Schimpfen wie ein Rohrspatz

Genau das habe ich am Samstagabend auf der Heimfahrt getan. Warum habe ich das getan? Nun, es gab einen ganz konkreten Anlass.

Wir standen nämlich am Karlsruher Hauptbahnhof auf dem Vorplatz und warteten auf die S8 Richtung Rastatt und dann weiter ins Murgtal. Es war einiges los, das kann man nicht anders sagen. Auf dem Vorplatz gibt es vier Gleise, zwei in der Mitte, dann beiderseitig Bahnsteige, dann wieder je ein Gleis und dann der äußere Bahnsteig. Überall warteten Leute, aber so unglaublich dicht gepackt waren wir noch nicht…

Nicht dicht genug jedenfalls, als dass man auf den Gleisen hätte stehen müssen. Klar, es kam noch kein Zug, aber dennoch – es gibt Bahnsteige. Da muss man nicht auf dem Gleis stehen. Genau das tat aber ein Pärchen. Sie stand direkt an der Kante, er unten auf dem Gleis. Freilich, der Bahnsteig ist nur eine Bordsteinhöhe höher, man kann jederzeit auf den Bahnsteig – wenn da niemand steht. Stelle ich mich aber an einem vollen Bahnsteig auf das Gleis, kann es durchaus sein, dass da gerade andere Leute hinkommen und ich keinen Platz habe…

Egal wie, jedenfalls ist es unnötig. Noch unnötiger ist allerdings, bis zum letzten Moment vor dem einfahrenden Zug auf dem Gleis stehen zu bleiben, so dass der Fahrer früher abbremsen muss und eine halbe, dreiviertel Minute verliert. Passiert das an jeder Haltestelle, summiert sich das schnell. Der Bahnsteig hatte sich auch entsprechend gefüllt, als dann die S1, die vor unserer S8 kam, endlich hereinkam. Der Fahrer musste höllisch aufpassen. Tatsächlich ging selbiges Pärchen auch erst weg, als die Bahn beinahe heran war, trieb sich irgendwo hinter uns herum. Als die S8 dann hinterherkam, drängten sie sich auf den ungefähr halben Meter Bahnsteigbreite, den wir zwischen uns und der Bahn gelassen hatten – als würden wir zum Spaß dort stehen! Als würden wir zum Spaß diesen halben Meter lassen! Es fuhr ein zweiteiliger Zug ein, und prompt rannten noch einige Leute über das Gleis, als der Zug schon einrollte – und zwar nicht quer rüber, sondern vom Einzugsbereich des hinteren in den Einzugsbereich des vorderen Wagens. Der Fahrer verlor mehr als eine halbe Minute, weil er so höllisch aufpassen musste und von allen Seiten Leute quer fast oder tatsächlich vor den Zug sprangen.

Das alles ist einfach unnötig. Es stellt nicht allzuviel Zeitverlust dar, aber wenn sich das aufsummiert, dann kann so ein Zug schonmal drei, vier, fünf, zehn Minuten auf den Haltestellen in der Stadt ansammeln. Außerdem ist das Ganze so dicht getaktet, dass die Bahnen auch die dahinter fahrenden aufhalten, die dann wieder von solchen Aktionen ausgebremst werden. Dann geht es nach dem Albtalbahnhof auf das Bundesbahngleis, wo die S-Bahn sich an Zeitslots zwischen ICEs, ICs, Regionalbahnen und Güterzügen halten muss. Ist der Zeitslot vorbei, wartet die S-Bahn auf den nächsten. Die Verspätung wächst. Dann funktioniert’s in Rastatt nicht richtig…

Das oben beschriebene Pärchen saß im Zug nicht weit von uns. Ich schimpfte wie ein Rohrspatz, erklärte meinem Mann und den Freunden, mit denen wir in Frankfurt waren, dass solche kleinen Verspätungen an jeder Haltestelle eben genau den S-Bahn-Zeitslot auf der eng getakteten Strecke kosten können. Wenn solche Verzögerungen durch gehandicapte Personen, das Einladen von Kinderwägen oder so entstehen, sagt ja keiner was. Aber aus Achtlosigkeit, oder weil’s ja eh nur eine kurze Verzögerung gibt, die vermeintlich nichts ausmacht…

Da geht mir die Hutschnur hoch. Manchmal – so auch am Samstag – lasse ich dem Ärger dann freien Lauf und erkläre hörbar für andere Fahrgäste, warum das so unnötig und eben doch schädlich ist. Ich hoffe inständig, es haben möglichst viele Leute gehört!

