… mich davon zu überzeugen, dass Bahnfahren doch nicht so toll wäre.
Vorweg: Ich habe keine ideologische Präferenz für’s Bahnfahren. Züge sind tolle Technik, aber begeistern kann ich mich für Flugzeuge, Schiffe, U-Boote – nicht so sehr für Waggons und Loks. Aber die Bahn hat als Transportmittel gegenüber den wichtigsten Konkurrenten im Personentransport entscheidende Vorteile.
- Im Gegensatz zum Auto kann man jederzeit auf Toilette, meist auch die Augen zumachen, am Handy chatten, auf dem Laptop schreiben oder arbeiten, sich nett unterhalten …
- Im Gegensatz zum Flugzeug kann man sich hinsetzen und gut ist. Beim Fliegen hat man den Weg zum Flughafen, das Einchecken, die Wartezeit am Gate … insgesamt ist man vielleicht schneller als mit der Bahn, aber die Reisezeit ist weder flexibel wie mit dem Auto noch ungestört wie mit der Bahn.
Die Bahn ist also für Fernreisen ein Verkehrsmittel, das ich dem Fliegen jederzeit vorziehen würde, wenn es nicht gerade eine Zeitersparnis von 50% oder mehr ergibt. Nur die Flexibilität lässt mich oft zum Auto greifen.
Heute allerdings, für einen geschäftlichen Termin von gerade mal gut zwei Stunden in München, strapazierte die Bahn die Lanze, die ich für sie breche, sehr stark. Morgens hatte ich extra einen längeren Umsteigezeitraum in Stuttgart eingeplant – 5 Minuten waren mit zu wenig, da ich Sorge hatte, dass mein IC von Karlsruhe nach Stuttgart Verspätung haben würde. Er hatte nur sehr wenig Verspätung, dafür war der EuroCity, in den ich in Stuttgart knapp hätte umsteigen wollen, satte 15 Minuten zu spät. Der ICE, den ich stattdessen gewählt hatte, brachte es auf zehn Minuten Verspätung. Alles noch im Rahmen, nicht toll, aber im Rahmen.
Auf der Heimfahrt aber kam es knüppeldick: Nachdem ich keinerlei Zeitreserve für meinen EC nach Hause hatte, hetzte ich von der U-Bahn in den Münchner Hauptbahnhof, nur um vor der Anzeige zu erstarren. „Das ist jetzt nicht denen ihr Ernst!“, entfuhr es mir in zugegeben süddeutschem Akzent. Siebzig [sic!] Minuten Verspätung. SIEBZIG! Mehr als eine volle Stunde. Alles klar, ich tappte also zum Infostand und ließ mir eine Alternative geben. Der Mitarbeiter dort meinte, mein geplanter EC werde sicher noch mehr Verspätung akkumulieren, ich solle mit anderthalb Stunden rechnen – und dann doch lieber den direkten IC von München nach Stuttgart nehmen. Ich saß also eine Stunde am Münchner Hauptbahnhof herum. Vor lauter Hetzen auf der einen und aus dem Konzept gebracht Sein auf der anderen Seite ging mir völlig ab, meine Bekannten und Freunde in München drauf zu triggern, ob man nicht vielleicht einen Kaffee gemeinsam trinken könne. Dann erreichte ich den IC, der die Alternative zu meinem EC darstellte. Der kam aufgrund technischer Schwierigkeiten erstmal zehn Minuten verspätet los – und dann ging es in Burgau erstmal gar nicht mehr weiter. Bomben-Alarm – vermutlich ein Blindgänger – in Neu-Ulm, Strecke gesperrt, Progonose: 45 Minuten weitere Verzögerung.
Ich verbrachte die Zeit mit netten Gesprächen – danke an die Ingenieurs-Studentin der TUM, den Schüler, dessen Halt in Plochingen überfahren wurde und den Abgänger der DHBW, mit denen ich tolle Gespräche führte! Bis Bruchsal war der Zug mehr als sechzig Minuten verspätet – und ich war ja ohnehin sechzig Minuten zu spät losgekommen, so dass sich meine Gesamtverspätung auf über zwei Stunden summierte.
Dennoch: Gespräche wie die in einer verspäteten Bahn findet man selten. Man lernt interessante Menschen kennen, unterhält sich nett, und vielleicht werden sogar Kontakte draus. Ich breche meine Lanze für die Bahn. Auch wenn heute alles schiefging, war nur schiefgehen kann. Aber am Ende des Tages war ich dann doch glücklich zurück. Nicht um 17:31, sondern deutlich nach 19:00. Aber ich werde auch für weitere Reisen nach München wieder die Bahn nehmen. Zwei Mal vier Stunden Autofahrt sind verschwendete Zeit. In zwei Mal vier Stunden Bahnfahrt kann man reden, denken, arbeiten … und so weiter. Und DAS ist doch mal was wert!
