ich konnte nicht verhindern, dass ich hinschaute, um herauszufinden, was mich an ihrem Gesicht faszinierte, aber auch nicht, dass ich wegschaute, wenn sie hinschaute. Dumm, eigentlich, aber so war es.

Der ältere Mann mir schräg gegenüber hatte nicht diese Bedenken. Er starrte mich immer wieder an, versuchte nicht einmal, zu lächeln, wich meinem Blick aber nach ein paar Sekunden Blickkontakt stets aus. Er starrte unverhohlen, hielt meinem Blick aber nicht stand, während ich bei der Frau mir gegenüber meist auswich, bevor die Blicke sich berührten.

Man könnte unterstellen, dass der Unterschied nur in meiner Wahrnehmung war: Ich sehe mich natürlich in der „Aggressor“-Rolle selbst scheuer als in der „Opfer“-Rolle des Gestarres. Doch die vermeintliche Symmetrie wurde gebrochen, als beide am Bahnhof ausstiegen: Die junge Frau ging, ich schaute ihr nicht mehr nach, war eh mit meinen Gedanken befasst. Der Mann trat nach Verlassen des Zuges an die Scheibe neben dem Zug und starrte mich offensiv mit grimmigem Blick und heruntergezogenen Mundwinkeln durch das Zugfenster an, bis die Bahn abgefahren war.

Da hatte ich dann richtig ein schlechtes Gewissen. Ich hoffe, nicht auch nur 10% des unangenehmen Gefühl des Angestarrtwerdens verursacht zu haben, das dieser ältere Herr bei mir auslöste. Mir ist mein komischer Reflex, immer hingucken und doch gleich weggucken zu müssen, überaus peinlich. Das Verhalten des Herrn im Zug kann ich mit demselben Reflex erklären, was er aber durch die Scheibe tat, war nichtmal Zoobesucher-Glotzen sondern Gaffen voller Missbilligung. Niemand wird gern so angesehen, und heute bin ich mir auch keines Anlasses bewusst, den ich dazu gegeben haben könnte.

… und gerade schimpft hier ein lallender Herr im Zug ungeniert Beschimpfungen. Ich weiß nicht, ob er telefoniert oder in echt unterirdischem Duktus Selbstgespräche in Lautsprecherlautstärke führt.

Das Mantra

Mein Mann und ich pflegen ja eine Beziehung, die zumindest dem oft postulierten Archetyp des Mannes undenkbar scheint. Wie oft es diese Art Mann wirklich gibt, weiß ich nicht. Dass eine gewisse Tendenz bei den Herren der Schöpfung existiert, lieber zu arbeiten und „draußen“ zu stehen, während sie davon ausgehen, dass Frauen bei Haushalt und gegebenenfalls Kindern bleiben, Teilzeit arbeiten oder auch gar nicht, würde ich für gegeben halten.

Bei uns ist es anders: Er arbeitet Teilzeit, ich arbeite voll. Er erledigt große Teile des Haushalts und nimmt mir das ab. „Und nimmt mir das ab“, schreibe ich? Ja. So fühlt es sich an. Er hat mehr Zeit zuhause, und doch habe ich manchmal ein schlechtes Gewissen, dass ich ihn den Haushalt machen lasse. Er würde nun sagen: „Du hast doch immer ein schlechtes Gewissen!“, womit er nicht ganz unrecht hat.

Gelegentlich allerdings gibt es so Momente, da denke ich mir: „Das müsstest du jetzt tun, Talianna.“ Warum ich das denke? Meist aus schlechtem Gewissen, weil es gefühlt meine Aufgabe wäre, auch wenn wir die Dinge anders verteilt haben. Gelegentlich aber auch, weil ich gerne hätte, dass eine bestimmte Stelle in anderer Weise oder früher geputzt, gewaschen, aufgeräumt werden sollte, als er das tut. Oder weil ich eine Ecke sehe, in der er nicht geputzt hat, die ihm nicht auffiel, aber mir. Ich höre viele Frauen in diesem Kontext aufstöhnen: „Männer sehen halt nicht, wo geputzt werden muss.“ Das bestreite ich. Er sieht andere Stellen, die mir völlig schnuppe sind, er hält Flächen staubfrei, bei denen man, hätte ich zwei Wochen die alleinige Verantwortung für die Säuberung der Wohnung, lässig „Putzen!“ in den Staub schreiben könnte. An dieser Stelle, wenn ich sage: Das hätte ich gerne geputzt, das hätte ich gerne nicht erst am Montag vor dem Trek Monday gemacht, greift es. Das Mantra:

