Contragnosen/Proindikationen

Zugegeben – blöder Titel.

Ich glaube nicht an das, was mir meine Uhr und mein Stryd als Prognosen für den Marathon liefern. Warum ich es nicht glaube? Ganz einfach!

Die Prognosen der Uhr sind – spätestens seit dem letzten Update, vorher passte es besser – erwiesenermaßen zu langsam. In den letzten Wochen ist es besser geworden, daher poste ich mal das Bild vom 03.03.2023… da habe ich meine Uhr am Arm abfotografiert, mit den Race-Prognosen auf dem Schirm:

Mitte Februar war ich 20 Kilometer in 1:23:56 gelaufen, im Dezember trotz anfänglicher Demotivation 39:55 auf zehn Kilometer und im Januar trotz unbestimmbarer Krankheitssymptome und entsprechend drei Wochen Trainingsausfall 1:04:10 auf 15 Kilometer. Im Dezember stand übrigens die Prognose für den Zehner noch über 44 Minuten…

Daher habe ich ganz allmählich den Verdacht, dass die auf VO2max-Abschätzung beruhenden Rennprognosen meiner Fénix 6Xpro, nun, Quatsch sind. Auf die Berechnung der Laktatschwelle, die die Uhr macht, gebe ich ja auch nicht sonderlich viel. Das passt auch damit zusammen, dass meine Trainingsbelastung laut Uhr die ganze Zeit am unteren Rand des optimalen Bereiches herumkriecht, während sich beim anaeroben Training gut dabei und bei allem anderen maßlos drüber bin. Alles wohlgemerkt attestiert von derselben Uhr! Mittlerweile sind die Rennprognosen etwas näher an tatsächlich gelaufenen Ergebnissen, der Abstand hat sich halbiert. Der Greif-Plan scheint also eher das zu sein, was die Uhr erwartet. Dafür ist – wohl auch, da ich nicht mehr ganz so hoch drehe im Training – die Abschätzung der Laktatschwelle im freien Fall, während ich gleichzeitig eigentlich immer schneller werde.

Algorithmen können nicht exakt abbilden, was bei Individuen passiert, das ist mir klar, und sie erwarten gewisse „Benchmarks“, um Dinge abzuschätzen. Bei Garmin weiß ich gar nicht, was ich tun muss, damit die Werte von den Algorithmen akkurat bestimmt werden. Daher verwende ich meine eigenen Werte, die ich von meinem gesamten Trainingstagebuch ableite, und die passen auch besser zur Entwicklung. Aber am Ende des Tages bin ich ja nicht die einzige, die mit Garmin-Uhren, Garmin-Radcomputern und Garmin-Sensoren trainiert, und andere sind vielleicht nicht so weit, dass sie sich über offenkundigen Unfug auf der Anzeige hinwegsetzen. Schlimmer noch: Mit dem ebenfalls automatisch berechneten Maximalpuls und dem VO2max berechnet Garmin ja die Trainingszonen und sagt, wenn ich einen Trainingsplan des Systems verwende, danach auch an, wenn man über oder unter der geforderten Intensität ist…

Nun werden einige sagen: „Tally, Du hast doch auch einen Stryd! Da ist bestimmt alles besser… der nimmt die Leistung… und Du weißt, wie Du Deine kritische Leistung, nach der die Zonen berechnet werden, akkurat hältst.“ Ja, das System, WAS es braucht, damit die CP des Stryd akkurat ist, ist transparenter. Der All-Out-Fünfer alle paar Monate, joah, und noch ein, zwei andere Einheiten, die man immer mal wieder machen sollte, damit Stryd weiß, was man kann, sind klar kommuniziert. Vielleicht passen sie aber nicht in meinen Trainingsplan… oder vielleicht mache ich sie, aber das Ergebnis ist dennoch fragwürdig.

Nach dem Tempowechsellauf am Donnerstag hat mein Stryd meine kritische Leistung (critical power, CP) aktualisiert. Die CP (critical power) bei Stryd funktioniert analog zur FTP beim Radfahren. FTP steht für functional threshold power, nach der dann die Trainingszonen beim Radfahren formuliert werden, sie ist definiert als die maximale Leistung, die man eine Stunde konstant treten kann. Mit einem Marathonrenntempo von 4:20/km, bestenfalls 4:17/km bin ich aber noch nicht einmal im Bereich unter drei Stunden, geschweige denn so tief drunter. So sehr ich glaube, dass ich ein leicht übertriebenes Programm für mein Ziel durchziehe, SO viel schneller als Trainingstempo, das kann ich mir nicht vorstellen. Und selbst wenn es möglich ist, wäre es sinniger, wenn die Algorithmen etwas konservativer rechnen würden.

