Zweifel

Der Zweifel, er begleitet mich. Tue ich das Richtige? Tue ich genug?

Das umfasst im Kleinen unsere Haushaltsführung und meine Lauferei, im Mittleren solche Dinge wie die Arbeiten am mit einer weiteren Partei gemeinsam bewohnten Haus und Grundstück sowie die Arbeit, ebenfalls im (oberen) Mittleren die Dinge in der Gemeinde, in Lauftreffs, im politischen Engagement und im ganz Großen (das aber in alles hinein wirkt) die Dinge, die ich gegen die menschgemachten Veränderungen des Planeten tue bzw. tuen sollte.

Woah, was eine große Klammer. Aber es ist so – ich stelle das, was ich tue, in Frage, aber ich tue sicher nicht alles, was ich in der individuellen Entscheidung „jetzt“ tun könnte. Im Ganzen jedoch, in der Summe dessen, was ich alles auf all diesen Ebenen tue, ist mein Potential begrenzt. Am Ende des Tages schienen fünf, sechs Dinge dringend und danach hatte ich nicht mehr die Kraft, nicht mehr die Gedanken, um über die anderen überhaupt nachzudenken, geschweige denn sie zu tun. Ein recht großer Pool wird stets verschoben, bleibt vielleicht auf der Strecke oder an jemand anderem hängen.

Schaffe ich es, den Rinnstein vor dem Haus mal wieder zu reinigen, damit der Nachbar, der deutlich mehr an Garten und Haus macht als wir, es nicht tun muss? Schaffe ich es, von weniger Fleisch auf noch weniger oder gar keins mehr runter zu kommen? Schaffe ich es, endlich mal das Innenlager meines Rennrads runterzukühlen, um es auszuschlagen und die neue Schaltung einzubauen? Kriege ich es hin, einen großen Wurf zu machen, im Sinne von „bei bestimmten Prozessen auf der Arbeit grundsätzliche Effizienzsteigerungen zu erreichen, um mehr Zeit für andere, auch wichtige, eigentliche Aufgaben unserer Behörde für alle zu schaffen?“ Staube ich endlich mal die Kuscheltiere aus meiner Kindheit, die im Wohnzimmer über dem Sofa auf dem Regal sitzen, wieder ab?

Ja, der Bogen ist ist weit, den ich hier spanne, denn der Zweifel, ob ich genüge, und der Zweifel, was jetzt wichtiger, was grundsätzlich wichtiger oder nötiger ist, wird von all dem geatmet. Ich verstehe, dass Minimalisten, die sich „zuhause“ um wenig kümmern müssen, die viel Arbeit investiert haben, ein Leben mit wenig regelmäßiger Wartung von Zeug, das eigentlich nur rumsteht und darauf wartet, gewartet zu werden, mehr Zeit für die großen Fragen haben. Dafür muss man aber erstmal die Arbeit investieren, diesen Ballast zu beseitigen – bzw. muss sich erstmal mit dem Gedanken anfreunden, dass Dinge Ballast wären. Mit Socke, Streifchen, Timmy, Tommy, Tigi (alles Tiger), Tigis Tigerente, Leo und all den Kuscheltieren, die ich aus meiner Kindheit noch habe, die auf dem Regal sitzen und gerne mal wieder Staub los werden würden, kann ich das nicht. Wenn ich versuche, mich zu fragen, ob die Truppe abzustauben oder sie einem Kindergarten zu spenden richtiger oder wichtiger ist, bleibe ich oft damit hängen, dass Tränen und Widerwillen beim Gedanken an das Abgeben der Tierchen in mir aufsteigen, aber für’s Absaugen der Gruppe und das Staubwischen des Regals unter ihnen die Zeit zu finden, ist auch nicht so einfach.

Klar, das sind die kleinen Dinge, an denen ich es jetzt erkläre. Die Großen, da wird es grundsätzlicher, da kommt mehr zusammen und so weit wollte ich textlich heute nicht mehr reisen. Schließlich frage ich mich immer noch, ob ich vor dem verspäteten Samstags-Frühstück, also gegen zwölf oder halb eins, noch ein oder zwei kleine Aufgäbchen erledigt bekomme.

Also komme ich dann doch zu den zwei Punkten, die mich auf diesen riesigen, weiten, sehr grundsätzlichen Bogen gebracht haben: Einerseits habe ich endlich Zeit gehabt, mal ein paar Dinge anzugehen. Ich hatte fast acht Tage an Überzeit angesammelt und diese Woche fünf davon abgefeiert. In der freien Zeit habe ich die Prioritäten etwas anders gesetzt, als ich es dachte. Das will ich gar nicht in Frage stellen, das sollte okay sein, obwohl ich mich natürlich die ganze Zeit – Thema Zweifel – frage, ob ich die richtigen Dinge nochmal aufgeschoben und die richtigen Dinge jetzt endlich mal gemacht habe. Aber dieser selbstbestimmtere Rhythmus, diese Zeit, auch mal dumm zum Fenster raus zu starren und die Gedanken treiben zu lassen, hat ermöglicht, die Fragen, die ich hier aufgeworfen habe, erstmal wirklich aufzuwerfen und darüber nachzudenken. Und festzustellen, dass ich keine Lösung habe, aber das Problem bewundere. Andererseits habe ich mich damit befasst, dass eines meiner Ziele, eines der Programme, das mir zur Zeit beim Entscheidungen treffen hilft, in einer gewissen Weise gestrickt ist – es geht um meinen Trainingsplan – und andere Leute mit anderen Arten (Philosophien) gerade gute Ergebnisse erreicht haben. Da frage ich mich, ob ich auf dem richtigen Weg bin.

