Fünfhundert

Fünfhundert Krieger verteidigen heldenhaft gegen eine erdrückende Übermacht ein enges Schlachtfeld zwischen Bergen und Meer …

Moment mal! Erstens waren das dreihundert und zweitens will ich doch gar nicht über die Schlacht bei den Thermopylen schreiben, sondern nur den Eindruck erwecken, dass ich das täte. Aber ich habe die Zahl im Titel natürlich nicht zufällig gewählt. Mit einem gewissen Modell beziehungsweise einer Reihe von Modellen eines italienischen Autoherstellers hat das hier auch nichts zu tun.

Es geht um gelaufene Kilometer. Am heutigen, fünfzigsten Tag des Jahres 2019 habe ich an aufsummierter Strecke über dieses Jahr die fünfhundert Kilometer überschritten. Das sind etwas mehr als zehn Kilometer am Tag, im Schnitt. Das hätte ich nicht geglaubt, wenn man es mir im Dezember vorhergesagt hätte. Aber es ist so eingetreten.

Fünfhundert. Das hat schon was von Schweiß und gefühltem Heldentum, für mich selbst. Auch wenn’s eigentlich nur für Fleiß steht. Zum Glück! Zu Schlachten mit Blut, Verrat und Tod will ich das laufen nicht werden lassen – im Wettkampf nicht, im Training mal erst recht nicht.

Broad Peak

Der Falchan Kangri oder auch Broad Peak ist mit 8051 Metern Höhe der zwölfthöchste Berg der Welt. Er bildet mit zwei anderen Achttausendern (Hidden Peak und Gasherbrum II) die Gasherbrum-Gruppe im Karakorum, an der Grenze zwischen Pakistan und China. Größer eingeordnet ist er Teil des Gebirgszuges Baltoro Muztagh, zu dem auch der nördlich vom Broad Peak gelegene K2 gehört.

Mir dient er aber gerade als Illustration für eine Eigenschaft des Straßenverkehrs. Die Fahrzeit von meinem Zuhause zu meiner Arbeit am Morgen hat nämlich auch einen ziemlich breiten Gipfel, der mit der vom „Peak“ suggerierten „Spitze“ nichts mehr zu tun hat. Ich möchte das wie untenstehend gezeigt illustrieren:

Broad_Peak_Axes.jpg

Bildoriginal von Svy123 (Own work) (http://creativecommons.org/licenses/by/3.0), via Wikimedia Commons. Achsen, Achsenbeschriftung und rote Linie von The Highway Tales.

Ohne Verkehr dauert die Fahrt etwa 55 Minuten – mit dem derzeitigen Umweg durch Baustellen vielleicht eine Stunde. Die rote Linie, welche die Konturen des Fotos vom Broad Peak nachzeichnet, ist natürlich keine akkurate Messung, die aus Fahrzeiten und mit statistischen Methoden abgeleitet wurde, sondern eine gefühlte Linie, deren Ähnlichkeit mit der Silhouette des Falchan Kangri natürlich rein zufällig ist.

Vielleicht, wenn ich um halb fünf aufstehen und um sechs losfahren würde, könnte ich vor dem breiten Gipfel der Fahrzeit zur Arbeit kommen. Da mein Biorhythmus aber eher zum Aufstehen gegen sieben oder acht tendiert und schon um sechs aufstehen ziemlich anstrengend für mich ist, kommt das nicht in Frage. Auf dem Abstieg auf der späten Seite ist es aber definitiv zu spät für die Arbeit. Mir bleibt also kaum eine andere Wahl als jeden Tag über den Gipfelgrat des „Broad Peak“ zu steigen; mit fiesen Anstiegen der Reisezeit in den Baustellen bei Rastatt und Stuttgart, vor allem aber einem recht giftigen Steilhang der Fahrtdauer vor Pforzheim Ost.

Die Maschine …

… ist eine Bezeichnung, die ich gelegentlich für meinen Körper verwende. Das ist nun nicht so respektlos gegenüber dem Heim für meine Seele und meinen Geist, wie es den Anschein haben könnte. Ich benutze diese Bezeichnung vor allem beim Sport.

