Während der Pandemie waren sie in aller Munde: Pop-Up-Radwege, meistens mit schönen Bildern von gelber Farbe auf Straßen. Der Individualverkehr wurde zur Minimierung von Ansteckungsrisiken (oder weil man keine Maske tragen wollte) reaktiviert, statt den ÖPNV zu benutzen, und zum Glück sind nicht alle auf das Auto umgestiegen und zum Glück wurde auch das Radfahren dahingehend gut gefördert.
Aber wer auf solch improvisierten „Schutzstreifen“ radelt, erkennt oft eines: Die meistens Straßen sind rein vom Baulichen her für Autos gemacht – eines je Richtung oder zwei nebeneinander je Richtung. An diese Vorgabe sind auch die Breiten angepasst und so ist der Schutzstreifen nur eine Spielfeldmarkierung, deren Nicht-Überfahrung man nicht einfordern kann. Warum nicht? Erstens rein aus Gründen der Physik. Wenn eine Fahrbahn für zwei Autos, eines in die eine, eines in die andere Richtung gemacht ist, und man nimmt an beiden Seiten 150 Zentimeter für einen nicht überfahrbaren Schutzstreifen weg, dann muss man de facto eine Einbahnstraße draus machen. Und schon 150 Zentimeter Schutzstreifen sind eigentlich zu wenig, denn für sichere Überholvorgänge sollen 150 Zentimeter Abstand eingehalten werden. Auf der rechten Radwegbegrenzung zu fahren ist allerdings schwer, denn meistens ist rechts der Begrenzung irgendwas, parkende Autos zum Beispiel – und mein Lenker ist ja auch nicht null Zentimeter breit. Das gilt aber auch nur, wenn man Glück hat, denn so ein bisschen in den Radweg (bzw. Schutzstreifen) reinparken kann durchaus passieren, schließlich wird so gut wie nirgends Parkverbot neu ausgerufen, wo ein Schutzstreifen eingerichtet wird – man nimmt’s vom fließenden Verkehr, aber auch Parkplätze am Rand der Straße, nun durch den Schutzstreifen abgetrennt, sind selten auf moderne Riesenautos abgestimmt. Der Raum zwischen den Häusern wird nicht weiter, bloß weil man nun doppelt so große Autos hat wie früher und zudem noch zwei Radschutzstreifen hineinzwängen soll…
Kurzum: Das mit den Schutzstreifen ist so eine Sache. Es ist gut gemeint und geht in eine richtige Richtung, aber WENN es funktionieren soll, müsste man an vielen Stellen sowohl dem fließenden als auch dem stehenden Verkehr weit mehr und weit besser baulich unterstützt Raum wegnehmen. Das wird schwer, denn in dem Maße, wie die Infrastruktur sich auf ausschließlich das Auto konzentriert hat, in den vergangenen Jahrzehnten, haben sich die Menschen zunehmend auf das Auto eingeschossen und sind daher darauf angewiesen.
Kurzum: Ich bin in vielen Fällen nicht bereit, das Label „Radweg“ für Schutzstreifen als gerechtfertigt zu akzeptieren. Denn auch wenn de jure der Schutzstreifen nicht befahren werden darf und viele Anlässe, es doch zu tun, rechtlich nicht standhalten, wird de facto der Schutzstreifen recht oft vom vier- oder mehrrädrigen, motorisierten Verkehr verletzt, und das nicht unbedingt mit Rücksicht auf den Radverkehr. Die Autos sind mit der Zeit immer größer geworden, die Straßen nicht breiter geworden, der Verkehr immer mehr und die Ablenkungen in der Fahrerkabine auch.
Ein Radweg, der diesen Begriff auch verdient, sollte baulich getrennt sein, bevorzugt auch bei Vorfahrt und Ampelschaltungen der Autostraße nicht nachgeordnet, sondern gleichgestellt. Das in engen Städten und Dörfern unterzubringen, ist schwer, wenn man dem Autoverkehr nichts wegnehmen will. Ich persönlich bin ja der Auffassung, dass die flächendeckende Abschaffung kostenlosen Parkraums im öffentlichen Raum (auch für Anwohner) etliche Flächen und Möglichkeiten freigeben würde, aber das ist natürlich überaus unpopulär.
Die Utopie, wegen mangelnden Platzes die meisten Straßen in der Stadt zu Einbahnstraßen mit einseitigem Parkverbot zu machen, den freiwerdenden Platz in baulich getrennte Radwege für beide Richtungen zu verlangen, wird es wohl nicht geben. Es leben zu viele Menschen in der Stadt, die nach jahrzehntelanger Gewöhnung, dass man ein Auto bräuchte, auf selbiges nicht verzichten können, aber auch keinen eigenen Stellplatz im privaten Raum dafür haben. Das nimmt der Idee von Radwegen statt Platz für Autoverkehr (stehend oder bewegt) ein bisschen den Wind aus den Segeln.
Außerhalb der Stadt hätte man allerdings viele Möglichkeiten. Dass diese oft an langwierigen Planungsprozessen scheitern, ist jedoch auch Fakt. Genauso ist es gar kein Problem, für die breiter werdenden Autos die bodenversiegelnde Straße etwas zu verbreitern – bei Radwegen wird Bodenversiegelung gefühlt weit öfter angeführt. So sind viele Radwege unbefestigt – Schotter oder festgefahrene Erde, auch bei den „Radnetz“-Schildern oder ausgewiesenen Radwegen. Warum bei Rollsplitt explizite Warnzeichen für Autos nötig sind, genauso bei Straßenschäden, aber sich keiner bequemt, den Radfahrern einen Hinweis zu geben, dass dort mit reibungsarmen schmalen Reifen nicht oder quasi nicht durchkommt, verstehe ich nicht. Auf dem Rad falle ich leichter mal wegen Rutschen auf Schotter oder Dreck um als ein Auto.
Aus meiner Sicht ist ein für Radfahren, wie es in einer wirklich effizienten und der Verkehrswende zuträglichen Nutzung des Rads als Verkehrsmittel funktionieren muss(inclusive halbwegs sauberem Ankommen, so dass man ohne umziehen absteigen und Termine wahrnehmen kann), ein Radweg nur dann ein Radweg, wenn er pro Richtung mindestens einen Meter Breite aufweist, die halbwegs sauber gehalten und glatt asphaltiert oder betoniert oder zumindest mit glatten Knochen- oder anderweitigen Steinen ausgelegt ist. Alles andere ist dann eher „für den Spaß“, und damit lockt man keinen Pendler aus dem Auto – denn wenn ich auf Schotter langsam fahren muss, durch nasses Laub auf der Straße beim Ankommen aussehe wie Sau und zudem an jeder Ampel länger warte als die Autos aus den meisten Richtungen, dann braucht man sich nicht zu wundern, wenn das Rad nicht konkurrenzfähig ist.
Wille zur Nutzung eines Verkehrsmittels generiert man nicht nur, aber AUCH aus der Bereitstellung anständiger und dem Zweck als Verkehrsmittel angemessener Infrastruktur.