Viele von Euch werden nun sagen: Nicht so viel nachdenken, einfach mal machen. Ich könnte Euch entgegenhalten, dass ich nicht die Person dafür bin. Ich denke nach. Das bin ich. Es hat mich da hin gebracht, wo ich jetzt bin, dass ich nachdenke, dass ich Dinge hin und her wende und dass ich auch mal die große, ganze Theorie und Praxis, den riesig-großen ganzen Zusammenhang hinterfrage. Nicht, dass das immer oder auch nur oft zu einem tollen, großen Ergebnis führen würde, aber ich bin Wissenschaftlerin, nicht nur qua studium, sondern qua person. Aber ich WILL Euch das hier gar nicht entgegenhalten, denn ich HABE auch einfach mal probiert. Ich habe meinen Tempodauerlauf nach dem „sturen“ Schinderplan von Peter Greif durch einen Tempowechsellauf mit kilometerweisen Beschleunigungen auf’s Marathonrenntempo ersetzt, und es für gut befunden. Hier also: Keine Entscheidung, sondern Synthese durch kleine Experimentierschritte.

Und jetzt gehe ich meine Kuscheltiere abstauben. Der Dreck im Rinnstein kann auch bis zum Nachmittag oder vielleicht auch noch ein, zwei Wochenenden warten.

Sechs schöne Tage…

Sechs schöne Tage habe ich nun in Castellana Grotte in Apulien verbracht. Viel gelaufen bin ich – 180,9 Kilometer in sechs Tagen, dabei auch 3125 Höhenmeter… das meiste war Dauerlauf, es waren aber auch Hügelsprints und eine Zehn-Kilometer-Endbeschleunigung dabei.

Wir haben mehrere Ausflüge gemacht – Polignano a Mare, Ostuni, Matera, zum Meer in Monopoli (einmal per Mietwagen, einmal läuferisch) und zur Karfreitagsprozession in Castellana Grotte. Es wurde gemeinsam gekocht, spazieren gegangen, erzählt und gelacht. Ein Ausflug heute Nachmittag, das Wegbringen des Mülls, ein gemeinsam gekochtes Abendessen, Frühstück auf dem Weg nach Bari und der Heimflug liegen noch vor uns, dann hat Deutschland uns wieder.

Ich bin dankbar, mit meinem Lauftreff eine so schöne Reise, ein Trainingslager verbringen zu dürfen und habe nun viele Kilometer Vorbereitung für meinen dritten Marathon-Wettkampf in den Beinen und einen Plan für die restlichen vier Wochen bis zum Dämmermarathon im Kopf.

Viel von all dem Furchtbaren, das meine Gedanken sehr in seinen Klauen hatte und wieder haben wird, dazu meine Arbeit und den fest gefügten Alltag konnte ich eine Woche lang wegschieben. Ich bringe die Kraft und Zuversicht mit nach Hause, mich dem wieder zu stellen. Und ich freue mich auch schon sehr auf zuhause!

[KuK] Reflexion

Pfingstsonntag, halb acht. Ich frage mich, was eigentlich mit mir passiert ist.

Vor fünf Jahren wäre ich aufgestanden, hätte kurz WGT-Fotos meiner Freunde gecheckt, festgestellt, das manche noch gar nicht in ihren Zelten oder Hotels gewesen wären, und hätte mich wieder ins Bett gelegt.

Heute bin ich auf, trinke eine Tasse Kaffee und drei Tassen Tee und checke das Wetter, ob ich mir kurzer oder mittellanger Hose nach Karlsruhe radle, um mich mit meinen Laufpartnern auf einen Halbmarathon durch den Hardtwald zu treffen.

Es ist nicht nur „Corona passiert“. Meine Mama hat mal über den Ehemann einer Studienfreundin gesagt, er habe dasselbe „Asketisch Verbissene“ wie mein Papa damals. Ihre Freundin und sie redeten bei den Treffen der beiden Paare über das Studium, über Wein, die alten Zeiten. Mein Vater und der Ehemann der Freundin über Fahrräder, Kalorien, Sport.

Ich sehe mich gerne als intellektuelle und humanistische Erbin dessen, was meine Mutter verkörperte und war. Aber am Ende des Tages kann ich auch meinen Vater nicht verleugnen.

Wettstreit der Verbrenner

Es gibt – im Zuge des Klimaschutzes und des damit verbundenen Aufstiegs des E-Autos – derzeit viele Diskussionen, ob Elektromobilität oder „der Verbrenner“ das Mittel der Wahl seien. Das bezieht sich dann auf die Autos, und man kann ja mit dem Materialaufwand für Akkus (insbesondere die Herstellung bestimmter Metalle, die für Akkus gebraucht werden, und deren Lebensdauer) gewisse Punkte ins Feld führen, dazu noch die Erzeugung des Stroms. Grundsätzlich sind aber nicht alle Verbrenner schlecht.

