Nur ein weiterer „Jammer-Post“

Wie Ihr wahrscheinlich wisst, hilft mir Laufen gegen Kopfschmerzen. Vernünftigerweise sollte ich mit einem drei Tage alten, wenn auch nur kurzen Schnitt im Gesicht nicht laufen gehen. Zwar bilden sich schon neue Äderchen, aber es sackt halt immer noch das eine oder andere Milliliterchen Blut aus den zerschnittenen Kapillaren in den Tränensack. Ich seh‘ aus, als hätte ich mich geprügelt.

Bis auf den Sport habe ich auch keine Einschränkungen, das Pflaster über dem Schnitt schirmt ihn gegen Wasser ab und so ist alles drin, was ich tun will. Nur eben das Laufen!

Heute früh habe ich Kopfschmerzen – linksseitig, das sind bei mir die, die sich nicht so sehr auswachsen können. Rechtsseitige Kopfschmerzen sind, wenn ich nicht laufen kann, eine Katastrophe. Die entwickeln sich oft so, dass sich die rechte Schläfe am oberen, vorderen Rand der weichen Kuhle außen über dem Auge wie eingedrückt anfühlt – nicht bei betasten, da ist alles normal, aber der Schmerz fühlt sich an, als habe da einer mit grober Gewalt alles eingedrückt und es federe nicht zurück. Manchmal auch eher, als stecke ein Axtblatt von rechts oben im Schädel. Wenn ich mit Ansätzen dazu aufwache, muss ich Laufen. Alles andere hilft nicht, Tabletten müsste ich so hoch dosieren, dass ich befürchten müsste, meine Colitis Ulcerosa auszulösen. Bleibt also nur Laufen.

Das darf ich zwar im Moment nicht, um die Wundheilung des kleinen Schnitts nicht zu gefährden – immerhin sind’s zwei Fäden, mit denen genäht wurde – aber zum Glück ist der Schmerz auf der linken Seite. Und den kriege ich eher auch ohne Laufen in den Griff. Dennoch fehlt mir mein Schmerz-Therapeutikum Nummer eins. Das Laufen.

Aber es sind ja nur noch vier Tage, bis die Fäden rauskommen.

Prophezeiung

Nachdem ich einer meiner besten Freundinnen am Freitag von meinem Sturz erzählt hatte, gab sie eine Prophezeiung ab. Sie war diesen Winter schon einmal gestürzt und hat danach von ihrem Physiotherapeuten die Ansage bekommen, so richtig zeige sich erst nach ein bis zwei Tagen, wie schlimm es sei. Ich gebe sehr viel auf ihre Ratschläge und Kommentare, denn sie ist zehn Jahre älter als ich, hat zwei Töchter, die manchmal etwas speziell sind und hat zudem auch in Sachen Krankheit schon einiges durchgemacht. Lebenserfahrung pur und dazu kennt sie mich sehr gut. Doch dieses Mal habe ich mir gesagt: „Ich treibe Sport, ich trainiere meine Rumpfmuskeln und ich laufe, ich krieg‘ das hin. Ich liege nicht mit Verspannung rum, von dem Sturz. Nein!“

Nun. Wie soll ich sagen? Die kurze Antwort ist: Doch. Sie hatte recht. Ich lag mit Verspannung herum. Nachdem ich den ganzen Freitag über wohl noch auf dem Adrenalin des Sturzes irgendwie den Tag überstanden habe, eine Strahlenschutzunterweisung auf der Arbeit für das ganze Institut durchgezogen habe und abends dann auch noch auf der Weihnachtsfeier war, musste ich eingestehen: Ich hatte den ganzen Tag, immer, wenn es etwas ruhiger wurde, mein Herz heftiger pochen gespürt als normal. Immer mal hatte es am Knie wehgetan.

Aber erst am Samstagmorgen wurde so richtig klar, dass es noch nicht ausgestanden war. Klar, die Wunde am Knie nässte noch, aber ich hatte auch Spannungskopfschmerzen. So richtig krass – und Laufen, um sie wegzukriegen, war leider nicht drin. Dafür tat die Abschürfung am Knie noch zu sehr weh, bei Bewegung. Also lag ich den ganzen Samstag mit brutalen Kopfschmerzen aus Verspannung heraus im Bett. Heute geht es mir wieder besser und auch die Abschürfung am Knie ist kleiner geworden. Die Blutergüsse am Knie – nicht so groß, aber halt eben doch da – sind mittlerweile nicht mehr rot oder blau, sondern schwarz, werden sich wohl bald verflüchtigen – und die Abschürfung heilt auch zu, zumal ich nun aus dem alten Verbandskasten des Autos meines Mannes, der wegen einiger abgelaufener Komponenten ausgemistet und dann vom Auto ins Badezimmer verbracht wurde, das entsprechende Verbandsmaterial benutzt habe.

