Einen Monat …

… ist nun für mich das Bahnpendeln angesagt. Einen vollen Montag (und ein paar Tage mehr) fahre ich nicht mehr mit dem Auto zur Arbeit. Mit etwas Verspätung habe ich letzte Woche auch meinen Eintrag in The Highway Tales Themselves angepasst. Das Auto, das ich privat fahre, hat sich nicht geändert, aber ich fahre es nun höchstens mal am Wochenende zum Einkaufen oder so. Wobei: Die vergangenen beiden Wochenenden war es auch für eine Fahrt nach Karlsruhe mit meinem Mann, zum Heimspiel der KIT SC Engineers am Start, da die Bahnen zwar fuhren, aber bei uns nicht hielten.

Ich habe mit dem Projekt LazAr auch eine Woche überstanden, in der die Bahnen bei uns nicht hielten und ich somit „etwas“ weiter laufen musste, um zur Bahn nach Karlsruhe zu kommen. Einen Monat ohne tägliches Autofahren, das macht etwas mit mir. Ich kann noch nicht genau sagen, was es genau mit mir macht, aber es macht definitiv etwas mit mir. Ich bin gelassener geworden dadurch. Wenn ich mich ans Steuer setze, ist das nicht mehr ein „Muss“, sondern ein „Ich habe die Freiheit dazu, auch so von A nach B zu kommen.“ Freilich, es verändert auch die Haltung zum Warten. Warten gehört beim Bahnfahren dazu, auch beim Autofahren im Stau. Aber es sind unterschiedliche Qualitäten des Wartens. Stehe ich an der Haltestelle an der Bahn, so warte ich vielleicht nicht weniger verärgert, wenn die Bahn spät dran ist oder gar ausfällt, aber ich warte, ohne dass ich im Auto eingesperrt bin. Freilich warte ich auch an einem Ort, den ich weniger kontrollieren kann.

Zugleich, und das wird mir gerade erst so richtig bewusst, ist das Warten auf die Bahn eines, das sich von der „Schuldfrage“ her anders anfühlt. Im Auto bin ich sehr selbstbestimmt, wo ich entlang fahre. Mit modernen Mitteln der Routenplanung bekomme ich immer wieder Hinweise, wie es schneller geht oder schneller gegangen wäre. Wenn ich im Stau stehe, so sind all die modernen Gimmicks, die mir helfen, Staus zu umgehen, eine riesige Hilfe, zugleich suggerieren sie aber auch, dass ich selbst daran schuld bin, wenn ich doch im Stau stehe. Ich bekomme ja angezeigt, dass ich irgendwie anders hätte fahren können und es da vielleicht schneller gegangen wäre. Wenn ich mit dem Auto zu spät komme, hätte ich früher losfahren können, anders fahren, anders planen. Denn der Plan steht ja nie so richtig. Fahre ich mit der Bahn, gibt es einen Plan, gibt es ein „so wird es sein“. Wenn das nicht eintritt, und ich deswegen zu spät bin, fühlt sich das später Kommen ehrlich gesagt weniger „verschuldet“ an. Das ist ein angenehmes Gefühl.

Welche Rolle für dieses Gefühl der Aspekt spielt, dass man energie- und ressourcenschonender unterwegs ist mit dem ÖPNV, kann ich nicht sagen. Aber da ich ja das Auto als Transportmittel der Bahn sogar während der Woche Bahnausfall im Rahmen des Projekts „LazAr“ stehenlassen habe, und sich das gut anfühlte, ist es sicher auch ein Aspekt, der sicher mit dem oben beschriebenen „Es gibt einen Plan, und wenn der nicht eingehalten wird, bin ich nicht schuld“ synergiert.

Komische Sache, das Erleben und Fühlen der verschiedenen Arten des Pendelns.

Nervosität

Ich bin schon Halbmarathon gelaufen. Einmal, beim Baden-Marathon letztes Jahr. Ich war damals schneller als gedacht – trainiert habe ich auf 2:00:00, geschafft habe ich 1:44:22. Ich bin dieses Mal besser vorbereitet als letztes Mal – mehr lange Läufe, geregelter das Training vor dem großen Lauf runtergefahren, stringenter praktiziertes Intervalltraining. Meine gesamte Fitness ist besser als vor acht Monaten, denn ich habe acht Monate lang weiter trainiert, vieles über Training gelernt und angewendet.

Dennoch bin ich nervös, während ich heute das Schlechtwetter-Intermezzo vor dem Fenster begutachte und einen ruhigen Tag einlege. Am Samstag ist es so weit, das Wetter soll wieder trocken und warm sein, wie es mir gefällt. Am Samstag laufe ich beim SRH Dämmer Marathon in Mannheim den engelhorn sports Halbmarathon. Trainiert habe ich auf eine Zeit von 1:40:00, eigentlich sollte das auch funktionieren.

Vielleicht ist es das Flattern eines zweiten Males – weil es beim ersten so viel besser lief als erwartet, fürchten nun kleine, böse Stimmen in meinem Kopf, dass es dieses Mal genau umgekehrt ist. Andererseits zeigt Nervosität mir oft, dass ich etwas ernst genug und nicht zu leicht nehme. Spätestens, wenn ich an der Startlinie stehe, wird die Nervosität sich in eine hibbelige Vorfreude und Motivation verwandeln, da bin ich mir ziemlich sicher.