Die „Verbrenner“, die in meinem Alltag zum Einsatz kommen oder kommen können, habe ich nun mal in Beziehung zu setzen begonnen. Die Elektromobilität kommt bei mir bisher nur in Form von ÖPNV und öffentlichem Fernverkehr zum Einsatz, daher ist es tatsächlich ein Wettstreit der Verbrenner, wenn ich meinen Individualverkehr nach Strecke aufführe. Zur Personenbeförderung sind bei mir derzeit im Einsatz:

  • Toyota Aygo der zweiten Generation, Verbrenner fossiler, eher kurzkettiger Kohlenwasserstoffe mit gewissem Anteil regenerativer Alkohole (derzeit eher unter 5% als unter 10%)
  • Für kurze (schwer erfassbar) und längere Strecken „Schusters Rappen“, also Gehen und Laufen. Da ich teils auf Laufschuhen ins Büro gependelt bin und auch schonmal mit Rucksack zum Einkaufen zum Bäcker gerannt bin, möchte ich den „Glykogen- und Lipid-Verbrenner ohne Räder/Rollen“ nicht von den Verkehrsmitteln ausnehmen, auch wenn der Großteil der erfassten Laufstrecken doch eher in Training und/oder vergnügliches, freizeitliches „Spazierenlaufen“ fällt.
  • Bisher eher nicht als Verkehrsmittel genutzt kommt noch das Inline-Skaten dazu. Aber Freunde von mir skaten durchaus ins Büro, und wenn ich mal mehr Praxis und weniger Homeoffice habe, werde ich diese Option sicher nicht ausschließen. Schneller und dabei weniger schweißtreibend als das Laufen ist es allemal, und damit effizienteres Pendeln.
  • Definitiv stark als Verkehrsmittel genutzt tritt derzeit das Radfahren auf. Auch hier haben wir – wie beim Laufen und Skaten – einen Glykogen- und Lipidverbrenner vorliegen, der aber regenerativ betrieben wird, denn sobald organische Verbindungen als „fossil“ gelten dürfen, bin ich ziemlich sicher, dass ich sie nicht mehr essen oder trinken mag.
  • Der Vollständigkeit halber aufgeführt sei hier das Schwimmen.

Über die unteren vier – Laufen, Radfahren, Skaten und Schwimmen – führe ich ja schon länger Buch. Da nun aber bei mir erstens das Radfahren zunehmend kurze Auto-Strecken ersetzt, selbst wenn viel Last zu befördern ist, und ich zweitens durchaus mit dem Gedanken kokettiere, beim „Stadtradeln“ mal als Stadtradeln-Star mitzumachen zu versuchen, habe ich beschlossen, auch Auto-Kilometer zu dokumentieren und in der Liste aufzuführen. Das tue ich nicht rückwirkend, sondern erst ab Mai 2021, also ab dem laufenden Monat. Einerseits habe ich schon mehrfach im Kopf den Vergleich angestellt, wie sich per Muskelkraft zurückgelegte Strecken zu den mit dem Auto abgespulten Kilometern monats- und jahresweise bei mir verhalten, andererseits hilft’s mir natürlich, abzuschätzen, wie viel Umstellung es erfordern würde, wenn das Auto nicht mehr als eigenes Auto jederzeit auf dem Hof stünde – entweder, weil’s kaputt wäre, oder weil wir nur noch über Carsharing eine Verfügbarkeit des Autos für uns gewährleisten würden. Das ist jeweils rein hypothetisch gesprochen, denn unser kleiner Aygo funktioniert, hat immer noch unter 110.000 Kilometer auf dem Buckel und eine Abschaffung ist auch nicht in Planung. Natürlich nutzt die Statistik, wie oft und über welche Strecken das Auto genutzt wurde, auch bei der Abschätzung, ob und wenn ja, was für ein neues Auto angeschafft werden sollte, wenn der Aygo dann doch mal den Geist aufgibt.

Und somit habe ich nun die Möglichkeit, den „Wettstreit der Verbrenner (im Individualverkehr)“ in meinem Leben aufzumachen:

Das neue Gesamtkilometer-Diagramm ab Mai 2021. Stand der Monate vor Mai ohne Erfassung von Autofahrten, Stand der Erfassung im Mai: 05.05.2021, 6:00.

Bis jetzt ist nur in der Legende das Auto dazugekommen. Monate, in denen eine „0“ an Autokilometer zusammenkommt, erfasse ich für das Diagramm mit einem „#NV“, was in Excel dem Fehler „no value“ entspricht. In den Diagrammen erscheint dann kein Punkt. Natürlich geht das Auto nicht in die Kilometersumme „Cardio Gesamt“ ein, sondern steht als Gegenstück dazu mit drin. Da ich die Erfassung von Autofahrten erst ab Mai 2021 beginne und rückwirkende Schätzungen sicherlich sehr ungenau wären, und wir im Mai noch gar nicht Auto gefahren sind, gibt’s bisher keine Punkte in Braun, sondern nur den Legendeneintrag.

Ich bin sehr gespannt, ob ich die Disziplin habe, tatsächlich quasi ein Fahrtenbuch draus zu machen und somit eine Datenbasis zu legen, die auch die Entscheidung beim nächsten Auto fundierter machen wird. Wenn nämlich nur sehr wenige, lange Fahrten auftreten, ist eventuell die Mietwagen-Lösung gangbar. Sind’s einige kurze und weniger lange, dann könnte neben dem Rad eine Carsharing- und Mietwagen-Lösung her, sind es etwas mehr kurze, ist vielleicht ein E-Auto eine Idee. Nur bei eher mehr, eher langen Fahrten müsste man wohl, wenn die technische Entwicklung der tatsächlich verfügbaren Fahrzeuge und der Ladeinfrastruktur dann nicht wesentlich vorangekommen sein sollte, wieder einen eigenen Verbrenner in Erwägung ziehen.

Das klingt nun schon fast nach einem „ganzheitlichen persönlichen Verkehrskonzept“. Oh weh!