Wenn die S-Bahn einfährt…

…ist plötzlich Bewegung auf dem Bahnsteig. Das irritiert mich schon eine Weile, obwohl ich es selbst auch mache. Allerdings verstehe ich nicht, warum ich es tue, daher wird die Irritation eher größer.

Aber was meine ich eigentlich genau? Das ist soweit ganz einfach. Meist warten ja bereits einige Leute auf dem Bahnsteig, wenn die Bahn kommt. All diese Leute gehen dann los, wenn die Bahn einfährt – aber BEVOR sie gestoppt hat, also bevor klar ist, wo sie genau halten wird. Die Bewegung der Leute geht auch in der Regel nur minimal auf die Bahn zu, sondern meist deutlich mehr als einen Türenabstand längs des Bahnsteigs. Wohlgemerkt weiterhin, bevor genau klar ist, wo die Bahn hält, zumindest nicht klarer als ohnehin schon.

Bei Zügen aus mehreren, nicht begehbar verbundenen Garnituren verstehe ich gut, warum man in einem bestimmten davon sitzen möchte. Meine S7/S8 zum Beispiel fährt morgens mit drei Fahrzeugen nach Karlsruhe, der hinterste Wagen wird im Albtalbahnhof abgehängt. Wer, wie ich, tiefer in die Stadt will, muss am Albtalbahnhof umsteigen, und innerhalb des Zuges unter aussteigen Fahrzeug wechseln ist doof. Dass man nicht immer daran denkt, sich gleich richtig zu positionieren, oder noch gar nicht weiß, wie der Zug aussehen wird, verstehe ich. Aber wenn zuverlässig ein Fahrzeug kommt, da auch der Bahnsteig gar nicht lang genug für mehr wäre, man überall in denselben Fahrgastraum einsteigen könnte, aber plötzlich, wenn der Zug kommt, sich hektisch nochmal umpositioniert, ist das irgendwie unnötig. Erst recht, wenn in der Feinabstimmung die (nunmehr) nächste Tür doch wieder drei, vier Meter weg ist.

Heute lief eine Frau auf dem Bahnsteig von vier Meter „hinter“ mir in Zug-Koordinaten vor auf ungefähr acht Meter vor mir – musste nochmal zwei Meter weiter gehen zur Tür des stehenden Zuges und ging im Zug so weit hinter, dass sie zwei Sitze vor mir letztlich ankam …

… und sowas habe ich auch schon gemacht und mich gefragt, was zum Henker das soll.

Miteinander Umgehen

Es gibt mal wieder etwas, das ich aus aktuellem Anlass schreibe. Keine Sorge, es hat nichts mit dem Blog bzw. der Interaktion mit den Leuten hier auf „The Highway Tales“ zu tun – die Umgangsformen hier gefallen mir.

Es gab einen anderen Anlass, genaugenommen auf dem Minecraft-Server, den ich für mich, meinen Mann, einige Freunde und Kinder von Freunden gemietet habe. Im Grunde genommen ging ich davon aus, dass dort alles glatt laufen würde – sind schließlich alles zivilisierte Menschen. Mit einer Erweiterung um Freunde der Kinder von Freunden begannen allerdings Konflikte auf dem Server Einzug zu halten. Ich bin weit davon entfernt, die Dynamik des Ganzen zu verstehen. Es geht mir auch gar nicht darum, einen Schuldigen zu identifizieren. Konkret erreichte mich eine Frage, ob alles mit rechten Dingen zuginge – und dass es Konflikte gebe. Für mich war die Folge, mir eine tägliche Aufgabe zu setzen: Checken der Logfiles von Chat und Spielmitteilungen, ob es Unregelmäßigkeiten oder Cheating gegeben habe … gab es bisher nicht. Aber was es gab, waren Chat-Unterhaltungen in einem Umgangston, den zu tolerieren ich nicht bereit bin.