Am Ende des Tages ist auf der „Haben“-Seite zu verzeichnen, dass die ansteigende Fitness von diversen Systemen gleichermaßen anerkannt wird, zugleich auch die harte Trainingsphase, die ich derzeit fahre, sich gleichermaßen in einem „Vorsicht, das ist ganz schön viel“ niederschlägt. Aber leider ist die absolute Kalibration aus meiner Sicht beim kostenpflichtigen Strava-Trainingsassistenten, bei Garmin und bei Stryd gleichermaßen fragwürdig. In relativen Koordination funktioniert’s, aber das, was hier als absolute Race-Prognose angezeigt wird, ist aus meiner Sicht heraus nicht seriös. Bei Garmin hat man sehr viele Infos, und sehr viele Bewertungstools – das muss ich vorausschicken. Die Ergebnisse sind bei den Garmin-Tools auf der Fénix 6Xpro inkonsistent, relativ gesehen halbwegs richtig, in der absoluten Kalibrierung aber offenkundig nicht kompatibel mit der Realität (in einfachen Worten: falsch). Stryd erscheint in sich konsistenter, aber das mag auch daran liegen, dass man Running Stress Balance, critical power und Rennprognose eher als zueinander „orthogonalen“ Output-Skalen desselben Systems hat. Ein großes Pro bei Stryd ist, dass eine Unsicherheit der Wettkampfprognose angezeigt wird! Aber das ändert nichts daran, dass Stryd mir sagt, ich laufe unter drei Stunden, auch mit ungünstigster Variante der Unsicherheiten… was ich schlicht nicht für möglich halte, Status jetzt. Zukünftig, vielleicht, aber das ist dann ein neuer Trainingsplan, neues Marathon-Renntempo, neues Event, mindestens ein Dritteljahr weg vom aktuell geplanten Event.

Das ist sehr schade. Denn wenn Menschen sehr viel Geld für eine Uhr, ein Gadget, einen Sensor und das dahinterliegende Auswertetool ausgeben, erwarten sie – nicht unberechtigt – auch eine Auswertung der gesammelten Daten. Nicht jeder befasst sich aus sechs Jahren (oder mehr!) Lauferfahrung, minutiöser Buchführung über Training, Bestzeiten und Erfüllung des selbst ausgearbeiteten Trainingsplans, der auf Praxis und Wissen aus fünf Büchern und mehreren Kursen basiert, selbst mit der Analyse. Wahrscheinlich tun das sogar die wenigsten. Daher beklage ich, dass das System (insbesondere auf den Uhren) Absolutheit suggeriert, aber insgesamt zumindest bei mir nicht passt.

Was ich am Ende den Menschen mitgeben möchte, die eine entsprechende Uhr, entsprechende Sensoren, entsprechende Daten haben: Guckt drauf, aber verlasst Euch nicht drauf. Die Daten geben Euch Hinweise, aber die Auswertung solltet Ihr mit der Praxis, mit Euren Erfahrungen abgleichen und nicht direkt glauben. Denn auch Eure Trainingszonen und Trainingsempfehlungen der Uhr hängen von den abgeleiteten Werten ab, und wenn die falsch sind, trainiert Ihr vielleicht unterambitioniert – oder, im ungünstigeren Fall, haltet Euch an den Trainingsplan und rennt doch in ein Übertraining hinein.

Die Uhr hat recht?

Im Grund genommen bin ich ja durchaus ein Fan von Algorithmen, von Prognosen basierend auf Daten. Ich nehme viele Daten über meinen Sport, meine Krankheiten auf, dokumentiere sie, werte sie aus, mache dadurch Prognosen, was mir gut tut, was ich können werde.

Nun implementieren viele Hersteller von Sportuhren (Garmin, Polar…), von Zubehör (Stryd) irgendwelche Prognose-Tools in ihre Produkte.

Meine Uhr sagt, sie habe gestern ein VO2max von 51 ml/(km min) bei mir bestimmt. Wohl basierend darauf behauptet die Uhr, ich könne zehn Kilometer in 44:41 laufen. Diese Ableitung hat die Uhr bei einem Rennen gemacht, bei dem ich die zehn Kilometer in 39:55 gelaufen bin.

Irgendwie bestärkt mich das darin, dass zu Trainingssteuerung und Renn-Prognose mehr gehört als ein teurer, intransparenter Algorithmus in einer Uhr. Nicht, dass die Messwerte, die Möglichkeiten, die Überwachung und In-Beziehung-Setzung von Puls, Tempo, Distanz, Laufeffizienz… Quatsch wären. Sicher nicht! Bestimmt steckt auch eine Menge Hirnschmalz in dem, was meine Garmin-Uhr mir empfiehlt und voraussagt.

