Das ist so ein Ding, das ist gar nicht so einfach zu beschreiben. Denn auch wenn ich gerne locker-flockig, leicht sarkastisch, aber eben doch in bunten Farben das Pendeln als nette Erweiterung der Freizeit beschreiben mag – so ist es nun eben doch nicht.
Es sind täglich zwei Stunden, meist ein bisschen mehr, die ich im Auto sitze. Das ist eine ganze Menge Lebenszeit. Und ich weiß das. Denn ich merke es die ganze Zeit. Nun gibt es so das eine oder andere Werkzeug, die Zeit rum zu kriegen. Klar. Ich höre auch Radio, SWR3 meistens. Ist in der Regel nicht voll meine Musik, wobei, morgens schon. Selten, im Stau, kann’s auch mal auf Rumfummeln am Handy rauslaufen – aber so mit Handy in der Hand mit 120 auf der linken Spur, den Blick nach unten, das mache ich nicht. Das habe ich heute morgen gesehen, und wahrscheinlich schreibe ich das hier gerade genau deswegen, weil ich so einen Kandidaten heute morgen auf der Spur neben mir gesehen habe.
Aber es gibt noch andere Dinge. Denn Autofahren lastet den Geist nur dann voll aus, wenn’s wirklich eng ist, viel los ist, wenn es drauf ankommt. Wenn wenig los ist, wenn es im Stau langsam, aber stetig geht – da setzt die Unterforderung ein. Und ich würde sagen: Eine Stunde am Stück Autofahren könnte ich auch nicht, ohne Unfälle zu bauen, wenn es meinen vollen Geist fordern würde. Aber wie oben gesagt: Am Handy Spielen, das ist saugefährlich. Und nur Radio Hören reicht nicht.
Was ist es also, was für mich die zwei Stunden Fahrt, je eine vor und nach der Arbeit, ertragbar macht? Nachdenken. Nachdenken kann man ganz gut pausieren, wenn gerade der volle Geist gebraucht wird. Nachdenken kann man auch mal auf halber Flamme. Ich spreche gerne von zwei Dritteln meiner Aufmerksamkeit, die zum normalen Fahren gebraucht werden. Das restliche Drittel kann auf Reisen gehen, sofern es bei Bedarf ohne Verzögerung wieder da ist. Das ist beim Spielen am Handy nicht der Fall, mal davon abgesehen, dass ich nicht weggucken muss, um zu Denken.
Und was denke ich nun? Gelegentlich ist es die Arbeit. Dieses und jenes muss getan werden, das fehlt noch, sowas in der Art. Auch wie ich bestimmte Aufgaben angehe, wie ich Tasks dann letztlich ausführe, ist manchmal Thema. Aber eigentlich eher selten und nur dann, wenn es mir zu viel ist mit der Arbeit – ganz besonders dann kann ich auf der Fahrt nicht davon weg.
Wenn es mir gut geht, wenn alles richtig läuft, spielt in meinem Kopf anderes. Und zwar meine Phantasie. Die braucht keine Bilder, keine Töne von außen. Und ich glaube, das ist auch das Geheimnis, warum das so gut funktioniert, mit dem Multitasking mit dem Autofahren daneben: Weil die mentalen Filter für visuelles und akustisches Wahrnehmen von meinen Gedanken nicht benutzt werden. Die Filter sind nämlich wichtig – ohne die internen Filter der Wahrnehmung ist Autofahren nicht möglich, vor allem das Ausfiltern von fahrrelevanten visuellen, aber auch das Ausfiltern von fahrrelevanten akustischen Reizen gegenüber dem großen, breiten Grundrauschen ist entscheidend für die Sicherheit. Handy-Manie, sogar Radio beansprucht diese Filter. Denken nicht.
Und nun, was denke ich denn? Da ist eine Menge. Meine Phantasie ist Geschichten erzählend. Da ist die Geschichte vom Planeten Tethys, auf dem ich viele meiner Plots angesiedelt habe. Tethys ist eine Welt mit einem äquatorialen Meer, einem kalten Krieg zwischen dem Nord- und dem Südkontinent. Die nach „Jagd auf Roter Oktober“ entstandenen U-Boot-Phantasien habe ich dort angesiedelt, aber auch Hochhäuser, Verkehrssysteme – vor allem aber Schicksale. Eine Tänzerin. Eine Ex-Spionin und nun Politikerin. Eine blinde Sängerin in einer Band. Eine andere Band, deren Musik ich mal geträumt habe. Und viele mehr, alle mit eigenen Geschichten, eigenen Entwicklungen, und doch alle eingebettet in diese Welt, in der sie sich durchaus mal in der U-Bahn, beim Einkaufen, im Restaurant begegnen können. Die prominenteste Gestalt auf Tethys aber ist Jenny, oder besser: Jenisa Korrenburr. Wütende junge Frau, Pilotin – und vielleicht ein bisschen Heldin, aber auch ein gutes Stück Anti-Heldin. Und sie ist es, die mich gerade bei der Stange hält, dass vielleicht doch mal ein Buch draus wird. Viele Geschichten unter anderem in Jennys Leben sind als Gedanken auf der Autofahrt entstanden – ursprünglich. Natürlich sind die Szenen, die ich mir dann ausdenke, noch nicht fertig. Dafür bräuchte ich mehr Aufmerksamkeit. Aber Skizzen sind’s, denen es ganz gut tut, erst durch die Erinnerung gefiltert, dann noch mal in Ruhe, nach dem Ankommen durchdacht zu werden und dann erst niedergeschrieben zu werden. Und ja. Das hilft. Es hilft sehr, wenn mal wieder Stau ist und man dasteht und nur langsam hinterherzuckelt. Das hilft auch, wenn der Verkehr fließt und man eigentlich zu wenig Aufmerksamkeit braucht, für den Verkehr. Lieber geht der Geist kurz ein bisschen spazieren, als dass man neben raus guckt, die Augen zu macht oder gar sich ablenkt.
Wahrscheinlich erscheint diese Methode vielen gefährlich. Ich habe aber erlebt, dass mindestens für mich der gedankliche Spaziergang in meiner Phantasie weitaus „sicherer“ ist, als zum Beispiel – selbst mit Freisprecheinrichtung – zu telefonieren. Einen Menschen am anderen Ende kann ich nicht so gut zur Seite schieben wie meine Gedanken. Denn der wartet ja auf meine Antwort. Das merke ich an mir selbst – selbst die erlaubten Tätigkeiten hinter’m Steuer lenken ab, bringen die Filter durcheinander, wenn sie auf Audiovisuelle Wahrnehmung zurückgreifen oder gar einen Gegenüber beinhalten.
Ich glaube aufrichtig, ohne dieses Gedanken-Geschichten-Dingens hätte ich entweder wegen ablenkenden Tätigkeiten am Steuer schon einen Unfall gebaut – oder hätte die ablenkenden Tätigkeiten gelassen und wäre an geistigem Teilleerlauf während 10% meines Tages noch bescheuerter geworden, als ich es ohnehin schon bin.