Heute geht’s mit der Familie meinen Geburtstag im Restaurant vorfeiern und ich freue mich schon drauf – sicher, ich werde den Sturz beim Gang zum Buffett immer wieder etwas spüren, aber mindestens in Sachen Verspannung und nässender Abschürfung bin ich über den Berg.

Mamas-Geburtstags-Blues

Eigentlich wollte ich andere Dinge schreiben.

Aber manchmal sind es die Dinge, die einem wieder auffallen, die wiederkommen, die den Plan völlig auf den Kopf stellen. So ist es auch heute passiert.

Im Juli 2006 ist meine Mutter gestorben – überraschend, für uns, und eigentlich doch nicht. Wir wussten, dass sie krank war. Wir wussten eigentlich nach einem Jahr voller Probleme, voller Angst, voller Ungewissheit und zwei nicht zielführenden Maßnahmen auch, was sie hatte. Alles schien auf dem Weg zu sein, auf dem Weg zur Besserung. Ich war damals sehr mit mir selbst beschäftigt, manches habe ich so gar nicht wahrgenommen.

Am gestrigen 06.06.2017 wäre sie 64 geworden. Es ist der zehnte von Mamas Geburtstagen gewesen, die wir ohne sie verbracht haben. Es ist – lange her. Unsere Leben sind weitergegangen: Das meines Vaters, mein eigenes, das meiner Schwester. So hätte sie es gewollt, so muss es sein. Gestern hatte ich vieles zu tun, vieles ging durcheinander, anderes war zu erledigen. Ich habe kurz daran gedacht, dass es Mamas Geburtstag war, es dann wieder vergessen.

Heute Morgen, auf der Fahrt zur Arbeit, kam es massiv. Ich musste irgendwie die Stille in meinem Auto füllen, aber es ging nicht: Radio, fröhliche Musik, alles Mist. Schließlich nahm ich meine traurige Musikliste. „Everyone Hurts“ von einer Formation aus Freunden von mir, dazu Moby mit „Why Does My Heart Feel So Bad“, Evanescence mit „My Immortal“, VNV Nation mit „Beloved“, Jon Secada mit der spanischen Version von „Just Another Day“, Simon and Garfunkel mit „Sounds Of Silence“ und Springsteen mit „Streets Of Philadelphia“. Vor allem die letzten beiden atmen die Erinnerung an meine Mutter, den Tod meiner Mutter, die Gemeinsamkeiten zwischen meiner Mutter und mir, die Dinge, die ich als in mir weiterlebendes Vermächtnis meiner Mutter empfinde. Simon and Garfunkel, auf die hat sie mich gebracht. „Streets Of Philadelphia“ habe ich an jenem Abend gehört, auf der Autobahn, im Radio, als meine Mutter starb. Etwa zu der Zeit, als sie starb. Ich bin damals heulend auf den Seitenstreifen gefahren, dabei wusste ich es noch gar nicht!

Es ist der zehnte Geburtstag meiner Mutter, den wir ohne sie verbringen. Ich habe es gestern nicht so gespürt, heute kommt es mit Macht. Aufheitern hilft nicht, also geht nur Ausheulen. Ich werde nicht fragen, ob das je aufhört. Das muss es nicht. Was wichtig ist, was mich geprägt hat, das fehlt. Das muss so. Auch wenn es wehtut und auch wenn es die Menschen um mich herum manchmal etwas schockiert oder betroffen macht, wie sehr mich das immer noch trifft. Es gibt keine intensiven, guten Emotionen ohne die Menschen dahinter – und es gibt keine einfache Weise, mit dem Verlust umzugehen, der damit einhergeht, wenn man sich so bindet. Was wäre das Leben ohne diese Bindung, diese Positivität und ohne diesen Verlust? Es wäre nicht mehr dasselbe. Und ich glaube, es wäre schlechter.