Aber ganz ehrlich: Sowohl die vom Algorithmus gemachten Vorschläge für Trainingseinheiten als auch die Rennprognosen sind schlichtweg Welten von dem entfernt, was bei mir funktioniert und am Ende dabei rauskommt. Vor Zeiten sagten mir etliche Leute mit eher wenig Kondition, wenig strukturiertem Training und von Garmin berechnetem, völlig irren VO2max, die Rennprognosen von Garmin seien völlig irre, viel zu schnell! Sie waren immer enttäuscht, nicht zu erreichen, was die Uhr sagte. Für mich stimmte es nicht genau, die Marathon-Prognose war auch schneller, als ich dann tatsächlich lief.

In den letzten Monaten habe ich den Eindruck gehabt, dass sich etwas verändert hat. Mein von der Uhr berechnetes VO2max war im freien Fall und pendelte sich im Verhältnis zu vorher recht tief ein. Die Rennprognosen für fünf Kilometer durchschlugen (von unten nach oben) die zwanzig Minuten, die Prognose für zehn Kilometer durchschlug von unten nach oben die vierzig Minuten. Ich dachte, ich übertrainiere. Oder mache zu wenig, oder was auch immer.

Mit Rennprognose 21:40 auf fünf Kilometer bin ich im November 19:08 auf Fünfe gelaufen. Mit Rennprognose von fast 45 Minuten auf den Zehner habe ich gestern die vierzig knapp unterboten, trotz Eiseskälte und an manchen Ecken vorsichtigem Abbremsen wegen (befrüchtetem, nicht vorhandenem) Eis. Vermutlich passt es jetzt für andere besser, für mich passt’s nicht mehr ansatzweise, ich war in zwei Tests 10% schneller als die Prognose – und 10% weniger Zeit auf einer Lauf-Langstrecke sind viel.

[KuK] Same-same, but different – and better!

Meine „Lebenskilometer-Ziel-Diagramme“ zeige ich ja öfter. Erdumrundung mit allen Aktivitäten, Erdumrundung mit dem Fahrrad, läuferisches Erdumrundung und der Weg zum Mond… natürlich jeweils in einer gewissen Abstraktion, da ich nicht wirklich um den Äquator der Erde renne oder radle und auch nicht wirklich ein Tret-Raumschiff besitze.

Nun habe ich aber – zur Feier der ersten Erdumrundung zu Fuß, per Rad, mit Schwimmen und Skates zusammengenommen – diese Diagramme geupdatet. Im Hintergrund wurde die Auswertung in ein anderes Tabellenblatt umgelagert, um Wartung zu erleichtern. An der Oberfläche kamen zwei (eigentlich drei) Dinge dazu:

  1. Die erwartete Ankunftszeit auf dem Mond (Expected Time of Arrival, ETA): Ich nehme die letzten elf vollen Monate, summiere die Kilometer, teile durch die Zahl der Tage in diesen elf Monaten und erhalte so eine Art „Momentangeschwindigkeit“. Durch diese teile ich die noch verbleibende Restdistanz zum Mond und erhalte so die Restdauer meiner sportlichen Raumfahrt zum Erdtrabanten in Tagen. Diese addiere ich auf das heutige Datum und – voilà – erhalte meine ETA. Ich hoffe, wenn die Effekte des Erholens von der Borreliose (ist über den vergangenen Dezember noch in der Berechnung), der Erkältung im Februar und Corona wie auch Fingerbruch raus sind, wird mein erwartetes Aufschlagen auf dem Mond auch wieder ein bisschen vor dem fünften Juli 2056 prognostiziert.
  2. Bei der Beschriftung habe ich mich von der „Jahresziel-Tabelle“ gelöst, denn Erdumrundungen, Mondflug und auch das Durchschwimmen des Atlantiks (hier nicht dargestellt) sind keine Ziele für ein Jahr.
  3. Zu guter letzt – als winziges, aber wichtiges Detail – habe ich die Prozent- bzw. Promille-Darstellung in den Diagrammtiteln von Runden auf Abrunden umgestellt. Wenn ich 400 Kilometer geradelt bin, habe ich eben noch nicht 1% des Erdumfangs von 40075 erreicht, sondern geringfügig weniger. Bisher zeigte mein Diagrammtitel bereits an 201 Kilometer über dem vorigen vollen Prozent das nächste an. Das fand ich unlauter. Also habe ich es geändert. Somit gibt es auch bei den über das angezeigte Promille hinaus erreichten Kilometern der Reise zum Mond auch keine negativen Zahlen mehr – im Bild darstellt habe ich 104 Promille bis zum Mond erreicht und bin schon 295 Kilometer weiter.

