Was ist eine Blogsie?
Ich fange mal am Anfang an, sozusagen in grauer Vorzeit. Ich war frisch auf dem Gymnasium, zehn oder elf Jahre alt, und begann Englisch zu lernen. In meiner Muttersprache, dem Deutschen, benutzte ich die Grammatik instinktiv und meistens richtig, im Englischen musste ich sie erst einmal lernen. Eines der ersten Themen war das grammatikalische Geschlecht bzw. die Art, wie man grammatikalisches Geschlecht und Plural – zum Beispiel – zusammen verwendet. Was mich damals tief beeindruckte, war die Tatsache, dass es im Englischen an vielen Begriffen kein „-in“ braucht, um eine weibliche Form zu bilden. Ob ich nun Mann oder Frau bin, ein „pupil“ im britischen Englisch und ein „student“ im amerikanischen Englisch deckt Schüler/in im Deutschen ab. Mir wurde bewusst, dass Begriffe eine starke Auswirkung haben. In einem anderen Kontext wurde dann die Frage gestellt, wann für eine Gruppe ein feminines Plural-Pronomen verwendet wird – nicht, wenn sie größtenteils aus Frauen besteht, nein, sondern nur, wenn sie ausschließlich aus Frauen besteht. Ansonsten gilt das generische Maskulinum. Das kam wohl von meinem Französischlehrer, einige Jahre später – und löste hämisches Grinsen bei den Jungs in der Klasse aus.
Ich möchte hier nun kein Fass bezüglich gender-korrekter Sprache aufmachen, auch wenn ich fürchte, genau das zu tun. Der Gedanke treibt mich aber um, denn ich habe recht früh einen spielerischen Gebrauch von Sprache erlernt – zum Beispiel in Form des „Sprachbastelbuchs“, das mir meine Mutter geschenkt hatte. Darin gab es so lustige kleine Spielchen wie ein Dreieck, das den Osterhasen anflehte, „es nicht zu tun“. Der Hase tat’s doch und zurück blieb nur Dreck. Auch über Komposita, Assoziationen und viele weitere Spielereien mit Begriffen, Sprachstrukturen und dergleichen wurde darin geschrieben, aber nicht in abstrakter Form, sondern in anschaulichen, lustigen, manchmal auch nicht so lustigen Beispielen. Was die Assoziationen, die Spiele mit der Sprache, das Jonglieren mit Begriffen mit mir machten, mit meinem Geist und meinen Emotionen, hat mich beeindruckt. Sprache ist ein mächtiges Werkzeug. Begriffe, teils auch Sprachstrukturen haben Einfluss auf unser Denken.
Mitte 20, also reichlich zehn Jahre später, bastelte ich an einer Phantasie-Welt, die inzwischen schon wieder in der Versenkung verschwunden ist. Dort gab es ein Volk, dem ich auch eine Sprache geben wollte – denn ich wollte die in Konversationen eingestreuten Begriffe auch richtig verwenden, auch wenn es die Phantasie-Sprache eines von mir geschaffenen Phantasie-Volkes war. Obwohl das nichts zur Sache tut: Dieses Drachenreiter-Volk lebte in einer uralten, gewaltigen Caldera eines erloschenen Super-Vulkans, umgeben von ihnen mehr oder weniger feindlich gesinnten anderen Völkern. Sie ritten meist zu zweit – ein Ritter, ein Magier – auf dem Rücken großer Drachen, die eine mystische mental-emotionale Verbindung zum Ritter des Reiter-Duos hatten. Die grob humanoiden Reiter selbst konnten mit raubvogelartigen Flügeln fliegen, da ich mir nicht so recht vorstellen mochte, dass ein nicht flugfähiges Volk sich dem Ritt auf fliegenden, VIEL größeren Tieren anvertrauen würde – einfach aus Gründen des Selbsterhalts. Nun ja, ich schweife ab.
