Zum Thema „Damentag“

Am Mittwochabend war ich ja in der Sauna. Mittwochs ist im von mir bevorzugten Saunapark „Damentag“, also sollen (?) oder dürfen nur Frauen in den Saunapark, während es im Thermalbad gemischt zugeht. Den Damentag hatte ich schon ein, zweimal ausprobiert, aber mich dort immer komisch gefühlt. Ich meine, ich bin eine Frau und wenn ich nackt auf meinem Handtuch sitze, kann darüber auch kein Zweifel bestehen, trotz etwas breiterer Schultern, tiefer Stimme und nicht unbedingt überbordernder Brust. Dennoch – oder vielleicht gerade deswegen – fühlte ich mich früher beim Damentag in der Sauna öfter mal beobachtet, hatte den Eindruck, taxiert zu werden – mehr als an den „gemischten“ Tagen. Das brachte mich auf den Punkt, dass ich eigentlich nicht mehr zum Damentag in die Sauna gehen wollte.

Einige meiner Freundinnen jedoch schwören auf den Modus „ausschließlich Frauen“ in der Sauna, weil sie sich von Männern unangenehm beobachtet fühlen. Das mag damit zu tun haben, dass sie gefälligere Figuren haben, um die ich sie beneide. Vielleicht hat es auch damit zu tun, dass ich mir meiner Weiblichkeit zeitweise unsicher war. Gelegentlich, beispielsweise wenn mich am Telefon aufgrund meiner Stimme als „Herr Schmidt“ identifiziert und ich in manchen Fällen einfach drüber weg gehe, weil es keine Rolle spielt, oder souverän erkläre „FRAU Schmidt – ich bin mir aber meiner Stimme bewusst, alles gut.“, nagt immer noch etwas im Inneren.

Am Mittwoch in der Sauna belauschte ich – naja, eher: hörte ich, denn aktiv habe ich nicht gelauscht – ein Gespräch zwischen zwei Damen, die erklärten, in Wochen, an denen das Bad mittwochs nicht auf habe, es also keinen Damentag gäbe, könnten sie nicht in die Sauna kommen. Aber ich scheine inzwischen souverän genug – und mir meistens meiner selbst, meiner Weiblichkeit hinreichend bewusst zu sein, um meine Vorbehalte gegen den Damentag abzulegen. Vielleicht hat sich auch der Blickwinkel der anderen verändert, aber ich glaube eigentlich eher, es liegt an mir.

Wer bin ich? Ich bin Vaiana

Wie schon im Titel genannt, geht es in diesem Beitrag und den Disney-Film „Vaiana“, im amerikanischen Englisch „Moana“. Da ich die englische Version für Europa gesehen habe und auch den Soundtrack zu dieser Version am laufenden Band höre, kommt in meinen Zitaten des englischen Texts auch der Name „Vaiana“ für die Hauptfigur vor – das ist auch im englischen Soundtrack für den europäischen Markt so.

Wie kam ich eigentlich zu Vaiana? Vor nicht allzu langer Zeit war das gar nicht so selbstverständlich, dass ich Disney-Filme von nach 1995 auch wirklich angesehen habe. „Tangled“, also „Rapunzel: Neu verföhnt!“ war der erste, mit dem ich wieder eingestiegen bin. Dann war da natürlich das Remake in Realfim von „Beauty and the Beast“, der damals in Zeichentrick mein allerliebster Disney-Film war und nun als Realverfilmung bleibt. Dass ich neben Tangled und Beauty and the Beast nun auch noch Frozen und Vaiana kennengelernt habe, ist einer Freundin zu verdanken, deren heute 10- und 14-jährige Töchter natürlich dafür sorgen, dass die Mama auch den ein oder anderen Disney-Film kennenlernen würde, wenn sie nicht selbst wollte – aber sie will. Zum Thema „Vaiana“ sagte sie zu mir: „Den musst du sehen. Der ist so unheimlich etwas für dich! Die Lieder erinnern mich so an dich!“

Was soll ich sagen: Sie hatte recht. Wie so oft – aber das ist eine andere Baustelle. Wer ist nun Vaiana? Vaiana ist die Tochter des Dorfhäuptlings, die vom Meer angezogen wird und deren Schicksal es ist, eine Großtat auf dem Meer zu vollbringen. Mehr möchte ich gar nicht spoilern. Für mich so bedeutend ist, wie Vaiana sich fühlt und welche Entwicklung sie über den Film durchmacht. Das ungeschickte Huhn, das lustige Schwein Pua und der Halbgott Maui, der mit seinem Haken in das Abenteuer eingreift, sind für mich nur Statisten.

