Alternatives Training (der anderen Art)

Gestern Abend hat meine vívosport von 22:20 am Freitagabend bis 1:40 am Samstagmorgen durchgängig eine Aktivität mit einem Puls zwischen 107 und 130 Schlägen in der Minute erfasst. Insgesamt bin ich laut den sogenannten „move-IQ-Ereignissen“ eine Stunde und zwei Minuten geschwommen in dieser Zeit. „move-IQ“ versucht ja, anhand der Bewegungen des Trackers am Handgelenk herauszufinden, ob man gerade irgendeine Aktivität betreibt – beim Gehen funktioniert das super. Aber ich war gestern Abend nicht im Schwimmbad …

Was also war passiert?

Genau: Ich hatte mich gestern Abend, wie meine Mama so schön sagte, gespornt und gestiefelt, und war ins Nachtwerk in Karlsruhe zur Covenant- und VNV-Nation-Party gefahren. Schon direkt am Anfang lief Musik, mit der ich mich sehr gut anfreunden konnte, nach einem kurzen Blick zum DJ-Pult ging ich auf die Fläche. Da war ich die Erste – und blieb auch vorerst eine von wenigen. Der DJ scheint zu wissen, was ich mag und eventuell bei anderen nicht so gut ankommt, jedenfalls lässt sich so erklären, dass recht schnell nach meinem Eintreffen ein erster Song von Apoptygma Berzerk lief, nach sechs, sieben oder acht Liedern dann eines meiner VNV-Lieblingslieder („Resolution“), bei dem ich so tief in den „Flow“ eintauchte, dass die vorne etwas abgerundeten Sohlen meiner Plateaustiefel, der Fluss von Körper und Musik und all das einen … äh, „Verlust der exakten Richtung der Schwerkraft“ beschafften. Nicht, dass ich dann fallen würde, es ist eher ein Schweben, bei dem man sich besser eine Runde drauf konzentriert, stehen zu bleiben. Irgendwann vor Mitternacht machte ich ein halbes Lied Pause, um mir was zu trinken zu holen und an das Tischchen direkt an der Tanzfläche zu stellen. Davon nippte ich dann immer mal ein bisschen, aber mit Glas in der Hand auf die Fläche geht gar nicht – dafür tanze ich zu gerne, zu sehr mit dem ganzen Körper, vielleicht auch zu wild. Einen Wunsch äußerte ich später beim DJ, bekam ihn erfüllt … und ging dann, als die musikalische Gangart gefühlt häufiger in härtere Gefilde abglitt, glücklich und ein bisschen KO nach Hause.

Früher … naja, früher hat meine Kondition dem Tanzen manchmal eine Grenze gesetzt. Heute passiert das eher nicht mehr. Heute ist es höchstens, wenn ich mit jemandem reden möchte, was zu trinken brauche oder ansonsten eine Pause haben will. Aber in der Disco bin ich auch kein soziales Wesen mehr. Ich gehe hin, um zu tanzen, zum reden ist es eh zu laut.

Und wenn sie tanzt …

… spielt als Titel natürlich auf ein Lied an. Auf ein Lied, das ich gestern Abend beim Tanzen definitiv nicht gehört habe. Dennoch ist es eine spezielle Sache, wenn ich tanzen gehe. Es ist etwas wichtiges, besonderes für mich, tanzen zu gehen.

Zunächst mal führe ich beim tanzen gehen meist bestimmte Kleider aus, an denen mir einiges liegt, für die ich aber viel zu selten Gelegenheit bekomme. Meist sind’s die etwas krasseren Stiefel, mit Plateau und hohem Absatz und Schnürung vorne, dazu eine Kombination aus kurzem Petticoat und Tüll, Samt oder Schleifchen in Sachen Rock, meist ein Korsett, gelegentlich auch mal oberarmlange Handschuhe. Ich zieh‘ das nicht an, um irgendwem aufzufallen, sondern um mich gut zu fühlen – ganz ich selbst. Es ist eher narzisstisch als anbiedernd oder lockend in irgendeine Richtung, auch wenn (und vielleicht gerade weil) ich weiß, dass es gar nicht schlecht aussieht. Und dann geht’s los, in die Disco. Bevorzugt natürlich in einen „schwarzen“ Laden, also in eine Disco, die in irgendeiner Form Gothic-Bezug hat. Dort fühle ich mich wohl. Wenn’s gut läuft, ist es eine Party, auf der es um elektronische Tanzmusik geht, bevorzugt die etwas „weichere“. Die VNV-Nation-und-Covenant-Party im Nachtwerk ist da eine, die ich sehr gerne besuche, wenn auch viel zu selten.