Die ganze Geschichte

Oh, das ist eine vollmundige Ankündigung, nicht wahr? Ein Blogbeitrag, der mit „Die ganze Geschichte“ überschrieben ist, verspricht unheimlich viel. Man könnte mir vorwerfen, bewusst fehlzuleiten…

Aber eigentlich bezwecke ich etwas damit und der Titel ist vielleicht etwas verkürzt. Oft ist es so, dass man irgendetwas sagt oder hinschreibt, das im Kontext der eigenen, der „ganzen Geschichte“ etwas bedeutet – und aus dem Zusammenhang gerissen etwas ganz anderes. Dieser Punkt ist mir mal wieder bewusst geworden, anhand eines Beitrags, den ich am Samstag auf Strava geteilt habe. Ich greife das mal raus…

Der Anlass

Nach zwei Wochen schaffte ich es am Samstag endlich, mit meiner Nichte (11) eine Runde Inliner zu fahren (wie sie es ausdrückt) oder skaten zu gehen (wie ich es ausdrücke). Sie hat deutlich mehr Praxis, da sie schon deutlich mehr gefahren ist und als junger Mensch auch motorische und koordinative Abläufe deutlich schneller erlernt als ich mit meinen Anfang 40. Nicht unerwartet war, dass sie zuverlässiger und mit mehr verschiedenen Methoden bremsen kann und auch weniger leicht die Balance verliert als ich. Auch, dass sie mit ihrer größeren Praxis mit Unebenheiten des Bodens besser umgehen kann, war mir bewusst. Etwas überrascht hingegen hat mich, dass ich schneller und auch ausdauernder skaten kann als sie – denn natürlich bin ich als Marathon-Läuferin fit, aber die Bewegungen des Skatens sind mir halt doch noch fremd und daher hinreichend anstrengend – zweimal verlangte meine Nichte eine Pause, die ich sicher nicht gebraucht hätte, mehrfach merkte ich, dass ich schon auf freiem Radweg die 15 km/h überschritt, während sie meinte, dass sie bisher maximal 15 km/h schnell gewesen sei – ich habe schonmal 20 erreicht.

Unter der Aktivität (GPS-Track, Geschwindigkeitsverlauf usw.), die ich auf Strava hochgeladen hatte, kommentierte ich, dass meine Nichte sicherer im Bremsen und generell sei, aber ich schneller und ausdauernder sei. Damit drückte ich diese Verwunderung aus.

Ein mir flüchtig und nur online bekannter Skater und Triathlet kommentierte darunter, schnell skaten könne jeder. Er ergänzte, dass bei schnellem Skaten gefährlich sei, wenn man nicht sicher skaten und bremsen könne. Tja, meine Aktivität war mit „Skaten Üben mit meiner Nichte“ überschrieben, und für mich selbst bedeutete das, dass ich in diesem Falle Sicherheit und Technik übe. Aber natürlich habe ich nicht die ganze Geschichte erzählt… sondern vorausgesetzt, dass ich Technik, Sicherheit und Bremsen übte und mir Tipps von der jungen Dame holte, nebendran aber meiner Verwunderung Ausdruck verlieh, dass meine Ausdauer und Kraft vom Laufen und Radfahren mich durchaus auch in der nicht so gewohnten Sportart des Inlineskatens schneller sein ließ als meine Nichte. Ich fühlte mich zuerst zu unrecht belehrt, erst recht, weil ich natürlich vor Unsicherheiten bei hohem Tempo wie 30 km/h gewarnt wurde.

Annahmen über den Kontext

Was ist also, was ich sagen möchte? Nun… eine Lehre gibt es nicht, wohl aber so eine Art Erkenntnis: Vieles erscheint herausgerissen aus dem Kontext anders, als wenn man den Kontext kennt und für sich selbst voraussetzt. Kennt man das Publikum genau, weiß man, welchen Teil der „ganzen Geschichte“ man nochmal wiederholen muss. Aber gerade bei Vorträgen vor unbekanntem Publikum oder bei Postings im Netz ist unklar, wer welche Anteile der ganzen Geschichte kennt. Manche Leute setzen dann voraus, dass sie nicht die ganze Geschichte kennen – andere imaginieren die ganze Geschichte dazu, und landen natürlich nicht immer einen Treffer.

So war der Hinweis des Kommentators richtig: Schnell skaten kann fast jeder. Das ist einfacher, als sicher zu skaten und zu bremsen. Ich übe das seit einer Weile und wage mich langsam, mit zunehmender Sicherheit, auf raueren Grund, an Stellen, an denen ich ein bisschen schneller reagieren muss, als ich es zu Anfang konnte, aber noch nicht an Stellen, an denen ich auch nur halb so schnell reagieren müsste, wie ich es mir zutraue. Das schrieb ich dann dazu und alles war gut.

Sich getroffen Fühlen – und Perspektivwechsel

Meine (sicher nicht mehr pubertäre) trotzige Eitelkeit jedoch wollte schreien: „Warne mich nicht vor Dingen, vor denen ich mich mehr fürchte und die ich mehr meide, als Du Dir vorstellen kannst!“ Indes, ich habe das nicht geschrien, und geschrieben habe ich es auch nicht. Aber es geisterte in meinem Kopf herum – und deswegen habe ich es hier hingeschrieben. Ich selbst versuche meistens, auch bei Dingen, die in mir Warnlampen angehen lassen, unter der Voraussetzung zu kommentieren, dass ich vielleicht nicht die ganze Geschichte kenne.