Am Anfang steht da Vaiana, die ihren Vater, den Dorfhäuptling beerben soll. Doch immer wieder zieht es sie zum Wasser, benennen kann sie es aber nicht. Es ist diese Linie zwischen dem Meer und dem Himmel, der Horizont, der Vaiana ruft. Sie weiß nicht, wieso. Sie möchte die Rolle erfüllen, die das Dorf für sie bereithält, die man von ihr erwartet. Sie möchte das sein, was die anderen wollen, dass sie es ist, was die anderen brauchen – einen neuen Häuptling, wenn Vaianas Vater sich zur Ruhe setzt.

https://www.youtube-nocookie.com/watch?v=cPAbx5kgCJo

Ein für mich ganz wichtiger Schlüsselmoment ist diese Sequenz, in der mitten in dem Willen, die vorgesehene Rolle zu erfüllen, sich die Sehnsucht einschleicht.

But the voice inside
Sings a different song

What is wrong with me?

Was habe ich mich das schon gefragt! Ich war immer ein ruhiges Kind, ich hatte viel Vorstellungskraft, lebte teils in meiner Phantasie. Dann waren da Dinge, die an mir anders waren, aber benennen konnte ich sie lange nicht. Erst später wurde mir klar, dass ich vielleicht meine Rolle neu interpretieren müsse, nicht in der vorgezeichneten Weise hineinleben müsse.

Dann kommt der Aufbruch. Natürlich geht Vaiana doch auf ihre Heldenreise – hey, es ist ein Disney-Film und wenn das ein Spoiler wäre … Der Wunsch nach dem Aufbruch, die Sehnsucht nach dem unbestimmten Anderen, aber auch das Wissen, dass da mehr ist als nur etwas „Falsches“ in Vaiana, hier über die Rolle der Ahnen in der Gesellschaft und über die Lebensart der Ahnen, begleiten sie und geben ihr Halt. Sie verlässt dabei ihre Insel, ihr Dorf und bricht mit der Rolle. Auch das kenne ich sehr gut …

https://www.youtube-nocookie.com/watch?v=keGr19WWwoA

Und natürlich kommt sie, die Krise. Draußen auf dem Meer, am Rand des Scheiterns. Doch da ist der Geist der Mentorin – in meinem Fall war’s oft der Mentor, mein Großvater. Bei Vaiana/Moana ist es Tala, die Großmutter, deren musikalisches Thema mit „The Village’s Strangelady“ überschrieben ist. Rachel House singt sie – auch den Geist der Großmutter, der Vaiana hier in ihrer dunkelsten Stunde begegnet. An dieser Stelle kommt dann alles zusammen: Tala stellt Vaiana die Frage: „Vaiana, do you know who you are?“ Die verunsicherte Vaiana antwortet mit der Wiederholung der Frage: „Who am I?“ An dieser Stelle spüre ich all das, was ich – wie eben Vaiana – an Weg gegangen bin. Bereits bei der Wiederholung des immer wiederkehrenden „It calls me!“ ist die Gänsehaut fast unerträglich.

I’m a girl who loves my island
And a girl who loves the sea
It CALLS me!

Wie soll ich sagen? An dieser Stelle wird es klar. Ich muss mich nicht zwischen dem vorgezeichneten Weg und dem, was mich ruft, entscheiden. Es kommt zusammen, es sind nicht zwei Wege, es ist die Herausforderung, sie zu einem zu verweben. Ich könnte auch zu dem weiteren, zu jeder Zeile, so viel schreiben. Doch das wird zu viel. Wichtig ist noch der Moment, in dem Vaiana feststellt, dass der Ruf, der „Call“ in ihr ist, nicht von außen kommt. Hey, der Ruf, dieses Gefühl, dass da was nicht stimmt oder besser, dass da mehr ist, der ist gar nicht von außen, nicht falsch. Er gehört zu mir. Er ist in mir!

https://www.youtube-nocookie.com/watch?v=PicBPFZFpKU

Es ist selten, dass ich es so herausschreien kann, wie Vaiana das am Ende ihrer Lyrics in diesem Lied tut. Aber das ist der Moment, in dem wirklich alles zusammenkommt – so intensiv, dass es außer im Moment der Erkenntnis selbst immer unglaublich peinlich ist. Unglaublich heftig, so dass es zu groß ist für die Welt und deswegen alles wegwischt. Dass das, was man über sich lernt, über die Synthese aus dem, was die anderen erwarten und man erfüllen kann und dem, was man ist und niemals verleugnen kann, plötzlich alles ausfüllt. Das ist dieser „I am Vaiana!“-Moment, in dem alles klar wird und in dem aus all den Fragmenten ein Ganzes wird.

