Es ist schwer, ein bestimmtes Thema zur Zeit zu umgehen. Bis zu einem gewissen Grad geht mir das natürlich auf die Nerven wie jedem. Es gibt allerdings so ein paar Dinge, die mir immer wieder auffallen und zu denen ich Ansichten habe, aber auch neue Gedanken entwickle.
Da ist das Impfen. Viele Menschen misstrauen insbesondere der Impfung gegen Sars-CoV-2, und ganz besonders den mRNA-Impfstoffen, weit mehr als sie die Krankheit fürchten. Das ist mir unverständlich, denn bei der Impfung wurde bewusst ein Stoff entwickelt, der dem Körper so wenig wie möglich antut, aber dennoch das Immunsystem auf das Virus vorbereitet. Man hat die Vektor- und mRNA-Impfstoffe getestet – und zwar darauf, ob sie dem Körper das antun, was das Virus ihm antut (was sie nicht sollen und nicht oder zumindest extrem viel seltener als das Virus tun) und darauf, ob sie dem Körper anderes antun (was sie ebenfalls nicht sollen und nur extrem selten doch tun). Deswegen verstehe ich das Misstrauen gegen die Impfung nur sehr bedingt. Mir hat auch jemand im Zusammenhang mit dem Impfen erzählt, Impfungen für Erwachsene seien ja auf jeden Fall zu befürworten, aber ob man einem sich entwickelnden Immunsystem das antun solle, da sei er skeptisch. Außerdem habe ich nach dem zuvor diffusen Verdacht inzwischen einige Bestätigungen aus meinem Umfeld, dass Leute sich und ihre Kinder teils bewusst mit dem Virus infizieren, weil sie dem Virus mehr trauen als der Impfung.
Es gibt hier ein gefährliches Missverständnis, das ich schon lange beobachte. Was „natürlich“ ist, wie eben Sars-CoV-2, das von einem Tier in natürlicher Virus-Evolution auf einen Menschen übergesprungen ist, wird für per se gut gehalten, während künstliche, menschgemachte Dinge per se als ungesund oder schlecht angesehen werden – wie eben die Impfung. Natürlich sind industriell gefertigte Lebensmittel nicht der Weisheit letzter Schluss, die Überlegenheit frischer Lebensmittel aber unreflektiert auf andere Bereiche zu übertragen, ist ein gefährliches Unterfangen. Da wäre die laktosefreie Milch, auf der ein „ohne Gentechnik“ Label pappte. Habe ich zum Glück lange nicht mehr gesehen, denn es ist eine glatte Lüge! Wo sollte denn die Lactase, das Enzym, das den Lactose-Intoleranten fehlt, sonst herkommen? Sicher wurden keine Baby-Tiere ihrer Lactose entmolken, das wäre nicht nur grausam, sondern auch unwirtschaftlich teuer. Nein, man baut die Sequenz, mit deren Hilfe die Zellen Lactase herstellen, in Mikroorganismen ein – in deren DNA. Die transkribieren das dann in mRNA und daraus wird dann von der Zelle mit Hilfe von tRNA Lactase aufgebaut. Aber das nur als Nebenschauplatz…
Ich sehe an vielen Stellen, dass „Natürliches“ als gut, „Künstliches“ als schlecht angesehen wird. Menschen gehen in Radonstollen, wegen der natürlichen Heilkraft, aber bei künstlicher Radioaktivität geht gar nichts mehr. Mir wurde ernsthaft schon geantwortet, als ich auf gelöstes Radon aus dem Wasser, das beim Duschen freigesetzt wird, oder die Strahlung aus Granit verwies, das sei doch nicht schlimm, sei doch natürlich – aber jedes Mikrosievert Dosis aus Kernkraftwerken ist zu viel. Dabei ist die Einheit Sievert genau auf die „gleiche Schädigung“ geeicht, man nennt die zugehörige Größe auch „Äquivalentdosis“, weil sie ein Strahlenschaden-Risiko aus verschiedenen Strahlungsarten oder Strahlenquellen zahlenmäßig gleich abbilden soll. Oder anders – von natürlicher, frisch vom Melken kommender Milch wurde mir aufgrund der Menge an Fett darin schlecht – und wie kann ich keinen Knoblauch vertragen, wie kann Knoblauch meine chronisch entzündliche Darmerkrankung antriggern, ist doch ganz natürlich…
Ich möchte gar nicht in Abrede stellen, dass der Mensch auch viel Murks und Müll produziert und in die Gegend kippt. Aber wenn ich in der Apotheke jemanden „was gegen Erkältung“ anfragen höre und dann werden zwei Mittel vorgestellt, eines „pflanzlich“, das andere „Chemie“, und ich weiß doch, dass weitgehend das gleiche drin – einmal synthetisch hergestellt, das andere Mal von einer Pflanze synthetisiert, aber genau derselbe Stoff, dann geht mir das Messer in der Tasche auf. Und genau an dieser Stelle greift’s wieder ein. Wenn Sars-CoV-2 aus purem Eigennutz, um sich zu vervielfältigen und biologisch erfolgreich zu sein, seine ssRNA in eine menschliche Zelle einbringt, woraufhin daraus mRNA entsteht, mit der als Bauplan die tRNA Sars-CoV-2-Viren herstellt, dann ist das natürlich und gut und tötet Menschen, je nach Altersgruppe, im Prozentbereich der Erkrankungen. Wenn ich mir aber menschgemachte