Beim Laufen merke ich sehr gut, wie viele verschiedene Teile meines Körpers zusammenspielen. Das Herz schlägt schneller, das Blut wird anders verteilt, beim Erzeugen mechanischer Leistung produzierte Abwärme muss abgeführt werden, die Versorgung mit Sauerstoff und Entsorgung von Kohlendioxid über die Atmung wird umgeregelt … manchmal, wenn ich genau in mich reinhöre, merke ich auch andere Veränderungen. Gerade als Person mit Colitis ulcerosa „höre“ ich natürlich auch auf meinen Verdauungstrakt und bemerke manchmal, wie er abhängig von Intensität des Laufens und abhängig von Tagesform und Krankheitszustand unterschiedlich reagiert.

Auf der Oberfläche kommen solche etwas skurril-witzigen Anmerkungen wie „Ich stehe in einer Pfütze aus Kühlmittel-Kondensat“, wenn ich nach einem intensiven Lauf oder nach einem Lauf bei angenehm sommerlicher Temperatur gefühlt oder auch buchstäblich im eigenen Schweiß stehe. Auch der Vergleich mit dem Nachfüllen von Kühlmittel bei „offenem Volumenregelsystem“, in einem Analogon zu Kraftwerks-Kühlsystemen, fällt unter diese Kategorie. Eigentlich geht der Vergleich aber tiefer. Der menschliche Organismus und seine Leistungsfähigkeit sind ein faszinierendes Feld. Bei sehr vielen Stoffen finde ich spannend, dass sie gebraucht werden und wofür eigentlich – unsere Nerven zum Beispiel sind ja keine Leitungen im Sinne von Kupferdraht, sie leiten über elektrisch spannungsempfindliche Poren und ein im leit-bereiten Zustand bestehendes Ungleichgewicht von Kalium- und Natrium-Ionen inner- beziehungsweise außerhalb der Nervenzelle. Plötzlich wird auch klar, warum Kalium so wichtig ist – und die Kartoffeln als Kalium-Quelle sind dann nicht mehr nur Energiequelle durch ihre Stärke, sondern versorgen auch den Körper mit Kalium … in einer intensiv salz-benutzenden Gesellschaft wie der unseren ist die Sorge um den Natrium-Mangel glaube ich dann eher unbegründet. Dann ist da das Eisen für die Sauerstoffspeicherung in Blut (Hämoglobin) und Muskeln (Myoglobin) …

Für mich ist immer wieder spannend, was wie und wo funktioniert, mit welchen Mitteln der Körper Aufgaben erledigt, die auch in künstlichen Maschinen – weitgehend weniger „kreativ“ – gelöst werden müssen. Energieerzeugung, Energietransport, Abfuhr von Abwärme und Reststoffen, Speicherung, Freisetzung und Regelung von Vorgängen, all das kriegt der Körper in bemerkenswerter Harmonie mit erstaunlich vielfältigen und effizienten Methoden hin – wenn man ihn lässt, es gelegentlich auch abruft und ihn hinreichend mit den dafür benötigten Stoffen versorgt.

Wenn ich nun aber laufe, die direkte Reaktion meines Herzschlags auf Veränderungen der Intensität spüre und auf der Pulsuhr sehe, die Wärmeproduktion und -abfuhr über das Schwitzen und das Wärmegefühl erfühle, den Atemrhythmus beobachte, auch die unterschiedliche Dynamik beim Abspringen bei unterschiedlichem Tempo registriere – dann ist die Bezeichnung „die Maschine“ für den Körper eine Verneigung, zumindest gemäß des Gefühls, das ich dabei habe. „Die Maschine läuft“ schließlich sage ich gerne mal, wenn ich mich mit einer zufriedenstellenden Leistung beim Laufen so richtig rundum pudelwohl fühle – ein sehr angenehmes Gefühl. Maschine mit emotional behafteter Sensorik und Steuerung … meine Maschine. Tolles Ding, diese Maschine!