Gestern war ich mal wieder dort. Wenn ich dann auf die Tanzfläche gehe, geht es im Wesentlichen um mich und die Musik und um sonst gar nichts. Früher war die Disco für mich auch mal sozialer Bezugspunkt, heute ist das kaum mehr so. Die Leute, die ich in der Disco treffe, treffe ich zum Reden lieber an Orten, wo es leiser ist und wo nicht ständig der nächste Track lauert, der mich das Gespräch abbrechen und auf die Tanzfläche stürmen lässt, so wie der Skip-the-Hit-Hit „Control“ gestern. Allerdings gehe ich in die Disco, um zu tanzen. Zum Reden ist es eh zu laut. Oft schaue ich, dass ich rechtzeitig dort bin, so dass ich zuerst noch recht viel Platz auf der Tanzfläche habe, um mich mit mir selbst in Einklang zu bringen. Dieses Mal war der DJ dann gleich ein „Wissender“: Er weiß, was ich mag, und da ich allein auf der Fläche war, spielte er’s auch. „If I Was“ von VNV Nation auf dem Album Transnational ist nicht so der klassische Tanzflächenfüller. „Eclipse“ von Apoptygma Berzerk ist alt genug, dass viele es nicht mehr hören wollen. Beides bekam ich, als ich noch allein auf der Fläche war – tolle Sache. Aber auf der Party mit Thema VNV und Covenant muss ich mir eigentlich nichts wünschen. Lustigerweise kriege ich meist genau das, was ich gewünscht habe, besonders schnell – vielleicht auch, weil ich in die Stimmung eintauche und das, was ich mir wünsche, gut dazu passt. So war’s gestern mit dem „Timekiller“ von Project Pitchfork und mit „Only Satellites“ von VNV Nation.

Aber „wenn sie tanzt“ war mein Thema. Wenn ich tanze, bringe ich tatsächlich all die Stimmen in meinem Kopf zur Ruhe, bin Rhythmus, Bewegung, Körper und sonst nichts. Dann bin ich eine andere Zusammenstellung der Komponenten meines Ichs als sonst, eine sehr entspannende, eine sehr angenehme Erfahrung. Ich bin nicht unbedingt ein für die Umwelt besseres „Ich“ oder eine für meine Umwelt bessere Zusammenstellung meiner Komponenten als sonst. Im Gegenteil, ich bin sehr nach innen gewendet, aber wenig meditativ, wenn auch trance-artig. Ich möchte auch nicht immer so sein. Die unglaubliche Menge flirrender Ideen und Geschichtenansätze, die ständig in mir darum buhlen, von der Ratio geordnet und zu Geschichten geformt zu werden, sind mir wichtig. Aber beim Tanzen bringe ich sie zur Ruhe. Das funktioniert meist sogar viel besser als meditative Praktiken, sogar zuverlässiger.

Nach vier Stunden taten mir dann die Füße weh. Ich war KO. Ich bin Laufen gewöhnt, aber Tanzen nicht mehr so. Ich mache das zu selten, inzwischen. Vielleicht kann ich das ändern. Jedenfalls war ich gestern tanzen. Ich bin heute müde und KO, fühle mich irgendwie schwer. Aber ich fühle mich auch sehr gut. Es ist dieser Unterschied zwischen bleierner und wohliger Müdigkeit. Nur eben auch im mentalen.

Vielleicht ist es doch was Meditatives. Die Systematikerin in der Phantastin in mir setzt einen Weg der Fülle und des Äußeren hier einem ebenfalls guten Weg der Stille und des Inneren entgegen. Das hatte ich schonmal für eine Geschichte so gebastelt, vielleicht auch, weil ich diesen Weg der Fülle und des Äußeren neben still-meditativen Erfahrungen als etwas – ähnliches auf anderem Wege beim Tanzen erlebe.