Aber es ist noch gar nicht so lange her, da musste ich bei sowas zurückgepfiffen werden – jemand fragte, welche Tests er machen und Werte er bestimmen lassen müsse, um festzustellen, ob er als Läufer Nahrungsergänzung gegen Mängel brauche. Ich brach die Lanze für ausgewogene Ernährung und dass man ohne Nahrungsergänzung auskommen könne – aber hey: Der Kollege fragte, wie man bestimmen könne, ob und wenn ja, welche Dinge er ergänzen müsse! Er wollte sich nicht vollpumpen, sondern erstmal prüfen, und das ist definitiv besser, als einfach mal auf doofe Dunst etwas oder auch nichts zu tun!

Die Moral von der Geschicht‘ – oder vielleicht auch nicht?

Und so plädiere ich hier vor mir selbst dafür, mehr nachzufragen und weniger anzunehmen, wie etwas gemeint ist. Denn ich selbst mag’s ja auch nicht, wenn man aufgrund einer Äußerung falsch annimmt, dass ich etwas falsch mache, und mir das (in meinen Augen) vorhält!

Entertainer

Wie es scheint, ist an mir wohl ein Entertainer verloren gegangen. Freilich liegt das immer im Auge des Betrachters, aber heute hatte ich gewisse Indizien, dass ich eine Geschichte im realen Leben, sofern ich viel Anteil daran nehme, ganz gut erzählen kann.

Heute Mittag hatte ich aus irgendeinem Anlass kurz mit einer Kollegin zu tun, die auch Physik studiert hat, wenn auch mit anderen Fokus als ich. Wir hatten es dann kurz von Physik-Professoren und wie die so drauf sind, dann erzählte ich ihr noch etwas anderes und sie fragte nach. Wie es so kam, verquatschten wir uns: Von meinem Physik-Hauptdiplom in theoretischer Physik kamen wir auf meine (ganz gegensätzlich verlaufene) Hauptdiplomprüfung in experimenteller Physik. Dann kam das Thema auf meine Selbstbelohnung danach (eine abenteuerliche Fahrt mit dem Auto über mautfreie Straßen durch die Schweiz und Frankreich nach Le Bourg d’Oisans, Übernachtungen im Auto, das Bergzeitfahren in l’Alpe d’Huez während der Tour de France 2004) und dann auf Radsport.

Schließlich landeten wir dabei, dass sie fragte, wie Radsport schauen so sei. Also schilderte ich, was mich daran fasziniert – anhand dreier Bergankünfte, die großen Eindruck bei mir hinterlassen haben, durch die Bank aber schon sehr lange her sind:

  • Miguel Indurains Verfolgungsjagd nach Lourdes Hautacam 1994, als er zusammen mit Luc Leblanc alle Spitzengruppen jagte, einholte und hinter Luc Leblanc zweiter in Hautacam wurde.
  • Bjarne Riis‘ Angriff von der Spitze der fünfköpfigen Spitzengruppe, diese schiere Demonstration bloßer Überlegenheit, als vier starke Bergfahrer, die normal sehr wechselschnell fahren können, einem von der Spitze der Gruppe wegradelnden Riis nicht mehr folgen konnten – wieder in Lourdes Hautacam.
  • Jan Ullrichs Zurückfallen zum Teamwagen mit Walter Godefroot, sein lässiges zurückradeln in die zerrupften Reste des Hauptfeldes – und dann seine Attacke, wie er in der Serpentine forciert, wie er Virenque abhängt, die Zweiergruppe um Cédric Vasseur im gelben Trikot stehen lässt.
    Wie er dann den Kopf schüttelt, als er den führenden Ausreißer stehen lässt, höher hinaus stürmt, seinen Trikot-Reißverschluss schließt und sich dann umschaut, ob ihm jemand folgt, doch da ist keiner mehr…

Ich scheine es gut gemacht zu haben. Ich scheine meine Begeisterung, meine Gänsehaut von damals gut transportiert zu haben, denn sie tupfte kurz ihre Augen. Es ist selten, dass jemand die Dramatik, die unglaubliche Spannung und diese Gänsehaut nachfühlen kann, die es in mir weckt, einen Helden an einem Berg eines Straßenradrennens geboren werden zu sehen. Und sei’s nur bis zum nächsten Tag, wenn die anderen ihn deklassieren, oder bis herauskommt, dass er gedopt hat, oder alles zusammen.

Vermutlich kann ich das wirklich nur bei Dingen, von denen ich überzeugt bin, zu denen ich eine emotionale Bindung habe. Aber bei denen scheine ich es zu können – eine Spannung aufzubauen, eine Erzählung zu kreieren, die mitreißt. Das freut mich, denn ich weiß, dass es mir sehr viel bedeutet, diese enorme Begeisterung transportieren zu können. Vielleicht werde ich, wenn ich nun wieder anfange, Radsport zu schauen, neue solche Szenen erleben und den Leuten erzählen… das wäre schon klasse, finde ich.

Kubistische Insomnia

Ein Glück ist dieser Montag ein Feiertag! Ich finde es zwar schade, nicht mit meinen Lieben zusammen zu sein, aber ich bin im Moment unglaublich froh, dass heute frei ist. Das hängt damit zusammen, dass ich gestern beim zu Bett gehen der festen Überzeugung war, schnell einschlafen zu können.

