Noch ’ne Entwicklung

Auf dem Rennrad geht’s leichter als auf dem Tourenrad und ein Hänger dran macht das Radfahren noch etwas schwerer. Binsenweisheit? Ja sicher, aber… kann’s nicht auch an etwas anderem liegen?

Dieser Gedanke ließ mir keine Ruhe. Nach überstandenem Corona, nach Trainingsausfall durch Fingerbruch und all dem ging es im Herbst 2022 bei mir endlich wieder bergauf, was körperliche Form anging. Laufen funktionierte wieder, Radfahren machte Spaß. Bestzeiten kamen rum, ein neuer persönlicher Rekord auf den Fünfer im November. Nun messe ich seit einiger Zeit meine Form durch einen selbst erdachten Formschätzer, genau genommen: Durch selbst erdachte Formschätzer für’s Laufen, Radfahren und Schwimmen. Die Formschätzer nennen sich PRAPP, PRAGQ und PRASPP. Hinter diesen kryptischen Abkürzungen verbirgt sich eigentlich keine Magie. Angefangen hat alles mit der Erkenntnis, dass die Pace (Läufer-Geschwindigkeit, in Minuten pro Kilometer, niedrigerer Wert ist schneller) mal den Puls in Schläge pro Minute Schläge pro Kilometer ergab. Das PPP war geboren – das Puls-Pace-Produkt.

Die Werte waren unhandlich, beim Laufen legt man kraft-ineffizienter Strecke zurück als auf dem Rad und nochmal schwerer geht’s im Wasser. Außerdem erwies sich das PPP als nicht unabhängig von meinem Tempo – je schneller ich lief, um so günstiger erschien es. Also dachte ich ein bisschen nach und kam auf die Idee, dass es vielleicht die zusätzlichen Herzschläge über den Ruhepuls hinaus waren, die „pro Strecke“ für jede Sportart konstant bzw. nur von der Effizienz meiner Bewegung und der Größe meines Herzen abhängig sind.

Geboren waren

  • das Puls-Reserve-Ausnutzungs-Pace-Produkt (PRAPP, in zusätzlichen Schlägen pro 100m),
  • der Puls-Reserve-Ausnutzungs-Geschwindigkeits-Quotient (PRAGQ, in zusätzlichen Schlägen pro 200m) und
  • das Puls-Reserve-Ausnutzungs-Schwimm-Pace-Produkt (PRASPP, in zusätzlichen Schlägen pro 25m).

Ganz gleich waren die Werte nicht, aber alle bewegten sich bei halbwegs guter Form im Bereich zwischen 40 und 50 und waren von Trainingsgeschwindigkeit weitgehend unabhängig. Teils kann ich mit einer Erhöhung des PRAPP oder PRAGQ sogar Infektionen vor Ausbruch feststellen… meist bewegen sich die beiden Schätzer für Radform und Laufform halbwegs parallel, höchstens ein bisschen zeitversetzt… bis zum November 2022.

Das ließ mir keine Ruhe, denn PRAPP und PRAGQ funktionieren so gut, dass ich die undurchsichtigen Berechnungen meiner Garmin-Uhr und deren VO2max guten Gewissens in den Wind schlug. Grob proportional zu PRAPP und PRACQ bewegten sich die Werte für Laufen und Radfahren zwar, aber nicht SO zuverlässig wie meine eigenen Werte für mich. Und nun sagten mir Garmin Fénix und Garmin Edge ansteigende Form auf dem Rad, sinkende Form beim Laufen voraus, während ich super Zeiten lief, gut Rad fuhr, der PRACQ fast auf Krankheit hindeutete und das PRAPP ansteigende Form verhieß… WHAT?

Zurück zum Anfang. Ich entwickelte eine Hypothese: War vielleicht der zunehmende Umstieg vom Rennrad auf das schwerere, geometrisch-aerodynamisch ungünstigere Alltagsrad wegen des schlechteren Wetters der Grund? Das war nur ein Gefühl, aber es war eine plausible Vermutung. Hätte aber auch anders sein können… ich wollte es genauer wissen. Ein Diagramm habe ich noch nicht, aber zumindest Zahlen:

Der PRAGQ auf dem Alltagsrad (Trek) ist fast stets drei bis fünf Schläge pro 200 Meter höher als auf dem Rennrad (Izalco), ein bisschen weniger signifikant (wegen der geringen Zeiten) ist noch düsterer, wenn der Hänger dran hängt. Der PRAGQ hat – wie das PRAPP – den Vorteil, dass diese Schätzer „end-to-end“ messen, Herzschläge zu Vortrieb. Damit entsteht auch ein Nachteil – denn insbesondere beim Fahrrad ist „end-to-end“ nicht nur die Effizienz der „Mensch-Maschine“, also Herz, Lunge, Muskeln, sondern auch das Fahrrad. Und da ist natürlich das Alltagsrad dem Rennrad unterlegen.

Eine Binsenweisheit, ich weiß. Aber ich bin Wissenschaftlerin. Ich akzeptiere eine Binsenweisheit nur als Wahrheit, wenn ich sie nachweisen kann.

Wahrscheinlich ist das aber nicht die effizienteste Art und Weise, den Unterschied in Gewicht und Luftwiderstand zwischen Alltags- und Rennrad zu messen.