Im Moment bin ich dabei, mir einen Plan zu machen, wie ich damit umgehe. Bisher gab es diese Konflikte nicht, also brauchte ich keine Konflikt-Behandlung zu entwerfen – vielleicht hätte ich das Problem antizipieren können, habe ich aber nicht. Meine erste Neigung war, in Aktionismus zu verfallen – aber das bringt nichts. Vor allem neigt man dabei dazu, in blindem Aktionismus Maßnahmen zu ergreifen, die nicht nachvollziehbar, nicht fair und nicht reproduzierbar sind. Also lehnte ich mich zurück und dachte darüber nach, wie ich vorgehen will – und dabei kam mir etwas zu Bewusstsein, nach dem ich gerne handeln will. Die einfachste Lösung wäre nämlich gewesen, den Protagonisten zu erläutern, sie sollten so handeln, wie sie auch selbst behandelt werden wollen – die biblische „Goldene Regel“: „Was Du nicht willst, das man Dir tu‘, das füg‘ auch keinem ander’n zu.“ An dieser Stelle halte ich inne und sage mir, das greife zu kurz. Es gibt so viele Varianten, miteinander umzugehen, und sicher gibt es auch den einen oder anderen, der möchte, dass mit ihm in einer Weise umgegangen wird und daher mit anderen umgeht, wie diese es selbst nicht wollen. Von der „Goldenen Regel“ kam ich daher zu einer – sehr konkreten, wenig philosophischen – Anwendung des Kant’schen kategorischen Imperativs: „Handle stets so, dass die Maxime Deines Willens Grundlage einer allgemeinen Gesetzgebung sein könnte.“

Kurz und vielleicht schlecht habe ich daraus abgeleitet, zunächst einmal jedem, der sich auf den Server verbinden will, im Serverauswahl-Bildschirm zu verkünden, dass höflicher Umgangston und gegenseitige Rücksichtnahme auf dem Server vorausgesetzt würden und dass der Admin die Logs mitlese. Nach einer „Laissez-faire“-Haltung ist das die erste Eskalationsstufe.

Ich für mich selbst bin nun dabei, mir selbst eine Liste anzulegen, was ich nicht tolerieren möchte. Bis zu einem gewissen Grad komme ich nicht umhin, von mir auszugehen, wenn ich „Community Standards“ formulieren möchte. Aber vielleicht muss ich soweit auch gar nicht gehen, und schon der Hinweis, dass man nicht unbeobachtet ist und dass jemand beachtet und beurteilt, wie miteinander umgegangen wird, genügt zur Lösung des Problems. Falls nicht, wird sich (aus meiner Sicht, nach eventueller Rücksprache mit anderen) ein Katalog von nicht tolerablen Verhaltensweisen ergeben. Dieser wird vermutlich wachsen, da nicht jedes Verhalten, das problematisch ist, antizipierbar ist. Danach gibt es zwei Stufen – die Verwarnung (und ich bin so böse und werde vermutlich unter Verwendung des Anzeigenamens im Spiel in der Login-Message verwarnen) und bei Wiederholung den vorübergehenden Bann vom Server.

Es ist unfair, jemanden in Unkenntnis der Regeln für etwas zu verurteilen, das er nicht wusste. Es ist aber auch unfair, ein für andere toxisches Fehlverhalten über eine oder mehrere Verwarnstufen hinaus weiter zu tolerieren, denn dann geht das Wohl der Gemeinschaft vor dem Wohl des sich nun wissentlich fehlverhaltenden Missetäters. Dass ich die Regeln mache – nun, das mag nun nicht mehr ganz so systematisch und philosophisch und fair sein, aber hier gilt: Mein Server. Meine Regeln.