Ich erzählte meinem Mann (und den versammelten Kuscheltieren und unsichtbaren Mauzen und unsichtbaren, kybernetischen Wölfen – was halt in unserem Haushalt so kreucht und fleucht) eine Katzen-Superhelden-Geschichte. Dann gab’s für die Mauzen, die Kuscheltiere und den Wolf (meinen Mann) ein „Püh!“ zum Einschlafen, von meinem Mann dann ein „Püh!“ für mich, Licht aus –

Gedanken an. Keine Ahnung, was ich zuerst dachte. Jedenfalls konnte ich nicht schlafen. Vielleicht dachte ich auch gar nicht und konnte nur nicht schlafen, die Gedanken kommen dann automatisch. Ich versuchte es mit Phantasie, die sowas üblicherweise bricht, aber es klappte nicht. Es dauerte nicht lange, dann war mein Kopf bei einer Idee angekommen, die wohl schon den ganzen Ostersonntag in meinen Gedanken gelauert hatte: Eine Fracht-Bahn-Linie für unseren Minecraft-Server. Genau genommen: Ein bis drei Facht-Bahn-Linien, die in der Gleishalle West (Fracht) meines großen Haupt- bzw. Tiefbahnhofs Warenumschlag zwischen

  1. meiner Betriebsebene (Zentrallager),
  2. der Core-Lobby meines Turms (ganz unten, mit Minenzugang) und
  3. der Poststation

erledigen sollen. Farblich sollten die Gleise der ersten beiden Linien wohl schwarz oder grau unterlegt werden, die der dritten natürlich gelb – sie führt ja zur Post! Dafür musste ich mir weitgehende automatische Belade- und Entlade-Systeme für Güterloren ausdenken, und genau das geisterte in meinem Kopf herum. Hätte ich doch gegen 1:30 oder gegen 2:30, also bei den ersten beiden Malen, die ich draußen war, selbige Systeme in einer Welt im „Kreativmodus“, wo man frei bauen kann, als Protoypen erstellt und getestet! Aber ich dachte mir: „Tally, Du bist doch nicht SO albern! Du liest einen Moment und dann gehst Du ins Bett und schläfst.“

Aber natürlich bin ich doch so albern, weil das Schlafen nicht funktioniert, wenn mir sowas im Kopf rum geht. Gegen 5:00 gab ich meinen „vernünftigen“ Widerstand auf und baute einen ersten Prototypen. Nun konnte ich schlafen! Nun, nach wenig und unruhigem Schlaf, zudem nicht unbedingt zur richtigen Zeit, habe ich besagten Prototypen eines Be- und Entladesystems erweitert und einen Prototypen der oben genannten gelben Linie, die den Warenumschlag zwischen meinem Tiefbahnhof und der Post ermöglicht, zusammengezimmert. Bis auf eine Variante – bei mehr Fracht als auf einmal in die Lore geht – funktioniert das System super! Für den „Großmengen“-Fall habe ich aber einen manuellen Override gebaut, mit dem man das System wieder auf Schiene setzen kann.

Nun gilt’s, das Ganze irgendwann einzubauen. Ob ich für die Frachtbahnhöfe auf der Betriebsebene und in den Minen das Frontend Typ „Post“ oder das Frontend Typ „Tiefbahnhof“ verwende, weiß ich noch nicht – vermutlich wird’s die Post-Variante. Im Tiefbahnhof werden sich drei Frachtbahngleise Typ „Tiefbahnhof“ die „Gleishalle West (Fracht)“ teilen.

Ich würde ja gerne schreiben: Und jetzt kann ich schlafen. Aber es ist heller Tag! Ich sollte mich allmählich selbst gut genug kennen, dass ich bei manchen Gedankenmühlen einfach das machen sollte, was ich im Kopf zusammenbastele, aber nicht sicher bin, ob’s funktionieren wird. Erst recht, wenn es ohne Leute zu wecken geht!

Herrlicher Frühling

Der derzeit herrliche Frühling lässt mich ein wenig melancholisch werden. Eigentlich wäre das meine Zeit, in der ich viele Wettkämpfe laufen würde, das Laufen draußen genießen würde – eigentlich.

Nun kommen aber leider neben der Corona-Krise auch noch dumme Effekte hinzu. Vermutlich ist es die Anpassung an mehr Radfahren, vielleicht habe ich es im März auch etwas überzogen mit der Trainingsmenge. Jedenfalls habe ich eine kleine Verletzung im Unterschenkel. Das, was zuvor im Februar links ein wenig plagte, plagt nun ein bisschen mehr auf der rechten Seite. Ich bin 100% davon überzeugt, dass mit ein wenig Warmlaufen alles einigermaßen flüssig gelaufen wäre, aber ich wollte es nicht darauf anliegen. Seit Freitag pausiere ich nun schon, und auch wenn es vernünftig ist, lässt es mich doch die Wände hochgehen – insbesondere bei diesem herrlichen Wetter, das zur Zeit herrscht. Heute Nachmittag waren’s 500 Meter Testlauf, da ich es beim Gehen gar nicht mehr spüre, was da ist. Aber so richtig prall war’s einfach nicht, also mache ich noch etwas länger Pause.

Wie schwer mir das fällt!

Dennoch: Der Frühling ist herrlich und über eine kleine Radtour, auf der wir einige Besorgungen machten (zwei regelmäßig notwendige Rezepte bei Ärzten, zur Apotheke, was Frisches für auf den Abendbrottisch einkaufen) haben mein Mann und ich ihn per Fahrrad genossen. Da war dann schon fast wieder vergessen, dass mich das Aufhören beim Laufen nach nicht einmal einem Kilometer, aus eher Vorsicht als allem anderen, tierisch störte.