Laufen ist Gedankenkollimation

Aus aktuellem Anlass habe ich mir mal wieder Gedanken über die psychischen Effekte des Laufens gemacht. Für mich – und wie ich nun weiß, auch für meinen Mann – kann laufen destruktive, schlechte Stimmung lösen und zugleich auch den Stress abbauen, der da hin geführt hat. Wie das so ist: Situationen, die uns stressen, bringen uns in einen Modus, der dem früheren Menschen erlauben sollte, zu kämpfen oder zu flüchten. Nun ist es in unserer Gesellschaft weder akzeptabel, dem Mist zusammenfahrenden Vordermann noch sonst einem Stressor einfach einen Kampf aufzudrängen, noch kann man vor solchen Situationen einfach wegrennen. Sportliche Betätigung kann das kompensieren – sprich: genau die Leistung abrufen, für die uns die Ausschüttung von Adrenalin und Cortisol vorbereiten soll.

Ich vergleiche das gerne mit Gummi-Bändern: aus allen Richtungen ziehen Probleme, Ärger, Termine an mir. In alle Richtungen ziehen sie mich und ich bin blockiert, weil ich allen und keinem folgen will oder kann. Dann gehe ich auf die Laufstrecke, gelegentlich durchaus auch mal in einem Leistungsspektrum jenseits meiner aktuellen Trainingsplanung, und lasse es einfach raus. Plötzlich fallen die unwichtigeren der Gummibänder von mir ab, die anderen werden in die Länge gezogen und ziehen in die gleiche Richtung, sie werden zu einer gemeinsamen Richtung. All das, was an mir zieht, in unterschiedliche Richtung, bringe ich zusammen, lasse es in die selbe Richtung ziehen oder schieben und kann es so gemeinsam abarbeiten – oder auch nacheinander.

Das Bild hinkt ein wenig, aber in meinem Kopf funktioniert es tatsächlich so: Vorher in einem Netz aus Stolperfallen, Zugrichtungen, Gummibändern gefangen, danach flattern die weniger festen Bänder im Wind hinter mir, die anderen sind in die Länge gezogen und auf die gleiche Richtung gebracht – das ist es, was zum Beispiel bei einem Röntgen-Strahlungs-Erzeuger mittels Linearbeschleuniger der Kollimator macht. So komme ich zu dem Schluss: Laufen ist Gedankenkollimation. Es funktioniert!

Mamas-Geburtstags-Blues

Eigentlich wollte ich andere Dinge schreiben.

Aber manchmal sind es die Dinge, die einem wieder auffallen, die wiederkommen, die den Plan völlig auf den Kopf stellen. So ist es auch heute passiert.

Im Juli 2006 ist meine Mutter gestorben – überraschend, für uns, und eigentlich doch nicht. Wir wussten, dass sie krank war. Wir wussten eigentlich nach einem Jahr voller Probleme, voller Angst, voller Ungewissheit und zwei nicht zielführenden Maßnahmen auch, was sie hatte. Alles schien auf dem Weg zu sein, auf dem Weg zur Besserung. Ich war damals sehr mit mir selbst beschäftigt, manches habe ich so gar nicht wahrgenommen.

Am gestrigen 06.06.2017 wäre sie 64 geworden. Es ist der zehnte von Mamas Geburtstagen gewesen, die wir ohne sie verbracht haben. Es ist – lange her. Unsere Leben sind weitergegangen: Das meines Vaters, mein eigenes, das meiner Schwester. So hätte sie es gewollt, so muss es sein. Gestern hatte ich vieles zu tun, vieles ging durcheinander, anderes war zu erledigen. Ich habe kurz daran gedacht, dass es Mamas Geburtstag war, es dann wieder vergessen.

Heute Morgen, auf der Fahrt zur Arbeit, kam es massiv. Ich musste irgendwie die Stille in meinem Auto füllen, aber es ging nicht: Radio, fröhliche Musik, alles Mist. Schließlich nahm ich meine traurige Musikliste. „Everyone Hurts“ von einer Formation aus Freunden von mir, dazu Moby mit „Why Does My Heart Feel So Bad“, Evanescence mit „My Immortal“, VNV Nation mit „Beloved“, Jon Secada mit der spanischen Version von „Just Another Day“, Simon and Garfunkel mit „Sounds Of Silence“ und Springsteen mit „Streets Of Philadelphia“. Vor allem die letzten beiden atmen die Erinnerung an meine Mutter, den Tod meiner Mutter, die Gemeinsamkeiten zwischen meiner Mutter und mir, die Dinge, die ich als in mir weiterlebendes Vermächtnis meiner Mutter empfinde. Simon and Garfunkel, auf die hat sie mich gebracht. „Streets Of Philadelphia“ habe ich an jenem Abend gehört, auf der Autobahn, im Radio, als meine Mutter starb. Etwa zu der Zeit, als sie starb. Ich bin damals heulend auf den Seitenstreifen gefahren, dabei wusste ich es noch gar nicht!

Es ist der zehnte Geburtstag meiner Mutter, den wir ohne sie verbringen. Ich habe es gestern nicht so gespürt, heute kommt es mit Macht. Aufheitern hilft nicht, also geht nur Ausheulen. Ich werde nicht fragen, ob das je aufhört. Das muss es nicht. Was wichtig ist, was mich geprägt hat, das fehlt. Das muss so. Auch wenn es wehtut und auch wenn es die Menschen um mich herum manchmal etwas schockiert oder betroffen macht, wie sehr mich das immer noch trifft. Es gibt keine intensiven, guten Emotionen ohne die Menschen dahinter – und es gibt keine einfache Weise, mit dem Verlust umzugehen, der damit einhergeht, wenn man sich so bindet. Was wäre das Leben ohne diese Bindung, diese Positivität und ohne diesen Verlust? Es wäre nicht mehr dasselbe. Und ich glaube, es wäre schlechter.