Abgeleitete Leistungswerte

Vor einiger Zeit hatte ich eine Unterhaltung mit jemandem über meine Sport-Auswertungen. Mein Gegenüber fand meine abgeleiteten Daten wohl etwas „magisch“ (immer gemäß dem dritten Clarke’schen Gesetz, dass jede hinreichend fortschrittliche Technologie von Magie nicht zu unterscheiden ist), er sei mehr der „ZDF“-Typ, was „Zahlen, Daten, Fakten“ bedeutet.

Am Ende des Tages war ich da ein wenig beleidigt, habe das aber nicht nach außen gezeigt. Die Werte, die ich benutze, sind letztlich einfach nur Quotienten oder Produkte von Messwerten, also nichts anderes als „Zahlen, Daten, Fakten“, nur eben ein bisschen aufbereitet, um die Umstände rauszurechnen. Aber genug der gekränkten Eitelkeit.

Derzeit arbeite ich zur Erkennung von Trends in meiner Sport-Entwicklung mit drei verschiedenen Form-Schätzern. Einer davon ist inzwischen für das Laufen, das Radfahren und das Schwimmen gut etabliert und funktioniert nachweislich. In jedem Falle benutze ich dafür die „Pulsreserve“, auf der die Karvonen-Formel basiert. Dafür zieht man vom Puls einer Aktivität den Ruhepuls ab und setzt das dann mit dem Maximalpuls minus dem Ruhepuls in Beziehung. Das unterscheidet sich von der inzwischen sehr weitreichend üblichen Angabe von Trainingszonen in Prozent der Maximalherzfrequenz, ohne Beachtung des Ruhepulses. Ich habe Leistungspuls minus Ruhepuls deswegen etabliert, weil meine Leistungsschätzer nur dann unabhängig von der Intensität meiner Aktivität meinen Trainingsstand anzeigen.

Long Story short: Ich nehme Puls minus Ruhepuls für eine Aktivität und multipliziere mit der „Pace“, also der Läufer- und Schwimmer-Geschwindigkeit in Minuten pro Kilometer bzw. Minuten pro 100m. Beim Radfahren teile ich durch die Geschwindigkeit. Das ergibt dann über den Ruhepuls hinaus zusätzliche Herzschläge pro Strecke. Um handliche Werte zu bekommen, rechne ich beim Schwimmen zusätzliche Herzschläge pro 25 m, beim Laufen zusätzliche Herzschläge pro 100 m und beim Radfahren zusätzliche Herzschläge pro 200 m. Ich nenne diese Schätzer „PRASPP“ (Puls-Reserve-Ausnutzungs-Schwimm-Pace-Produkt), „PRAPP“ (Puls-Reserve-Ausnutzungs-Pace-Produkt) und „PRAGQ“ (Puls-Reserve-Ausnutzungs-Geschwindigkeits-Quotient). Es ist natürlich keine „dimensionslose Kennzahl“, auf die die Maschinenbauer unter Euch so stehen, aber so viel Unterschied besteht da nicht. Wie sich die jeweiligen Werte des PRASPP, PRAPP und PRACQ über die letzten zwölf Monate entwickelt haben, seht Ihr in den Bildern hierunter:

Ich schwimme nicht so oft, aber in den Werten von Aktivitäten im Laufen und Radfahren, wo ich für jede einzelne auch PRAPP und PRAGQ bestimme, kann ich Infektionen schon Tage vor Ausbruch erkennen. Gibt es keinen sichtbaren Grund (schlecht geschlafen, viele Höhenmeter…) für die Erhöhung der zusätzlichen Herzschläge pro Strecke, so reduziere ich Trainingsmenge und vor allem Intensität – meistens kommen die Symptome dann etwas später. Neben der Eigenschaft als Leistungsschätzer sind die Werte also zuverlässige Krankheitsvorhersage.

Mittlerweile habe für das Laufen und Radfahren, wo mir durch Stages-Leistungsmesser-Kurbeln und Stryd-Footpod jeweils Leistungsmessungen zur Verfügung stehen, weitere Schätzer etabliert. Die sind aber noch im Experimentierstatus:

Die neuen Schätzer sind die physikalische Arbeit (also Joule = Wattsekunden) pro Herzschlag bzw. pro Schritt oder Pedaltritt. Vermutlich sollte ich die Arbeit nicht pro Herzschlag ableiten, sondern pro zusätzlichem Herzschlag. Aber wie gesagt, noch ist das Ganze im Experimentierstatus, während PRASPP, PRAPP und PRACQ hochgradig etabliert und auf Belastbarkeit ihrer Aussagekraft überprüft sind.

Natürlich sind das andere Schätzer als in der konventionellen Trainingslehre – aber einem funktionierenden Leistungsschätzer, den ich genau verstehe, traue ich mehr, als einem in der Blackbox meiner Fénix oder meines Edge-Fahrradcomputers nach einem von Garmin nicht veröffentlichen Modell berechneten VO2_max, zumal ich ja schon oft gesehen habe, dass insbesondere in PRAPP und PRAGQ Infektionen oder andere körperliche Probleme sichtbar werden, noch bevor ich sie wirklich spüre.