Schwäne

Heute Abend ist es so weit! Nach einem VNV Nation Resonance Konzert am 22.12. kommt heute die zweite wundervolle Veranstaltung für diesen Jahresabschluss:

Schwanensee
aufgeführt vom Russischen Nationalballett
im Stadeum in Stade

Zeit für mich, ein paar Worte über meine Leidenschaft für Ballett zu verlieren. Erstmal allerdings möchte ich sagen: Ich bin keine Expertin. Ich habe nicht selbst getanzt, als Kind – das tat meine Schwester. Aber wenn meine Mutter und meine Schwester Tanztheater ansehen gingen, war ich dabei, während mein Vater oft nicht mitkam. Ich liebe Ballett! Natürlich habe ich über Recherchen und über die Erzählungen meiner Schwester durchaus das eine oder andere mitbekommen, wie es funktioniert. Aber vor allem bin ich eine Bewunderin der Ästhetik dieser Kunstform – eine begeisterte Bewunderin!

Ballett ist für mich eine Kunstform für klare Handlungen, für das Märchen. Da ist Schwanensee natürlich der große Klassiker – mit dem ich auch am meisten anfangen kann. Ich liebe die Musik von Tschaikowsky, ich liebe die Tutus in Schwanensee und gerade auch die Märchenhandlung mit dramatisch-tragischem Ende. Ich finde das wundervoll, und ich gerade ins Schwärmen, wenn ich vom Pas-des-Deux im dritten Akt erzähle, vom Tanz zwischen Siegfried und Odile, mit der enttäuschten, gepeinigten Odette hinter dem halbdurchscheinenden Fenster im Hintergrund der Bühne. Da stoße ich oft auf Unverständnis: Manchem ist das Ganze einfach zu klischeehaft, andere können mit dem Tanz gar nichts anfangen, zumindest mit Ballett in Sachen Tanz. Für mich ist das ein Hochgenuss. Nicht nur die Ästhetik an sich, die Darstellungsform, sondern auch die Leichtigkeit, die darin liegt, auch wenn sie unheimlich schwer erarbeitet ist. Für mich liegt im Ballett eine leichte Ästhetik und prickelnde Erotik, die ich einfach genieße – man kann mir noch so oft erzählen, dass Schwanensee ein simple Märchenstory ist, dass auch andere Ballett-Stücke, die ich gerne sehe, eher simple Geschichten sind. Man kann mir noch so oft erklären, wie hart erarbeitet die Leichtigkeit ist, wie destruktiv Ballett für den Körper der Tänzerinnen und Tänzer sein kann. Ich schaue es gerne an, träume davon. Mein Kopf schafft auch gelegentlich Geschichten, Kostüme, Grob-Choreographien eigener Geschichten – für die Feinheiten habe ich zu wenig Ahnung. Aber letztlich orientiert sich meine Phantasie doch immer an der Art der Darstellung, an den Kostümen und an der Strukturierung von Geschichte und Tanz, wie ich sie von Schwanensee kenne. Natürlich gibt’s den Nussknacker, Giselle und wie sie alle heißen – oder Dornröschen, zum Beispiel. Auch gerne einmal sehen würde ich „Der Rote Mohn“ mit Musik von Glière – was seit dem Lesen einer von glühender Verehrung geprägten biographischen Annäherung an Galina Ulanova meine Phantasie beflügelt. Auch immer wieder in meinen Gedanken ist der Grabstein Galina Ulanovas … der sie in Stein im Schwanensee-Hauptrollenkostüm zeigt.

Wie Ihr seht, ich komme immer wieder zu Schwanensee zurück und schwärme wie ein kleines Mädchen. Das wird klasse, heute Abend!

Tanzen!

