Am Sonntagmorgen war ich wieder hergestellt – sprich: mir ging es gut. Ich hatte in dem Bett, das normalerweise Cay gehört, hervorragend geschlafen und meinen Nacken und Rücken schön entspannt. Dankwart saß bereits am Tisch und hatte schon Kaffee getruken, gerade ließ der Hausherr Lexa und Andra herein, die zur Verabschiedung von Dankwart extra früh aufgestanden waren. Wir saßen zusammen, ich kochte Tee und Kaffee, danach brachten Andra, LaranaElla und ich Dankwart zum Bahnhof, wo er mit dem Metronom zum Umsteigen nach Hamburg fuhr. Ich selbst hatte mir eine spätere Verbindung ausgeguckt und konnte so noch gemütlich mit den restlichen Übernachtern frühstücken, mich noch nett unterhalten und Lexa ein bisschen was von unserem langweiligen Minecraft-Server zeigen, auf dem der Fokus auf Bauen und gegenseitiger Rücksichtnahme liegt. Es kann sein, dass ich somit bald ein weiteres Mitglied von Kuhba Libre auf meinem Minecraft-Server von WNF begrüßen darf. Ach genau, WNF … das heißt Wednesday Night Fever und bezeichnet den regelmäßigen Spielabend in Guild Wars 2, den einige Freunde, mein Mann und ich vor Jahren außerhalb von GW2 installiert haben und inzwischen vollständig innerhalb von Kuhba Libre betreiben. In dieser Gruppe habe ich einen Server für Minecraft aufgesetzt, der strikt auf eine Whitelist für vertrauenswürdige Leute setzt. Da sammeln sich langsam die Kühe, also die Mitglieder von Kuhba Libre.
Der Sonntagvormittag war dann mit langsam wegtröpfelnden Teilnehmern des Treffens sehr gemütlich, aber auch ein bisschen traurig. Irgendwie ist es natürlich schön, wieder nach Hause zu fahren, aber andererseits hatte man auch eine schöne Zeit zusammen …
Im Moment sitze ich nun im ICE nach Hause, der aufgrund eines Schadens eines anderen Zuges auf der Strecke eine ganze Menge Verspätung akkumuliert hat und mich somit meinen Anschluss in Karlsruhe kostet, mit dem ich eigentlich von der Stadt in mein Dorf fahren wollte. Wahrscheinlich werde ich nun von meinem Mann abgeholt, auch nicht schlecht.
Immer noch verblüfft bin ich über die Vertrautheit, die ich mit all den Leuten „aus dem Internet“ so schnell herrscht. Naja, eigentlich bin ich nicht verblüfft, denn ich kenne das ja schon. Es ist nur so, dass man ganz oft Menschen trifft, die all den Internetbekanntschaften mit Misstrauen begegnen. Oft wird da gefragt, ob man sich denn überhaupt etwas zu sagen habe, warum man diese Leute treffen wolle – oder auch, ob man den keine Sorge habe, dass diese „Fremden“ die Erwartungen an Vertrautheit und ein schönes Treffen nicht erfüllten. Tatsächlich ist mir das in mittlerweile über 17 Jahren Treffen in den verschiedensten Online-Communities noch nie passiert. Bei nahezu allen lernte ich Menschen kennen, die so waren, wie sie sich auch in Chat, Teamspeak oder Spiel gegeben hatten. Keiner hatte sich verstellt oder wollte gar böse. Ich erinnere mich aus dieser Erfahrung heraus mit kopfschüttelndem Unverständnis daran, dass das Argument der Mutter eines zu so einem Treffen eingeladenen jungen Mannes war, die bösen Menschen aus dem Internet seien eigentlich böse Organhändler und wollten seine Nieren. Bis jetzt war für mich meist das größere Risiko jenes der Gastgeber – sich vermeintlich völlig fremde in ihre Häuser zu lassen, da gehört aus meiner Sicht mehr dazu als wohin zu reisen, wo man gleich wieder abreisen kann, wenn man will und zudem jemand vertrauten zuhause hat, der weiß, wo man hingereist ist. Aber wie gesagt: bei den ersten Treffen habe ich bei all diesen Bedenken vielleicht noch etwas Sorge bekommen, inzwischen sagt meine Erfahrung: Wer einem solchen Treffen zustimmt, hat sich in aller Regel nicht verstellt. Es wäre unsäglich peinlich, bei so einem Treffen aufzulaufen und ganz anders zu sein. Die Sache basiert auf Vertrauen – auf gegenseitigem Vertrauen, und wie man bei einer Community hinein chattet oder ins Teamspeak spricht, so schallt es heraus. Dass ich so ein Treffen nicht mit einer anonymen, eventuell auch vorwiegend auf Anbahnung von Beziehungen fokussierten Plattform wollen würde, steht auf einem anderen Blatt, denn da spielen Fassaden – auch wenn das nun komisch klingt – eine größere Rolle als bei Rollenspielern und Gamern. So kann ich recht deutlich sagen: Die Optik der Menschen ist vielleicht manchmal neu gewesen, aber spätestens Gestik und Habitus, oft auch die Stimme (sofern nicht bereits aus dem Teamspeak bekannt) passen in der Regel genau zu dem Menschen, den man sich vorgestellt hat. Gerade in seiner Freizeit in einer Community von etwas unkonventionellen Individualisten will man sich ja auch gar nicht verstellen, sondern man selbst sein. Und so war es wie ein Treffen mit alten Freunden, schon beim allerersten Mal. Nur weil man sich nicht physisch getroffen hat, heißt das nicht, dass es keine Vertrautheit gibt. Im Gegenteil, weit mehr als im Falle von Verwandtschaft oder räumlicher Nähe als Faktor des Kennenlernens hat man sich diese Menschen als sein Umfeld ausgesucht, seine Freizeit mit ihnen zu verbringen – und über Chatgespräche und Teamspeak sie bereits in sein Heim zu lassen, wo man sich gibt, wie man sich eben gibt, wenn man daheim ist.
Meine Güte. Ich erkläre etwas, das ich als wundervoll und selbstverständlich erlebt habe und scheine mich fast zu rechtfertigen, dass es wider alle Erwartung selbstverständlich ist, obwohl diese Erwartung, dass es nicht selbstverständlich ist, bereits lange widerlegt ist. Das klingt ein wenig … komisch. So fühlt es sich auch an, und vermutlich habe ich genau deswegen so viele Worte darum gemacht.