mRNA spritzen lasse, die nur das Spike-Protein von Sars-CoV-2 von der Zelle bauen lässt, worauf hin das Immunsystem lernt, dass dieses Spike-Protein böse ist und Abwehr dagegen aufstellt, dann ist das schlimm, weil künstlich, dem ist zu misstrauen, weil’s Menschen gemacht haben, die die Krankheit bekämpfen wollen – und natürlich ist es gelogen, dass wir hier bei schweren Nebenwirkungen eher über einstellige Fallzahlen pro 100.000 oder gar Million sprechen, weil es ist ja künstlich und böse. Und von diesen einstelligen Fallzahlen pro Hunderttausend sterben nicht zehn Menschen pro Fall (dann wären wir nämlich bei den 2 Promille Covid-Sterblichkeit in der Altersgruppe von 40-49, wie ich sie vorhin für Deutschland gelesen habe), sondern nichtmal EINER pro Fall, da die meisten möglicherweise mit Spikevax zusammenhängenden Herzmuskelentzündungen nicht zum Tod führten…
Aber ich hatte Analogien versprochen. Wem die obige Analogie zur Strahlung nicht genug war, und die mit der Gentechnik auch nicht akzeptiert hat, für den habe ich noch eine: Laufen. Damit kenne ich mich ein bisschen aus. Dennoch wird mir immer wieder erklärt, von allen Seiten, ich müsse vor dem Wettkampf, dieser enormen Belastung, dafür trainieren. Ich müsse die stark belastenden Training wie zum Beispiel Intervalle nicht so oft tun. Mein Körper vertrage es nicht, wenn er sofort oder dauernd mit maximaler Belastung klarkommen müsse… Seltsamerweise empfiehlt man auch Kindern nicht, ohne zu üben sportliche Wettkämpfe einzugehen, sondern vor einem Lauf- oder Turnwettkampf erstmal die Bewegungen, die Belastung der Muskeln, die Beweglichkeit zu trainieren, bevor man sie auf der Bühne oder im Wettkampf unter dem Druck von Publikum und Siegeswillen auf die Probe stellt. Warum sollte das beim Immunsystem anders sein? Soll denn das Immunsystem an ernsten Krankheiten mit möglichen Spätfolgen lernen, wie es die Erreger bekämpft? Das wäre so, als solle ein Sportler – egal welchen Alters – im Marathon-Wettkampf lernen, wie man sich die Kraft für 42,195 Kilometer einteilt, und nicht auf langen, langsamen Läufen in der Vorbereitung. Ach und zum Thema Vermeidung statt Training – was man nicht trainiert, gilt einer biologischen Lebensform als unnötige Energieverschwendung. Durch Schonen wird man beim Laufen nicht schneller, und auch das Immunsystem wird nicht besser, wenn es nichts zu tun hat. Im Gegenteil, der Körper schickt das Immunsystem dann in den Energiesparmodus.
Da stellt sich mir die Frage: Ist die Erkrankung an Masern, Windpocken, Sars-CoV-2 denn tolles Training, wenn der Körper gleich im Wettstreit zu einem von der Evolution auf Erfolg getrimmten Virus zu treten hat? Ist das nicht eher wie „Wettkampf ohne adäquates Training vorher“? Sollten wir nicht schauen, dass wir erstmal an zahnlosen Raubtieren, wie Vektor-, Tot- oder mRNA-Impfstoffen üben, oder an langen Läufen ohne Konkurrenz, die uns hinter sich lässt?
Tja. Vermutlich bin ich allmählich wütend, weil ich den ganzen Bullshit auch ohne Analogien als Kot männlicher Rinder erkenne, UND mir dazu noch Analogien einfallen, es aber dennoch nichts bringt. Wenn wir „natürlich“ leben würden, wäre unsere Lebenserwartung erheblich kleiner. Viele Krankheiten, deren Wahrscheinlichkeit durch unseren industriellen, rotes-Fleisch-lastigen, ungesunden Lebensstil wahrscheinlicher werden, würden wir ohne Impfungen, ohne Lebensmittel und Arzneimittel aus der Biochemie gar nicht erleben, weil wir vorher elend an dem Zeug verrecken würden, an dem unsere Vorfahren in ihren 30ern verreckt sind. Impfen, Antibiotika, Schmerzmittel… das ist alles biotechnisches, teils gentechnisches „Teufelszeug“, ohne das wir vermutlich nicht lange genug leben würden, um Verschwörungstheorien in die Absichten und Ziele hinter all diesen Mitteln hinein zu phantasieren.
Ja. Ich bin nicht nur vermutlich wütend. Ich BIN wütend. Weil unsere Politiker beschwichtigen und glauben, man müsse wissenschaftsfeindliche Wähler berücksichtigen, die auf von Quantenmechanik und Relativitätstheorie möglich gemachten Mini-Computern bei von Gentechnik lactose-frei gemachter Milch in ihrem hochnottechnisch entkoffeinierten Kaffee vom natürlichen Leben und der bösen Absicht hinter der Wissenschaft fabulieren und gedeckt von der Meinungs- und Versammlungsfreiheit skandieren, dass wir eine Meinungs- und Versammlungsfreiheits-freie Diktatur hätten.
Jetzt höre ich aber auf. Mir reicht’s selbst, wie wütend und zugleich erwachsen ich klinge. Ich gehe mal mit meinem Lego-Teilchenbeschleuniger spielen.
gezeichnet
Der innere Babysitter