Ich tue zur Zeit cool, also dass es mich nicht fertig macht. Aber wie Ihr hier lest: Ich könnte die Wände hochgehen. Laufen ist wichtig für mich, für meinen Kopf, mein mentales Gleichgewicht. Ich lerne gerade zu schätzen, welch positive Effekte das Laufen auf mich hat, da ich mal ein paar Tage schonen muss. Vielleicht ist das der Lerneffekt. Denn Krise ist stets auch Chance, nicht?

Ihr dürft gerne …

… über mich lachen, so lange ich mitlache, lachen wir gemeinsam.

Das ist ein Satz, den ich mir hart erarbeitet habe. Gestern habe ich den Satz mal wieder gesagt, als ich meine Kollegen trotz … oder vielleicht eher in Kompensation meiner Kopfschmerzen und dahingehend dumpfer Laune mit multiplen Wort- und Flachwitzen nervte. Da ging’s um die Fortpflanzung der Metzger … Eier natürlich, an den Brutstätten steht, was drin ist: „Metzger-Ei“. Es gab noch mehr, das mir nun nicht mehr einfällt. So lange ich mit euch lache, wenn ihr über mich lacht, lachen wir gemeinsam.

Das ist gar nicht so einfach für mich gewesen. Ich war in der Schule scheu, ein bisschen zu gut in der Schule, um trotzdem cool zu sein, verträumt und vor allem leicht zum heulen zu bringen. Dazu war ich ein bisschen anders, was ich erst in der Retrospektive so richtig verstanden habe. Natürlich wollte ich auch unbedingt dazu gehören. Allein sein unter vielen Leuten, die man täglich sieht, kann furchtbar sein. Je mehr ich an Spott abbekam, um so empfindlicher wurde ich. In Erinnerung ist mir deutlich, dass ich nach der Lektüre des „Was ist Was“-Bandes über Höhlen eine fiktive Höhlenkarte mit Eingängen in der Umgebung meines Heimatortes auf den Rand meines Heftes zeichnete. In der Pause schnappte sich ein Klassenkamerad das Heft und las zur Belustigung der Klasse und mit beißendem Spott meine Beschriftungen vor. Zu anderen Anlässen fragten mich Mitschüler immer wieder, immer drängender, unter Nennung meines Namens, wie ich hieße. Man kann einem Kind, einem Jugendlichen noch so oft sagen, dass man so etwas ignorieren soll. Es funktioniert nicht. Man will dazugehören, den Erwartungen entsprechen, und zugleich steht man damit vor einer unlösbaren Aufgabe, denn das Spiel mitzuspielen führt zu Demütigung, und mit der Neigung zu Tränen…

Die Nachwirkungen merke ich noch heute. Es ist einfach, mich zu verunsichern, dass ich nicht dazugehöre. Ich denke dann, ich habe etwas falsch gemacht. Ich misstraue Lob und nehme Kritik zu schwer, insbesondere unfaire, un- oder nur teilberechtigte Kritik kann ich nur ganz schwer an mir abprallen lassen und fühle mich allzuleicht mit Lob aufgezogen und mit Kritik persönlich abgelehnt. Eine Mobbing-Vergangenheit nennt man das wohl. Ich kenne das Gefühl gut und manchmal erkenne ich es auch, wenn ich von den spröden Reaktionen betroffen bin, die andere Mobbing-Opfer manchmal zeigen, wenn sie sich durch unbeabsichtigte oder eingebildete Angriffe meinerseits daran erinnert fühlen. Zum Glück wird das heute meistens von Gelassenheit und Selbstvertrauen aufgefangen.

Mitte bis Ende meiner Zwanziger kam ich langsam dahin, dass ich eines der zugrundeliegenden Probleme, die mich zu einem solch dankbaren Opfer machten, zu lösen begann. Aus dem unglücklichen Jungen wurde eine mindestens zufriedenere, bald glückliche Frau. Ich walze diese Entwicklung ungern aus – auch wenn sie wichtig für mich ist und meine Perspektive zum Teil definiert. Das Ganze vor sich herzutragen, macht’s nicht einfacher und es ist auch kein zentraler Kern dessen, was ich bin. Aber über diesen Wechsel bekam ich langsam mit, dass ich mich selbst mögen kann. Kunststück, sich zu mögen, wenn man nicht einmal merkt, dass etwas Grundlegendes nicht stimmt, aber es eben so ist, dass etwas Grundlegendes nicht stimmt.

Inzwischen bin ich durchaus manchmal laut, lustig oder vermeintlich lustig. Ich rate den Menschen, mich nicht zu ernst zu nehmen, ich täte das schließlich auch nicht. Dazu gehört eine Menge Mut und Selbstvertrauen, die mir lange Zeit abgingen. Begonnen hat es als Panzer gegen die Unsicherheit. Aber es war ein Mantel, der bald zur zweiten Haut wurde, als sei ich bereit dazu gewesen, in diese Attitüde hineinzuwachsen.

Und doch reizt es mich immer wieder, mit dem Anderssein zu spielen, die Grenzen des Muts auszutesten, den ich mittlerweile habe. Meine Gedanken, was ich gerne anziehe, wer ich bin, es fällt auf. Die Angst vor dem Ausgestoßensein, untermauert von den Erfahrungen des tatsächlichen gemobbten Außenseitertums, gepaart mit der eigenen Auffälligkeit, wenn ich mich nicht verstelle, sie sind noch da.