Das Recht auf Spurwechsel

Dieses Recht auf einen Spurwechsel – vor allem nach links, auf eine schnellere Spur, deren Tempo man noch nicht mitgehen kann – scheint ein tief im deutschen Autofahrer verankertes Recht zu sein. Manchmal gewinne ich den Eindruck, dass ich eine der wenigen, wenn nicht gar die einzige bin, die noch 200 Meter mehr hinter einem LKW herzuckelt. Ich weiß, dass mein Aygolein nicht die Kraft hat, auf die Schnelle mal von 85km/h auf 120km/h in die Lücke auf der mittleren Spur zu beschleunigen. Diese Kraft haben oft auch stärker motorisierte Fahrzeuge nicht, weil sich solche Szenen bevorzugt dort abspielen, wo die LKW langsamer werden – am Berg. Da ist bei schweren, stark motorisierten Gefährten auch nicht mit einem Schnippen die Beschleunigung da, dass es einen in die Sitze presst.

Und so stelle ich immer wieder fest, dass ein Recht auf den Spurwechsel zu bestehen scheint – die Leute verhalten sich so. Manchmal ist das super-ätzend. Oft genug brandgefährlich.

Denn eigentlich gibt es KEIN Recht auf Spurwechsel. Und das ist auch gut so.

Wieso?

Ich weiß, dass auf Festivals nicht nur Hardcore-Fans von Bands sind, und jeder seine Berechtigung auch ganz weit vorne hat.

Aber sechs oder mehr Zigaretten während eines Konzerts zu rauchen, wenn man in der ersten Reihe steht, Bier trinken, die Hälfte der Zeit mit dem begucken anderer Konzertbesucher, mit Rücken zur Band verbringen und dann immer mehr Platz beanspruchen, andere beim rückfordern des Platzes aber maßregeln…

Das hat, bei aller Toleranz, in der ersten Reihe eines Konzerts nichts zu suchen. Auch sonst nicht, aber in der ersten Reihe habe ich genau das erlebt.

Argh!

Drei Ereignisse aus der jüngsten Vergangenheit lassen mich ernsthaft zweifeln, ob ich nicht vielleicht doch ein bisschen besser fahre als so mancher:

  1. So geschehen zwischen Pforzheim West und Pforzheim Ost auf der A8: Ein Polizeifahrzeug arbeitet sich zuerst auf der Standspur, dann in einer Rettungsgasse durch den Stau nach vorne. Plötzlich stockt sein vorankommen. Warum? Tja – keine Rettungsgasse wäre ja langweilig, das ist es ja immer. Nein: Die nebeneinander fahrenden Fahrzeuge KONNTEN gar keine Rettungsgasse bilden, denn weiter vorne stockte es – und auf dem Standstreifen stand ein LKW (der wohl Pause machte, weil seine Scheibe im Tacho das anzeigte), auf der rechten Spur stand ein LKW, der nicht weiter konnte, weil vor ihm alles dicht war – so auch auf der mittleren. Also müsste der LKW auf der mittleren etwas mehr nach rechts und der PKW auf der linken Spur … halt. Genau hier setzte das Problem ein. Auf der linken Spur befand sich kein LKW, sondern ein Bus. Ein Bus, der erstmal wegen des Staus auf der linken Spur nicht weiterkam. Ein Bus, der natürlich mit wem wenigen Rangierraum im Verhältnis zu seiner Länge keine Rettungsgasse aufziehen konnte. ARGH!
  2. So geschehen zwischen Leonberg Ost und Rutesheim auf der A8: Ein LKW fuhr hinter einem anderen her. Schräg hinter selbigem anderen LKW, denn er befand sich auf der mittleren Spur, und zwar etwa zwei PKW-Längen Abstand in Fahrtrichtung zwischen dem Bug des hinteren und dem Heck des vorderen LKW. Ich fuhr hinter selbigem LKW auf der mittleren Spur, kam wegen schnell fahrender PKW auf der linken Spur nicht hinter dem LKW raus. Der LKW vor mir gewann über die ganze Strecke vom Leonberger Dreieck bis Rutesheim nicht einen einzigen Meter Straße gegenüber dem anderen auf der rechten Spur. So weit, so klar. Bestimmt hängt einer vor dem, der nicht vorbeikam. Kurz nach Rutesheim ließ die Dichte links nach, ich zog raus, überholte, guckte … kein LKW auf der mittleren Spur vor meinem ehemaligen Vordermann. Der nächste LKW fand sich mehr als zwei LKW-Längen vor jenem auf der rechten Spur – und zwar ebenfalls auf der rechten Spur. Von langsamen PKW ebenfalls keine Spur. In Rutesheim war auch niemand offenkundig langsames abgefahren, das hatte ich gesehen. Ein wenig ärgerlich darüber versuchte ich durch dreimal Hupen anzudeuten, dass besagter Fahrer vielleicht ein bisschen was anderes machen könnte. Ob das nun nur ich war, oder ob der lange Huper des Fahrers vorwurfsvoll klang, kann ich nicht sagen. Darauf kommt es aber nicht an, das Verhalten war jedenfalls ebenfalls … ARGH!
  3. So geschehen auf der A8 zwischen Rasthof Pforzheim und Pforzheim Nord: Ich rolle im üblichen Stau durch die Senke, halte ein bisschen Abstand zum Vordermann, dann wird es in der Steigung wieder dreispurig. Vor mir zieht ein LKW raus, ohne groß auf mich zu achten. Ich bin erstmal mit Bremsen beschäftigt, kriege alles gut hin, so dass nichts passiert, fädele dann nach links in den laufenden PKW-Verkehr auf der linken Spur. Da ich keine Lichthupe hinten habe, hupe ich den das Überholverbot in der Steigung missachtenden LKW an, schere mit mehr als drei PKW-Längen Abstand (bei ca. Tempo 65km/h) vor ihm ein, gewinne rasch weiter Abstand – und werde mit der Lichthupe beharkt. Ich denke: „Ah er bedankt sich für den Hinweis, dass er was Verbotenes tut!“ Nö. Tat er nicht. Er fuhr weiter links, auch wo keine LKW mehr waren bzw. nur weit vor ihm, und ebenso schnell wie er. ARGH!

Eigentlich fragt man sich bei sowas: Warum? Ärgern die einen bewusst? Wissen sie es nicht besser? Wissen sie es besser, sind aber, aus welchen Gründen auch immer, zu unaufmerksam, um es zu merken? Warum merken sie es nichtmal, wenn ich es ihnen signalisiere?

Oder habe vielleicht auch ich den Straßenverkehr völlig falsch verstanden?

Bevor nun ein falscher Eindruck entsteht: Solche Ereignisse sind die Ausnahme. Aber sie kommen vor. Solches Verhalten stört den Verkehr, selbst wenn es einer in Tausend ist. Wegen sowas entstehen Stauungen und Unfallsituationen, im Extremfall werden Retter blockiert. Ich bin auch kein Engel auf der Straße, aber es gibt Dinge, die gehen nun wirklich gar nicht, erst recht, wenn man dann noch verstockt drauf beharrt!

Die Foren-Elfe

Es ist schon eine ganze Weile her, da hatte ich mit einem Bekannten eine Diskussion über das Verhalten im Internet und den Wert der Anonymität. Es ging dabei auch um Facebook und Twitter bzw. den Klarnamenzwang bei Facebook.

Nein, ich habe nicht die Lanze für den Klarnamenzwang gebrochen, aber ich habe angemerkt, dass die Anonymität (zu) oft für Trolling und Mobbing missbraucht werde. Tendenziell war ich – in der Unterhaltung auch die ältere Person – eher diejenige, die den Wert respektvollen Verhaltens hochhielt, auch wenn das Recht auf Anonymität und Freiheit im Internet für mich wichtig ist. Ich selbst fand es sehr schwierig, in für das Opfer schädlichen Trolling-Situationen zwischen der (Meinungs-)Freiheit durch Anonymität und dem Schutz der Opfer ausgehebelter Regeln des respektvollen Umgangs abzuwägen. Mein Gegenüber sah das Problem, hielt aber den Wert der Anonymität generell für bedeutender, oder zumindest in einem weiteren Spektrum von Szenarien als ich.

