Als Besitzerin und eifrige, teils auch schon exzessive Nutzerin eines Smartphones fällt es mir schwer, diese „Smartphone-Sucht“-Lamentos als solche zu akzeptieren. Dennoch stelle ich fest, dass ich gewisse Grenzen habe und einhalte, deren Überschreitung mich – ganz egoistisch – bei anderen nervt. Meistens ist es aus einer Situation heraus, in der ich dann doch nichts sage – weil ich denke: „Ich würd’s während dieser oder jener Tätigkeit nicht rausholen, aber andere stört’s woanders, wenn ich es raushole, meistens tue ich es dann auch schnell wieder weg oder leg’s unbeachtet neben mich.“ Dennoch ist natürlich die Frage mit dem Umgang der ständigen Verfügbarkeit eines kleinen, vernetzten Rechners mit Fokus auf Kommunikation und Unterhaltung ein sehr aktuelles Problem. Was Telefone so alles können, ist noch immer im Fluss, auch wenn nach meinem Gefühl der Unterschied inzwischen eher quantitativ ist und nicht mehr SO viele grundsätzlich und qualitativ neue Funktionen dazukommen.
Unsere Etikette für den Umgang miteinander und mit Ablenkungen hat sich langsamer entwickelt als die Möglichkeiten von Smartphones. Ich bin so dreist und stelle das als eine Tatsache fest. Der intuitive, natürliche Umgang mit dem Smartphone in der Hand- oder Hosentasche, auf dem Tisch vor sich, dem Tablet neben sich auf dem Sofa bildet sich – zumindest in meinen Augen – auch stark vom Alter abhängig aus. Dabei sind es nicht so sehr die Jahre, sondern eher das, was ich unter Kaperung von im Moment ziemlich aufgeladenen Begriffen in drei Kategorien einteilen möchte: Da sind die „Digital Natives“, die ja oft zitiert werden. Sie kennen – vielleicht nicht immer mit derselben App, aber eben doch – schon die ganze Zeit ihrer Sozialisation mehr oder minder die Existenz von Messengern, mobilem Internet, sozialen Netzwerken als Teil ihrer Lebensrealität. Dann gibt’s diejenigen, die ich als digitale Ausländer bezeichnen möchte. Natürlich, ganz an mobilem Internet, Netzwerk und dergleichen kommt man heute kaum noch vorbei. Aber man fremdelt damit. Man ist Tourist oder Arbeiter in der digitalen Sphäre und fühlt sich dort nicht heimisch. Das gilt insbesondere für viele ältere Menschen, die ihren Umgang mit der Gesellschaft als soziale Normen prägend empfinden, oftmals aber auch nicht verstanden haben, wie tief kabelgebundenes und auch mobiles Internet viele vermeintlich „internetlose“ Anwendungen mittlerweile durchsetzt. Vor kurzem sagte mir jemand: „Was machen all die Smartphone-Besitzer, wenn das Netz ausfällt? Die stehen dann alle da und nehmen ihre Umgebung wieder wahr, wissen aber gar nicht, wo sie sind und wie sie heimkommen.“ Bei einem wirklich grundlegenden Ausfall des Netzwerks ist – in meinen bescheidenen Augen – aber ein Ausfall der Smartphone-Navigation und der Spiele und Messenger, die uns beim Gehen auf das Telefon starren lassen, unser geringstes Problem. Von den „höheren“ Benutzern unbemerkt läuft so viel an Steuerung und Regulierung und Information mittlerweile über das Netz, und auch diese Services fallen dann aus. Auch wenn ich eigentlich sehr interessiert daran bin, wie die Dinge im Innersten funktionieren, kann ich partout nicht sagen, welche Services dann alle noch verfügbar wären – und ich fürchte, es wären weniger, als man denkt. Genau, wie funktionierende, freiheitliche Demokratie mehr ist als „Wahlen und die Existenz eines Parlaments“, ist auch die von digitalen, vernetzten Funktionen durchdrungene Sphäre weit, weit mehr als Google Maps, Messenger, Spiele und soziale Netzwerke auf dem Handy – in der Hoffnung, mit diesem etwas tendenziellen aktuellen Beispiel nicht zu viele Leute zu verärgern.
Tja. Ich war noch nicht fertig mit meinen Gruppen. Ich hatte den digitalen Eingeborenen und den digitalen Ausländer. Nun gibt es – insbesondere „zwischen“ den „Millenials“ und der „Nachkriegsgeneration“, aber sicher nicht ausschließlich, den digitalen Immigranten. Scherzhaft habe ich diesen Begriff schon öfter angewandt: „Digitaler Migrationshintergrund“. Wie bei all zu vielen Dingen, in die man einwandert (Staaten, Communities, Familien), ist das Maßhalten beim Integrieren, bei der Assimilation, so eine Sache. Zuerst ist man skeptisch, dann lernt man, plötzlich überumarmt man. Exzesse inklusive.
Dass sich beim Aushandeln der Grenzen, wo die Benutzung eines Smartphones, eines Tablets, eines Laptop für wie lange und zu welchem Zweck akzeptabel ist, sogar zwischen Individuen viele Unterschiede mit Streitpotential auftun, ist klar. Aber gerade zwischen den oben vorgestellten Gruppen der digitalen Ausländer, digitalen Einwanderer und digitalen Eingeborenen sind die Kluften wohl noch tiefer – zumal (wie eben leider auch bei nicht-digitaler Integration) sicherlich in jeder Gruppe Individuen vorkommen, die ihren Weg als den Weg ihrer Gruppe und diesen als den einzig richtigen empfinden – die anderen sollen sich anpassen, besser noch verschwinden. Das funktioniert so aber nicht.
Also fange ich an, über diesem pseudo-theoretischen Überbau Gedanken zu fassen: Bin es ich, die im Recht ist, wenn mich der kurze Smartphone-Chat der Person auf dem Kino-Sitz neben mir stört? Ist es die andere Person? Was stört mich mehr – das Licht des Smartphones und die Ablenkung, oder die Missachtung der anderen Person für das meiner Ansicht nach absolut meine volle Konzentration würdige Spektakel auf der Leinwand? Gleiche Frage natürlich bei einem gemeinsamen DVD-Abend – darf es mich stören, wenn jemand auf dem Handy dabei spielt? Ist das etwas anderes, als wenn ich beim gemeinsamen DVD-Abend kurz auf Messages reagiere und dafür mein Smartphone auf das Sofa hole? Oder ist das beides das Gleiche? Gefühlt stört manche der Smartphone-Spieler, wenn man tatsächlich gerade noch Messages beantwortet, während mich als typische „wenn überhaupt, dann Messenger“-Benutzerin während anderer Tätigkeiten das Smartphone-Spielen der anderen stört. Das ist schwierig, und ich habe keine Lösung, sondern bewundere nur das Problem.
Und dabei habe ich noch gar nicht mit dem Thema „Bilder, Kettenbriefe – ja, nein? Wenn ja, im Messenger? Im sozialen Netzwerk?“ angefangen …