Eigentlich wollte ich andere Dinge schreiben.
Aber manchmal sind es die Dinge, die einem wieder auffallen, die wiederkommen, die den Plan völlig auf den Kopf stellen. So ist es auch heute passiert.
Im Juli 2006 ist meine Mutter gestorben – überraschend, für uns, und eigentlich doch nicht. Wir wussten, dass sie krank war. Wir wussten eigentlich nach einem Jahr voller Probleme, voller Angst, voller Ungewissheit und zwei nicht zielführenden Maßnahmen auch, was sie hatte. Alles schien auf dem Weg zu sein, auf dem Weg zur Besserung. Ich war damals sehr mit mir selbst beschäftigt, manches habe ich so gar nicht wahrgenommen.
Am gestrigen 06.06.2017 wäre sie 64 geworden. Es ist der zehnte von Mamas Geburtstagen gewesen, die wir ohne sie verbracht haben. Es ist – lange her. Unsere Leben sind weitergegangen: Das meines Vaters, mein eigenes, das meiner Schwester. So hätte sie es gewollt, so muss es sein. Gestern hatte ich vieles zu tun, vieles ging durcheinander, anderes war zu erledigen. Ich habe kurz daran gedacht, dass es Mamas Geburtstag war, es dann wieder vergessen.
Heute Morgen, auf der Fahrt zur Arbeit, kam es massiv. Ich musste irgendwie die Stille in meinem Auto füllen, aber es ging nicht: Radio, fröhliche Musik, alles Mist. Schließlich nahm ich meine traurige Musikliste. „Everyone Hurts“ von einer Formation aus Freunden von mir, dazu Moby mit „Why Does My Heart Feel So Bad“, Evanescence mit „My Immortal“, VNV Nation mit „Beloved“, Jon Secada mit der spanischen Version von „Just Another Day“, Simon and Garfunkel mit „Sounds Of Silence“ und Springsteen mit „Streets Of Philadelphia“. Vor allem die letzten beiden atmen die Erinnerung an meine Mutter, den Tod meiner Mutter, die Gemeinsamkeiten zwischen meiner Mutter und mir, die Dinge, die ich als in mir weiterlebendes Vermächtnis meiner Mutter empfinde. Simon and Garfunkel, auf die hat sie mich gebracht. „Streets Of Philadelphia“ habe ich an jenem Abend gehört, auf der Autobahn, im Radio, als meine Mutter starb. Etwa zu der Zeit, als sie starb. Ich bin damals heulend auf den Seitenstreifen gefahren, dabei wusste ich es noch gar nicht!
Es ist der zehnte Geburtstag meiner Mutter, den wir ohne sie verbringen. Ich habe es gestern nicht so gespürt, heute kommt es mit Macht. Aufheitern hilft nicht, also geht nur Ausheulen. Ich werde nicht fragen, ob das je aufhört. Das muss es nicht. Was wichtig ist, was mich geprägt hat, das fehlt. Das muss so. Auch wenn es wehtut und auch wenn es die Menschen um mich herum manchmal etwas schockiert oder betroffen macht, wie sehr mich das immer noch trifft. Es gibt keine intensiven, guten Emotionen ohne die Menschen dahinter – und es gibt keine einfache Weise, mit dem Verlust umzugehen, der damit einhergeht, wenn man sich so bindet. Was wäre das Leben ohne diese Bindung, diese Positivität und ohne diesen Verlust? Es wäre nicht mehr dasselbe. Und ich glaube, es wäre schlechter.