Jedenfalls gab ich denen eine Sprache. Ich hatte mich durch das „Sprachbastelbuch“ und meine oben erwähnten Aha-Erlebnisse während des Erlernens von Fremdsprachen darauf eingestellt, dass auch die Grammatik einer Sprache ein Abbild des Denkens ihrer Sprecher ist. In meinen Augen waren Drachenreiter und Drachen selbst ein Volk, das schon sehr lange gleichberechtigt agierte. Ob eine Aufgabe von einem Mann oder einer Frau erledigt wurde, war im sturmumtosten, oft kalten, kargen Gebirge, in dem die Drachenreiter mit anderen fliegenden Wesen um Jagdbeute konkurrierten und oft auch gegen sie kämpften, nicht so bedeutend. Viel bedeutender war, dass die Aufgabe erledigt wurde. Außerdem wollte ich in der Sprache zum Ausdruck bringen, dass bei gemischten Gruppen dieses Volks eigentlich keine Rolle spielte, ob sie vorwiegend weiblich oder vorwiegend männlich waren – nur, wenn es reine Männer- oder Frauengruppen waren, sollte man das zum Ausdruck bringen können. In der Konsequenz gab es damit FÜNF grammatikalische Geschlechter in dieser Sprache: dinglich (unbelebt), geschlechtsneutral (belebt, aber kein Geschlecht spezifiziert), weiblich, männlich und schließlich „sowohl als auch“. Das Fünfte, also das „sowohl-als-auch“-Geschlecht, war zuerst nur für explizit geschlechtsgemischte Personengruppen, also im Plural gedacht.
Also gab es dann fünf grammatikalische Geschlechter, und die jeweils in Singular und Plural. Nach kurzem Nachdenken fielen „dinglich/unbelebt“ und „nicht festgelegt“ wieder in sich zusammen, denn ich überlegte mir, wie das grammatikalische Geschlecht sich in der Sprache tatsächlich äußern sollte. Ich kam auf die Idee, an meine Phantasie-Wortstämme Suffixe anzuhängen: -u für männlich, Singular, -a für weiblich, Singular und -o für „sowohl-als-auch“, Singular. Für unspezifiziert oder dinglich sollte nur der Wortstamm verwendet werden. Wie ich das mit dem Plural genau geregelt hatte, weiß ich nicht mehr. Allerdings hatte ich auch dabei darauf geachtet, dass die weibliche Version nicht „generisches Maskulinum plus Suffix“ war, sondern es einen geschlechtsneutralen Stamm gab, ein Pluralsuffix und dann, falls relevant – über voneinander unabhängige weitere Suffixe das Geschlecht spezifiziert werden sollte.
Hier endet die Vorgeschichte. Mir fiel nun auf, dass fast überall in unserer Sprache Berufs- oder Tätigkeitsbezeichnungen sich auf Männer beziehen und weibliche Bezeichnungen durch Suffixe an die männliche Bezeichnung gebildet werden. Ich bin eine Bloggerin. Eine Pendlerin und Physikerin. Mein Mann ist Kommunikationselektriker – ohne ein „-in“ hintenan. An sich ist diese Erkenntnis weder innovativ noch revolutionär. Darüber haben schon viele nachgedacht und Lösungen mit „*“ oder „Binnen-I“ oder was auch immer gesucht und gefunden. Im Andenken an das Sprachbastelbuch habe ich nun den Blogger als Blog-Er gelesen. Eine Frau, die ein Blog betreibt, wäre demnach eine Blog-Sie … verkürzt zu „Blogsie“. Pendelsie bin ich auch, und Physiksie.
Nicht, dass ich das 100% ernst meinen würde, zumal der Ansatz nicht voll verallgemeinerbar ist. Aber: Sprache ist ein mächtiges Werkzeug, das über Begriffe das Denken prägt, jedoch auch ein herrlicher Baukasten für spielerische Experimente. Wenn nun die Blogleuts aus Bloggern und Blogsies bestehen, kann ich damit gut leben, wenn das einfach nur eine Schnapsidee ist. Der Punkt, auf den ich hinaus will, ist ein anderer – auch wenn ich inzwischen am Klang der Wortschöpfung „Blogsie“ echt einen Narren gefressen habe.