Der (in den Diagrammen nicht dargestellten) Vollständigkeit halber sei gesagt: Gerechnet von Dezember 2021 bis Oktober 2022 betrug meine durchschnittliche Geschwindigkeit etwa 28 Kilometer pro Tag.

Prognosen

Im September steht der nächste große Wettkampf an. Den Stadtwerkelauf in Karlsruhe betrachte ich gewissermaßen nur als Tempodauerlauf und Teil des Trainings, der nächste ernsthaft betriebene Wettkampf ist der Marathon beim Badenmarathon am 22.09. in Karlsruhe. Ich bereite mich schon fleißig darauf vor, habe schon eine Menge lange Läufe von über 30 Kilometern absolviert, das Intervalltraining wird auch mehr auf die längere Distanz abgestimmt, insgesamt wandern die langen Läufe teils eher in geringere Belastung. Ein oder zwei lange Läufe mit Endbeschleunigung stehen auch noch auf dem Programm. Läuft also alles!

Nun wecken meine Ergebnisse im Halbmarathon und auf der Zehn-Kilometer-Distanz natürlich Hoffnungen. Dazu habe ich durchaus eine gewisse Datenbasis auf etlichen Wettkämpfen über die letzten zweieinhalb Jahre, an der ich gewisse Prognosen festmachen kann oder zumindest könnte. Zugleich ist zur Zeit wieder einmal Saison für die Marathon-Zeit-Prognosen, da ja auch der Berlin-Marathon naht.

Jetzt habe ich im Laufe der letzten Tage von mehreren Prognose-Tools gelesen: Da gibt’s die Idee, von Halbmarathon-Zeiten durch Verdoppeln und Addition von ein paar Prozenten auf Marathon-Zeiten zu schließen. Je schneller man im Halbmarathon ist, um so weniger Prozentpunkte muss man auf die verdoppelte Zeit aufschlagen. Dann gibt es die Formel, wonach sich die Wettkampfzeiten von Zehnern, Halbmarathons und Marathons wie der Quotient aus den Streckenlängen hoch 1,07 verhalten. Beide Berechnungen würden mich anhand meiner 1:27 im Halbmarathon und der 40 Minuten auf zehn Kilometer im Bereich unter 3:20 für den Marathon sehen – adäquate Vorbereitung vorausgesetzt. Mehrere Trainingspartner und weitere Leute um mich herum blasen in dasselbe Horn.

Ich selbst bin vorsichtiger. 3:54 habe ich letztes Mal abgeliefert. Zugegeben: am Vortag und noch am Morgen des Marathons hatte ich mörderische Kopfschmerzen bis zum Erbrechen, Nahrungs- und Flüssigkeitsversorgung waren also nicht optimal. Zudem fehlten durch den Jobwechsel und mehrere Wochenend-Reisen im Juli lange Läufe in der Vorbereitung, mit denen fing ich erst im August an. Ersteres hoffe ich, dieses Jahr vermeiden zu können, letzteres ist dieses Jahr definitiv nicht der Fall. Für meine vorsichtige Prognose, erklärtes Ziel seien 3:40, also eine Verbesserung um 15 Minuten, bekomme ich dennoch Kopfschütteln. Im Moment ist, wohl auch ein bisschen durch die Ansagen von außen, meine Idee einer Strategie, den Marathon im September mit 4:55 pro Kilometer anzugehen und bei der Hälfte mal zu evaluieren, wie es mir geht. Dann habe ich immer noch gut Puffer, um sicher unter 3:40 anzukommen, selbst wenn ich langsamer werde, kann aber auch noch unter 3:30 erreichen.

Ich bin gespannt, ob ich mich von der Zuversicht in meinem Umfeld noch mitreißen lasse, oder ob ich meine vorsichtigen Prognosen beibehalte und auf dem Wettkampf danach handle. Die kommenden drei Wochen Fein-Tuning der Marathon-Vorbereitung werden mir hoffentlich eine Idee geben, ob ich mich an meinen Plan halte, oder vielleicht doch noch einmal evaluiere, ob ich den Marathon dann doch etwas schneller angehen kann oder will. Die langen Läufe mit Endbeschleunigung werden mir vielleicht eine Aussage darüber liefern.

Es war so einfach, ein bisschen zurückhaltend zu prognostizieren, bevor ich solche tollen Halbmarathons abgeliefert hatte …