Nun – wie so oft, wenn man zwar respektvoll und nett miteinander umgeht, aber im genauen Grad dessen, was man haben will, nicht zusammenkommt, glitt das Thema über Beispiele und Erzählungen weg, Anekdoten wurden angebracht, gemeinsame Erfahrungen von zwei Seiten beleuchtet und eigene Geschichten erzählt. Ich glaube, das Ganze hatte sich damals an der erklärten Absicht meines Gesprächspartners entzündet, den Urheber einer seiner (und nebenbei auch meiner) Ansicht nach indiskutablen These zu „trollen“.

Kurz und gut, ich vertrat die Ansicht, dass bei allem Schätzen von Ironie und Sarkasmus, allem Zynismus und aller erklärten Bösartigkeit, man doch erstmal davon ausgehen solle, der Gegenüber wisse es nicht besser. Freilich, bei vielen Thesen und Ansichten ist der drölfzigste Vertreter einer gegen eine beliebige Gruppe oder gegen alle respektlosen oder schlichtweg dumm-falschen Aussage schwer als der drölfzigste potentiell Ahnungslose zu akzeptieren. Ich plädierte und plädiere aber dafür, weiterhin bei jedem anzunehmen, er wisse es bisher nur nicht besser – und sei somit weder ein Agitator noch ein Troll. Zugegeben, das ist schwer aufrecht zu erhalten, bei der Fülle von Trollen und – nun, ähm – Idioten, die sich im sprichwörtlich Mulder’schen „da draußen“ tummeln. Aber ich konnte damals anhand meines Verhaltens, das er soweit auch mitbekommen habe, glaubhaft aufzeigen, dass ich es zumindest versuche.

Daraufhin bedachte er mich mit dem Attribut der „Foren-Elfe“ im Gegensatz zum „Foren-Troll“. Wie ich in den vergangenen Absätzen schon angedeutet habe, ist das ein Ideal, dem ich nicht gerecht werde. Gerade in Zeiten von Meinungsblasen, propagandistisch agierenden Bots und dergleichen wird man die Trolle durch Verblasen von Internet-Elfenglitzerstaub nicht vollständig neutralisieren können. Ich denke aber, es wird sehr vielen Menschen, die im Moment im Interesse ihres Eigenschutzes drastische Einschränkungen der Anonymität im Netz befürworten oder sich nur auf (anderweitig, verborgen restriktiven) geschlossenen und mit bestimmten Interessen betriebenen Netzwerken herumtreiben, vielleicht ein bisschen Hoffnung machen, auch ohne neue Mauern sicher und nicht allein zu sein, wenn es ein paar mehr Internet-Elfen gibt. Wenn ich den Netz-Troll aussperre, wird’s draußen wilder und ich bin dem Schutzgeber auf Gedeih und Verderb ausgeliefert. Betätige ich mich als Netz-Elfe und lebe vor, was ich gerne erfahren möchte, hole ich vielleicht den einen oder anderen Troll auf die helle Seite des Netzes.

Wir sind alle keine Harfe spielenden Engel, da bin ich sicher, ich bin ganz bestimmt keiner. Aber wenn wir wagen, mal nicht Feuer mit Feuer zu bekämpfen, sondern mit Wasser – hat das schon was für sich. Oder wenn wir unserem andere Meinungen vertretenden Gegenüber mal versuchen, unsere Wahrheit wie einen Bademantel zum Hineinschlüpfen hinzuhalten, statt sie ihm wie ein nasses Handtuch über den Kopf zu schlagen, wer weiß, was wir zurückbekommen?

Ich jedenfalls versuche, mich daran zu erinnern, dass es da dieses Ideal gibt, das mein Bekannter die „Foren-Elfe“, im weiteren Sinne die „Internet-Elfe“ nannte – und diesem Ideal gerecht zu werden. Es gibt viele da draußen, die das auch tun – und je mehr es sind, um so weniger brauchen wir all die Filterblasen, Wälle und Block-Funktionen.

Für mehr Internet-Elfenglitzerstaub!