Und so gehört zu den schönsten Erinnerungen an meine Schulzeit jener Abi-Streich, an dem einer unserer Lehrer mit der Abi-Band BAPs „Verdamp‘ lang her“ sang und ich, Arm in Arm mit einigen meines Jahrgangs auf dem Schulhof im Takt hüpfte. Es waren da welche dabei, die weder zu meinen wenigen Freunden gehörten noch zu den etwas mehr, von denen ich mich gemobbt fühlte. Es waren einfach Leute, die nicht darüber nachdachten, ob ich so unberührbar war, wie ich mich fühlte. Es ist eine spontane Woge der Freude, des Wohlig-Warmen, wenn ich daran denke.

Damals war es noch viel häufiger so, dass ich, in einer Gruppe gut aufgenommen, schnell misstrauisch wurde. Wie konnte man mich aufnehmen, ohne Ironie und Spott dahinter zu legen, obwohl ich doch ich war? Heute habe ich dieses Gefühl nur noch selten, und wenn doch, überspiele ich es. Aber es ist noch da. Vermutlich geht das auch nie weg. Manchmal frage ich mich, ob diese Narbe in meiner Persönlichkeit vielleicht eher ein Orden ist, der mir geholfen hat, die zu werden, die ich bin. Aber eigentlich ist es nur mies, dass dieses Spiel mit der Furcht vor dem Alleinsein, diese Abhängigkeit von denjenigen, die die Schwächen anderer rücksichtslos zur Befriedigung ihres eigenen Egos benutzen, einen so lange prägen kann.

Eigentlich wollte ich diesen Beitrag „Verdamp‘ lang her“ nennen und damit anfangen, eben wegen der wohligen Erinnerung. Vielleicht ist’s besser gewesen, es nicht zu tun. Denn ich bin heute jemand anders – jemand, der mit einer gewissen Sicherheit anderen raten kann, mich nicht so ernst zu nehmen, ich täte es ja auch nicht. Jemand, der sich nur noch ganz selten panisch vor dem Ausgestoßensein fürchtet, wenn sie sich herauswagt.

Warum tue ich mir das an?

Froh, nach dem Training noch Enthaarung hinbekommen zu haben. Mit Läuferbräune usw.

Gestern nach dem Training und dem „Frühstück“ nach dem langen Lauf habe ich mir noch anderthalb, eher zwei Stunden genommen, um meine Beine zu epilieren. Jetzt könnte man fragen: Rasieren geht doch viel schneller? Aber mein „Warum tue ich mir das an?“ war anders gemeint. Dennoch zunächst die Antwort auf diese Frage: Epilieren hält länger. Rasieren müsste ich dauernd, nach dem Epilieren habe ich etliche Wochen Ruhe.

Aber die Frage war – wie geschrieben – generellerer Natur. Warum brauche ich haarlose oder zumindest fast haarlose Beine? Ein richtiger „Pelz“ ist es auch ohne Aktionen nicht. Aber tue ich es vor allem für die anderen, vor allem für mein Gefühl zum Urteil der anderen oder vor allem für mich? Letztlich ist von allem ein bisschen dabei. „Für die anderen“ ist aber am wenigsten, denn ganz aufrichtig: Ich ziehe auch meine Röcke für mich und nur für mich an. Es geht mir dabei nicht um die Blicke der Männer oder das Urteil der Frauen (im Klischee – sicher spielt beides auch beim jeweils anderen Geschlecht rein). „Wie kann die Ihre behaarten Beine in einem kurzen Rock zeigen?“, das tangiert mich mehr, als ich zugeben möchte, aber deutlich weniger, als es das noch früher tat. Nichtsdestotrotz mag ich es nicht, dieses Urteil zu antizipieren, selbst wenn es gar nicht da sein sollte!

Vor allem wichtig ist mir aber, dass ich selbst es schöner finde. Auch, wenn ich nicht dem Urteil „der anderen“ unterworfen wäre, würden mir wenig bis nicht behaarte Beine an mir selbst besser gefallen. Meinem Mann ist’s egaler als mir, ihm gefalle ich auch in … äh, nicht aus dem Ei gepellt. Er sagte mal zu mir: „Du bist so hübsch!“ Ich fühlte mich gar nicht hübsch und erwiderte: „Aber hab‘ viel mehr Haare auf den Beinen, als mir lieb ist, habe ungewaschene Haare, bin verschwitzt…“ Und er so eiskalt: „Und stinkst vor dich hin.“ Das fand ich ganz großartig. Aber ich gefalle mir selbst besser, wenn ich gewisse Aspekte der nicht erforderlichen, aber gewisser Ästhetik Vorschub leistenden Kosmetik fröne. Also epiliere ich meine Beine. So ganz nebenbei mag ich auch das Gefühl von Stoff – sei es nun eine Strumpfhose, ein Rocksaum oder die Bettdecke – auf der haarlosen Haut. Das Gefühl zu haben, spielt auch eine Rolle.

Und so kann ich dann doch sagen: Nein, es ist weitestgehend nicht die Gesellschaft, die mich dazu nötigt, den Epilierer auszupacken. Ich möchte nicht, dass jemand weitestgehend oder nur wegen dieser Ideale sich zum Enthaaren zwingt – aber ich möchte auch nicht, dass der Akt des Enthaarens zur Unterwerfung unter die Konventionen hochstilisiert wird.

Komisch eigentlich, was man sich nach ca. 75 Minuten Krach und Ziepen für Gedanken macht, nicht?