… über mich lachen, so lange ich mitlache, lachen wir gemeinsam.
Das ist ein Satz, den ich mir hart erarbeitet habe. Gestern habe ich den Satz mal wieder gesagt, als ich meine Kollegen trotz … oder vielleicht eher in Kompensation meiner Kopfschmerzen und dahingehend dumpfer Laune mit multiplen Wort- und Flachwitzen nervte. Da ging’s um die Fortpflanzung der Metzger … Eier natürlich, an den Brutstätten steht, was drin ist: „Metzger-Ei“. Es gab noch mehr, das mir nun nicht mehr einfällt. So lange ich mit euch lache, wenn ihr über mich lacht, lachen wir gemeinsam.
Das ist gar nicht so einfach für mich gewesen. Ich war in der Schule scheu, ein bisschen zu gut in der Schule, um trotzdem cool zu sein, verträumt und vor allem leicht zum heulen zu bringen. Dazu war ich ein bisschen anders, was ich erst in der Retrospektive so richtig verstanden habe. Natürlich wollte ich auch unbedingt dazu gehören. Allein sein unter vielen Leuten, die man täglich sieht, kann furchtbar sein. Je mehr ich an Spott abbekam, um so empfindlicher wurde ich. In Erinnerung ist mir deutlich, dass ich nach der Lektüre des „Was ist Was“-Bandes über Höhlen eine fiktive Höhlenkarte mit Eingängen in der Umgebung meines Heimatortes auf den Rand meines Heftes zeichnete. In der Pause schnappte sich ein Klassenkamerad das Heft und las zur Belustigung der Klasse und mit beißendem Spott meine Beschriftungen vor. Zu anderen Anlässen fragten mich Mitschüler immer wieder, immer drängender, unter Nennung meines Namens, wie ich hieße. Man kann einem Kind, einem Jugendlichen noch so oft sagen, dass man so etwas ignorieren soll. Es funktioniert nicht. Man will dazugehören, den Erwartungen entsprechen, und zugleich steht man damit vor einer unlösbaren Aufgabe, denn das Spiel mitzuspielen führt zu Demütigung, und mit der Neigung zu Tränen…
Die Nachwirkungen merke ich noch heute. Es ist einfach, mich zu verunsichern, dass ich nicht dazugehöre. Ich denke dann, ich habe etwas falsch gemacht. Ich misstraue Lob und nehme Kritik zu schwer, insbesondere unfaire, un- oder nur teilberechtigte Kritik kann ich nur ganz schwer an mir abprallen lassen und fühle mich allzuleicht mit Lob aufgezogen und mit Kritik persönlich abgelehnt. Eine Mobbing-Vergangenheit nennt man das wohl. Ich kenne das Gefühl gut und manchmal erkenne ich es auch, wenn ich von den spröden Reaktionen betroffen bin, die andere Mobbing-Opfer manchmal zeigen, wenn sie sich durch unbeabsichtigte oder eingebildete Angriffe meinerseits daran erinnert fühlen. Zum Glück wird das heute meistens von Gelassenheit und Selbstvertrauen aufgefangen.
Mitte bis Ende meiner Zwanziger kam ich langsam dahin, dass ich eines der zugrundeliegenden Probleme, die mich zu einem solch dankbaren Opfer machten, zu lösen begann. Aus dem unglücklichen Jungen wurde eine mindestens zufriedenere, bald glückliche Frau. Ich walze diese Entwicklung ungern aus – auch wenn sie wichtig für mich ist und meine Perspektive zum Teil definiert. Das Ganze vor sich herzutragen, macht’s nicht einfacher und es ist auch kein zentraler Kern dessen, was ich bin. Aber über diesen Wechsel bekam ich langsam mit, dass ich mich selbst mögen kann. Kunststück, sich zu mögen, wenn man nicht einmal merkt, dass etwas Grundlegendes nicht stimmt, aber es eben so ist, dass etwas Grundlegendes nicht stimmt.
Inzwischen bin ich durchaus manchmal laut, lustig oder vermeintlich lustig. Ich rate den Menschen, mich nicht zu ernst zu nehmen, ich täte das schließlich auch nicht. Dazu gehört eine Menge Mut und Selbstvertrauen, die mir lange Zeit abgingen. Begonnen hat es als Panzer gegen die Unsicherheit. Aber es war ein Mantel, der bald zur zweiten Haut wurde, als sei ich bereit dazu gewesen, in diese Attitüde hineinzuwachsen.
Und doch reizt es mich immer wieder, mit dem Anderssein zu spielen, die Grenzen des Muts auszutesten, den ich mittlerweile habe. Meine Gedanken, was ich gerne anziehe, wer ich bin, es fällt auf. Die Angst vor dem Ausgestoßensein, untermauert von den Erfahrungen des tatsächlichen gemobbten Außenseitertums, gepaart mit der eigenen Auffälligkeit, wenn ich mich nicht verstelle, sie sind noch da.
Und so gehört zu den schönsten Erinnerungen an meine Schulzeit jener Abi-Streich, an dem einer unserer Lehrer mit der Abi-Band BAPs „Verdamp‘ lang her“ sang und ich, Arm in Arm mit einigen meines Jahrgangs auf dem Schulhof im Takt hüpfte. Es waren da welche dabei, die weder zu meinen wenigen Freunden gehörten noch zu den etwas mehr, von denen ich mich gemobbt fühlte. Es waren einfach Leute, die nicht darüber nachdachten, ob ich so unberührbar war, wie ich mich fühlte. Es ist eine spontane Woge der Freude, des Wohlig-Warmen, wenn ich daran denke.
Damals war es noch viel häufiger so, dass ich, in einer Gruppe gut aufgenommen, schnell misstrauisch wurde. Wie konnte man mich aufnehmen, ohne Ironie und Spott dahinter zu legen, obwohl ich doch ich war? Heute habe ich dieses Gefühl nur noch selten, und wenn doch, überspiele ich es. Aber es ist noch da. Vermutlich geht das auch nie weg. Manchmal frage ich mich, ob diese Narbe in meiner Persönlichkeit vielleicht eher ein Orden ist, der mir geholfen hat, die zu werden, die ich bin. Aber eigentlich ist es nur mies, dass dieses Spiel mit der Furcht vor dem Alleinsein, diese Abhängigkeit von denjenigen, die die Schwächen anderer rücksichtslos zur Befriedigung ihres eigenen Egos benutzen, einen so lange prägen kann.
Eigentlich wollte ich diesen Beitrag „Verdamp‘ lang her“ nennen und damit anfangen, eben wegen der wohligen Erinnerung. Vielleicht ist’s besser gewesen, es nicht zu tun. Denn ich bin heute jemand anders – jemand, der mit einer gewissen Sicherheit anderen raten kann, mich nicht so ernst zu nehmen, ich täte es ja auch nicht. Jemand, der sich nur noch ganz selten panisch vor dem Ausgestoßensein fürchtet, wenn sie sich herauswagt.