Tanzen. Früher habe ich das oft gemacht, oft, viel und ausführlich. Mit 16 bis Mitte meiner Zwanziger war es Gesellschaftstanz, danach vor allem Tanzen in der Disco, wobei das eigentlich im Gothic-Club meint. Ich könnte jetzt alt klingen: „Damals, als das Culteum in Karlsruhe noch Kulturruine hieß und auf der Vampiralen Nacht vor der Sommerpause Leute wegen Überfüllung nicht mehr reinkamen und nach zwei Stunden Kondenswasser von der Decke tropfte …“

Aber so alt bin ja noch gar nicht. Klar, ich habe 2002 bis 2009 die Karlsruher Clubs intensiv besucht – Kulturruine, später Culteum, das Nachtwerk, den Cubus … oh, der Cubus, das war auch so ein Ding!

Jedenfalls habe ich es gestern wieder einmal geschafft, so ein bisschen auszugehen. In Baden-Württemberg ist Feiertag und daher war die VNV Nation und Covenant Party im Nachtwerk am Mittwochabend. Nachmittags wurde ich von einem Freund, der nicht dort hingehen würde, darauf angespitzt, weil einer seiner Freunde dort hingehen würde. Ich hatte Kopfschmerzen, außerdem ist Mittwochabends WNF. Also war ich auf dem Trip: „Nö, mache ich nicht, keine Zeit …“ Alles Ausredenblabla, wie ich inzwischen weiß. Ich war angefixt, bekam den Gedanken an’s Ausgehen nicht mehr aus dem Kopf. Nach dem Heimkommen lief ich erstmal eine Runde, um meine Kopfschmerzen wegzubekommen. Fünf Kilometer waren es, mit steigendem Tempo und steigender Herzfrequenz, und danach war ich verschwitzt und die Kopfschmerzen gingen weg. Hungrig war ich auch. Wir aßen eine Kleinigkeit, spielten unsere WNF-Runde, derzeit ist dabei „The Elder Scrolls Online“ angesagt. Mir wurde nun klar: „Okay, Tally, Du WILLST ausgehen!“

Und das tat ich dann auch! Ich zog mich an, war noch so ein bisschen am Nervöswerden, da ich so lange nicht ausgegangen war, zumindest was Disco angeht. Aber ich tat es, um 23:20 war ich am Nachtwerk. Viel los war nicht, aber das war mir gerade recht. Ich traf den Bekannten (der Freund meines Freundes ist) und wir unterhielten uns kurz. Er erzählte mir, wie es bei diesem DJ mit Wünschen läuft, und ich äußerte rasch den Wunsch: „VNV – Standing“. Dass ich nicht „Nation“ dazu schreiben muss, ist glaube ich klar. Prompt wurde der Wunsch erfüllt und ich war da schon anderthalb Lieder auf der Tanzfläche. Irgendwann, es muss wohl so gegen eins gewesen sein, merkte ich: „Durst!“ Also ging ich mir was zu trinken holen und unterhielt mich an der Bar zwei Lieder lang mit einem alten Bekannten aus der Kulturruine-Zeit, trank die Hälfte meiner Cola aus und dann zog es mich wieder auf die Fläche. Das nächste Mal wachte ich aus meiner Tanz-Trance gegen 2:45 auf, wobei ich zwischenzeitlich noch von Apoptygma Berzerk „Non-stop Violence“ wünschte und erfüllt bekam. Aber auch da gab es keine lange Pause, der DJ beschied mir, dass er „Homeward“ von VNV als Rausschmeißer spielen würde – gegen zehn nach drei. Also blieb ich, bis die Lichter angingen, habe mich also dreieinhalb Stunden mit nur kurzen Unterbrechungen auf der Tanzfläche aufgehalten. Klar, die Intensität ist nicht mit dem Laufen vergleichbar, aber ich habe mich doch bewegt, von der Musik getrieben, die Musik spürend, Rhythmus und Melodie durch meinen Körper fließen lassend.

Danach brannten mir die Füße, ich hatte schon wieder Hunger und war völlig erledigt, aber auch sehr, sehr glücklich. Im Endeffekt ist die Schlussfolgerung, dass ich einen Schleudersitz im Sofa brauche, der mich tanzen scheucht! Denn es tut mir gut, es ist Bewegung und ich habe die Kondition, meinen durchaus anstrengenden Tanzstil für drei Stunden und mehr am Stück durchzuhalten.