„Wenn ich bestimmen will, wann und wie etwas getan werden soll, muss ich es selbst machen. Überlasse ich es jemand anderem, muss ich dessen Zeitplan und Methode akzeptieren, wenn es nicht anders vereinbart wurde.“

… sich das vor Augen zu führen, sich das im Geiste nochmal aufzusagen, hilft sehr. So ist zum Beispiel die eine Ecke im Bad, die mir sehr wichtig ist, dass sie sauber ist, eben etwas, das ich ohne Aufhebens selber putze, wenn ich es gemacht haben will. Bei allem anderen vertraue ich darauf, dass er’s tun wird, über die meisten Aufgaben herrscht eh Konsens. Wenn ich anfange, es nach meinen Prioritäten zu organisieren und ihm aufzutragen, bin ich die Managerin und er der Ausführende. Und das ist weder von meiner noch von seiner Seite Sinn des Deals.

Carsharing

Ich weiß natürlich, dass der Begriff Carsharing mit anderen Modi des Teilens eines Fahrzeugs belegt ist. Aber die Methoden, die mein Mann und ich gerade entwickeln, sind eben genau das: das Teilen eines Autos zwischen zwei Menschen.

So lange ich nicht mehr bei meinen Eltern wohne, habe ich immer ein eigenes Auto gehabt, genau wie mein Mann auch. Die Orte, aus denen wir kommen, sind sich nicht so unähnlich: Ein Dorf bzw. eine Kleinstadt in weniger als 20 Kilometer Entfernung von einer Großstadt über 100.000 Einwohnern. Für vieles brauchten wir ein Auto, unsere Eltern ebenfalls und noch viel mehr als wir. Unsere ersten Beziehungen waren jeweils zu Menschen, deren Wohnorte nur mit dem Auto für uns praktisch zu erreichen waren. Das Auto wurde gebraucht, daher war es da und wurde auch für Wege genutzt, die auch anders zu erledigen gewesen wären. Mindestens ich dachte nicht darüber nach, dass Mobilität mit dem Auto eine knappe Ressource sein könnte. Ganz selbstverständlich hatte jeder von uns beiden ein Auto.

Nun fährt mein Mann seit Sommer mit dem Pedelec oder Rad zur Arbeit, ich nehme den Zug. Vor dem Haus waren zwei Autos fast ständig am Herumstehen. Zum Einkaufen nutzten wir es gelegentlich mal, sonst nicht. Zumindest glaube ich das. Wo ich die Verfügbarkeit und Nutzung meines Autos so selbstverständlich genommen habe, dass ich mich nicht bewusst erinnere, kann ich nicht sagen.

Seit ein paar Wochen haben wir nun nur noch ein Auto – meines, das nun unseres ist. Das ist sinnvoll und richtig. Aber ich fiel aus allen Wolken, als mein Mann nun fragte, ob ich Donnerstag das Auto bräuchte, da er heute sein Pedelec zur Inspektion bringt und daher vom Radladen abgeholt werden muss, morgen mit dem Auto zur Arbeit fährt und sich Freitag von mir hinbringen lässt, um das Pedelec wieder abzuholen.

Allein bei der Frage „Brauchst Du morgen das Auto?“ staunte ich. Nicht der rationale Teil staunte, klar. Wir haben nur ein Auto. Die Nutzung zu klären ist sinnvoll. Aber ich habe diese Frage schon so lange nicht mehr gestellt bekommen …

Und so betreiben mein Mann und ich nun Carsharing. Mal sehen, wann das erste Mal eine Auto-Benutzungs-Terminkollision auftritt. Bisher war’s nur dieses irritierende Gefühl einer Person, die 18 Jahre immer ein Auto zur Verfügung hatte und nun die Frage gestellt bekommt: „Schatz, brauchst Du morgen das Auto?“ So lange es dabei bleibt, ist ja alles bestens!