Pathos? Vielleicht. Aber da bin ich bei Vaiana. Da BIN ich Vaiana. Wenn aus all den Bruchstücken, aus all dem, was man für andere ist, was in einem selbst unverleugbar ist, aus all den Scherben, plötzlich ein Mosaik findet, in dem alles zueinander passt. In dem kein Widerspruch mehr ist – und das SCHÖN ist. Das ist … die Selbstwerdung, die ich erlebt habe, immer wieder erlebe. Mein Vaiana-Moment.

Inspiration und Mut

Wo ist das Problem damit, Dinge nach außen zu tragen, die einem viel bedeuten?

Die Antwort auf diese Frage ist verhältnismäßig einfach: Alle können es sehen, lesen, hören – und darüber urteilen. Sie können einem sagen, was daran schlecht ist, wie man es umgesetzt hat. Viel schlimmer noch, etwas nach außen zu tragen, was einem viel bedeutet, und dann kommt eine Resonanz, dass diese Geschichte, diese Vorstellung peinlich, seltsam oder anderweitig nicht akzeptabel sei … das tut dann weh.

Aber ich habe ein Buch geschrieben, ich habe mich also damit befasst oder auch mich damit befassen müssen. Nun schwirren, wie ich vielleicht schon das eine oder andere Mal zum Ausdruck gebracht habe, noch viel mehr Ideen in meinem Kopf herum: Ideen zu Figuren, Geschichten, Orten … Welten. Eine davon habe ich in den letzten Tagen zwei Menschen erläutert, zwei Freundinnen erläutert, die vorher noch nicht so viel davon wussten. Beide waren fasziniert, begeistert und eine davon meinte, ich solle doch DARÜBER ein Buch schreiben.

Konkret geht es dabei um eine Vorstellung, die in meinem Kopf, in meinen Gedanken, unter dem Label „Der Park“ firmiert. Was also ist nun „der Park“? Kurz gesagt: Ein abgegrenztes, nicht gerade kleines Areal, in dem die Regeln des Zusammenlebens ein bisschen anders sind als überall drum herum. Natürlich ist der Park selbst fiktiv – die Idee kam mir damals, als ich ein paar meiner „nicht eingeordneten Vorstellungen“ beheimaten wollte und kurz vorher den Film „The Village“ gesehen hatte. Ganz so strikt wie jenes wiederauferstandene Gründerväter-Dorf in „The Village“ ist der Park nicht von der realen, normalen Welt abgegrenzt, und erst recht ist er nicht so thematisch korrekt. Aber sehr ernst nehmen die Initiatoren, Gründer und Bewohner des Parks das Projekt auch. Überaus ernst sogar! In diesem Szenario einer zwar mit der normalen Welt verbundenen, aber nach anderen Regeln laufenden, kleinen Welt habe ich etliche Geschichten angesiedelt, die ich auch in wundervollen interaktiven Spielen – Rollenspielen – mit den Charakteren besonders eines Freundes angereichert habe.

Nun raten mir Freunde – unter anderem auch derjenige, der recht tief mit in den Park einsteigen durfte – ein Buch aus den Geschichten im Park zu machen. Vielleicht auch mehrere. Auch mein Eindruck ist es, dass die Geschichte gut ankommt, etwas originales ist, interessante Charaktere mit einem spannenden Plot verbindet.

Das einzige Problem (neben der Zeit, die man natürlich für ein solches Projekt braucht) ist nun: Viele der Gestalten im Park sind unheimlich nahe an mir dran, verkörpern sehr direkt und explizit Eigenschaften, Persönlichkeitsteile, Ereignisse und Geschichten, die zu mir gehören. Ich würde sogar noch weiter gehen: Das sind Dinge, die „Ich“ sind. Aber ich glaube, ich werde es dennoch oder vielleicht gerade deswegen tun – mindestens die erste, kurze, recht kompakte Geschichte im Park in ein kleines Büchlein packen und schauen, was passiert.

Das Gefühl dabei auszudrücken, ist nicht so einfach. Andererseits vielleicht doch: Es gibt da im Titel „Standing“ meiner Lieblingsband VNV Nation eine Zeile, die (ein wenig auf meine Situation gemünzt und vielleicht auch ein ganz kleines Bisschen aus dem Zusammenhang):

„I bear my heart for all to see.“
VNV Nation – Standing

Ja. Das tu‘ ich. Und seit ich gelernt habe, das mit meinem Gefühlen und Gedanken zu tun, so ab Mitte 20 für mehr und mehr Bereiche meines Lebens, geht es mir besser als früher. Wahrscheinlich sollte ich nicht zweifeln an dem Weg, den Park mit all seinen Gestalten öffentlich zu machen. Denn wie diese Zeile so viel in mir berührt, hat genau das zu tun mir so viel mehr Lebensqualität gebracht, auch wenn die damit erzeugte Haut dünner und verletzlicher ist als der dicke Panzer von vorher.

Die Maschine …

… ist eine Bezeichnung, die ich gelegentlich für meinen Körper verwende. Das ist nun nicht so respektlos gegenüber dem Heim für meine Seele und meinen Geist, wie es den Anschein haben könnte. Ich benutze diese Bezeichnung vor allem beim Sport.

Beim Laufen merke ich sehr gut, wie viele verschiedene Teile meines Körpers zusammenspielen. Das Herz schlägt schneller, das Blut wird anders verteilt, beim Erzeugen mechanischer Leistung produzierte Abwärme muss abgeführt werden, die Versorgung mit Sauerstoff und Entsorgung von Kohlendioxid über die Atmung wird umgeregelt … manchmal, wenn ich genau in mich reinhöre, merke ich auch andere Veränderungen. Gerade als Person mit Colitis ulcerosa „höre“ ich natürlich auch auf meinen Verdauungstrakt und bemerke manchmal, wie er abhängig von Intensität des Laufens und abhängig von Tagesform und Krankheitszustand unterschiedlich reagiert.

Auf der Oberfläche kommen solche etwas skurril-witzigen Anmerkungen wie „Ich stehe in einer Pfütze aus Kühlmittel-Kondensat“, wenn ich nach einem intensiven Lauf oder nach einem Lauf bei angenehm sommerlicher Temperatur gefühlt oder auch buchstäblich im eigenen Schweiß stehe. Auch der Vergleich mit dem Nachfüllen von Kühlmittel bei „offenem Volumenregelsystem“, in einem Analogon zu Kraftwerks-Kühlsystemen, fällt unter diese Kategorie. Eigentlich geht der Vergleich aber tiefer. Der menschliche Organismus und seine Leistungsfähigkeit sind ein faszinierendes Feld. Bei sehr vielen Stoffen finde ich spannend, dass sie gebraucht werden und wofür eigentlich – unsere Nerven zum Beispiel sind ja keine Leitungen im Sinne von Kupferdraht, sie leiten über elektrisch spannungsempfindliche Poren und ein im leit-bereiten Zustand bestehendes Ungleichgewicht von Kalium- und Natrium-Ionen inner- beziehungsweise außerhalb der Nervenzelle. Plötzlich wird auch klar, warum Kalium so wichtig ist – und die Kartoffeln als Kalium-Quelle sind dann nicht mehr nur Energiequelle durch ihre Stärke, sondern versorgen auch den Körper mit Kalium … in einer intensiv salz-benutzenden Gesellschaft wie der unseren ist die Sorge um den Natrium-Mangel glaube ich dann eher unbegründet. Dann ist da das Eisen für die Sauerstoffspeicherung in Blut (Hämoglobin) und Muskeln (Myoglobin) …

Für mich ist immer wieder spannend, was wie und wo funktioniert, mit welchen Mitteln der Körper Aufgaben erledigt, die auch in künstlichen Maschinen – weitgehend weniger „kreativ“ – gelöst werden müssen. Energieerzeugung, Energietransport, Abfuhr von Abwärme und Reststoffen, Speicherung, Freisetzung und Regelung von Vorgängen, all das kriegt der Körper in bemerkenswerter Harmonie mit erstaunlich vielfältigen und effizienten Methoden hin – wenn man ihn lässt, es gelegentlich auch abruft und ihn hinreichend mit den dafür benötigten Stoffen versorgt.

Wenn ich nun aber laufe, die direkte Reaktion meines Herzschlags auf Veränderungen der Intensität spüre und auf der Pulsuhr sehe, die Wärmeproduktion und -abfuhr über das Schwitzen und das Wärmegefühl erfühle, den Atemrhythmus beobachte, auch die unterschiedliche Dynamik beim Abspringen bei unterschiedlichem Tempo registriere – dann ist die Bezeichnung „die Maschine“ für den Körper eine Verneigung, zumindest gemäß des Gefühls, das ich dabei habe. „Die Maschine läuft“ schließlich sage ich gerne mal, wenn ich mich mit einer zufriedenstellenden Leistung beim Laufen so richtig rundum pudelwohl fühle – ein sehr angenehmes Gefühl. Maschine mit emotional behafteter Sensorik und Steuerung … meine Maschine. Tolles Ding, diese Maschine!