Analogien

Es ist schwer, ein bestimmtes Thema zur Zeit zu umgehen. Bis zu einem gewissen Grad geht mir das natürlich auf die Nerven wie jedem. Es gibt allerdings so ein paar Dinge, die mir immer wieder auffallen und zu denen ich Ansichten habe, aber auch neue Gedanken entwickle.

Da ist das Impfen. Viele Menschen misstrauen insbesondere der Impfung gegen Sars-CoV-2, und ganz besonders den mRNA-Impfstoffen, weit mehr als sie die Krankheit fürchten. Das ist mir unverständlich, denn bei der Impfung wurde bewusst ein Stoff entwickelt, der dem Körper so wenig wie möglich antut, aber dennoch das Immunsystem auf das Virus vorbereitet. Man hat die Vektor- und mRNA-Impfstoffe getestet – und zwar darauf, ob sie dem Körper das antun, was das Virus ihm antut (was sie nicht sollen und nicht oder zumindest extrem viel seltener als das Virus tun) und darauf, ob sie dem Körper anderes antun (was sie ebenfalls nicht sollen und nur extrem selten doch tun). Deswegen verstehe ich das Misstrauen gegen die Impfung nur sehr bedingt. Mir hat auch jemand im Zusammenhang mit dem Impfen erzählt, Impfungen für Erwachsene seien ja auf jeden Fall zu befürworten, aber ob man einem sich entwickelnden Immunsystem das antun solle, da sei er skeptisch. Außerdem habe ich nach dem zuvor diffusen Verdacht inzwischen einige Bestätigungen aus meinem Umfeld, dass Leute sich und ihre Kinder teils bewusst mit dem Virus infizieren, weil sie dem Virus mehr trauen als der Impfung.

Es gibt hier ein gefährliches Missverständnis, das ich schon lange beobachte. Was „natürlich“ ist, wie eben Sars-CoV-2, das von einem Tier in natürlicher Virus-Evolution auf einen Menschen übergesprungen ist, wird für per se gut gehalten, während künstliche, menschgemachte Dinge per se als ungesund oder schlecht angesehen werden – wie eben die Impfung. Natürlich sind industriell gefertigte Lebensmittel nicht der Weisheit letzter Schluss, die Überlegenheit frischer Lebensmittel aber unreflektiert auf andere Bereiche zu übertragen, ist ein gefährliches Unterfangen. Da wäre die laktosefreie Milch, auf der ein „ohne Gentechnik“ Label pappte. Habe ich zum Glück lange nicht mehr gesehen, denn es ist eine glatte Lüge! Wo sollte denn die Lactase, das Enzym, das den Lactose-Intoleranten fehlt, sonst herkommen? Sicher wurden keine Baby-Tiere ihrer Lactose entmolken, das wäre nicht nur grausam, sondern auch unwirtschaftlich teuer. Nein, man baut die Sequenz, mit deren Hilfe die Zellen Lactase herstellen, in Mikroorganismen ein – in deren DNA. Die transkribieren das dann in mRNA und daraus wird dann von der Zelle mit Hilfe von tRNA Lactase aufgebaut. Aber das nur als Nebenschauplatz…

Ich sehe an vielen Stellen, dass „Natürliches“ als gut, „Künstliches“ als schlecht angesehen wird. Menschen gehen in Radonstollen, wegen der natürlichen Heilkraft, aber bei künstlicher Radioaktivität geht gar nichts mehr. Mir wurde ernsthaft schon geantwortet, als ich auf gelöstes Radon aus dem Wasser, das beim Duschen freigesetzt wird, oder die Strahlung aus Granit verwies, das sei doch nicht schlimm, sei doch natürlich – aber jedes Mikrosievert Dosis aus Kernkraftwerken ist zu viel. Dabei ist die Einheit Sievert genau auf die „gleiche Schädigung“ geeicht, man nennt die zugehörige Größe auch „Äquivalentdosis“, weil sie ein Strahlenschaden-Risiko aus verschiedenen Strahlungsarten oder Strahlenquellen zahlenmäßig gleich abbilden soll. Oder anders – von natürlicher, frisch vom Melken kommender Milch wurde mir aufgrund der Menge an Fett darin schlecht – und wie kann ich keinen Knoblauch vertragen, wie kann Knoblauch meine chronisch entzündliche Darmerkrankung antriggern, ist doch ganz natürlich…

Ich möchte gar nicht in Abrede stellen, dass der Mensch auch viel Murks und Müll produziert und in die Gegend kippt. Aber wenn ich in der Apotheke jemanden „was gegen Erkältung“ anfragen höre und dann werden zwei Mittel vorgestellt, eines „pflanzlich“, das andere „Chemie“, und ich weiß doch, dass weitgehend das gleiche drin – einmal synthetisch hergestellt, das andere Mal von einer Pflanze synthetisiert, aber genau derselbe Stoff, dann geht mir das Messer in der Tasche auf. Und genau an dieser Stelle greift’s wieder ein. Wenn Sars-CoV-2 aus purem Eigennutz, um sich zu vervielfältigen und biologisch erfolgreich zu sein, seine ssRNA in eine menschliche Zelle einbringt, woraufhin daraus mRNA entsteht, mit der als Bauplan die tRNA Sars-CoV-2-Viren herstellt, dann ist das natürlich und gut und tötet Menschen, je nach Altersgruppe, im Prozentbereich der Erkrankungen. Wenn ich mir aber menschgemachte mRNA spritzen lasse, die nur das Spike-Protein von Sars-CoV-2 von der Zelle bauen lässt, worauf hin das Immunsystem lernt, dass dieses Spike-Protein böse ist und Abwehr dagegen aufstellt, dann ist das schlimm, weil künstlich, dem ist zu misstrauen, weil’s Menschen gemacht haben, die die Krankheit bekämpfen wollen – und natürlich ist es gelogen, dass wir hier bei schweren Nebenwirkungen eher über einstellige Fallzahlen pro 100.000 oder gar Million sprechen, weil es ist ja künstlich und böse. Und von diesen einstelligen Fallzahlen pro Hunderttausend sterben nicht zehn Menschen pro Fall (dann wären wir nämlich bei den 2 Promille Covid-Sterblichkeit in der Altersgruppe von 40-49, wie ich sie vorhin für Deutschland gelesen habe), sondern nichtmal EINER pro Fall, da die meisten möglicherweise mit Spikevax zusammenhängenden Herzmuskelentzündungen nicht zum Tod führten…

Aber ich hatte Analogien versprochen. Wem die obige Analogie zur Strahlung nicht genug war, und die mit der Gentechnik auch nicht akzeptiert hat, für den habe ich noch eine: Laufen. Damit kenne ich mich ein bisschen aus. Dennoch wird mir immer wieder erklärt, von allen Seiten, ich müsse vor dem Wettkampf, dieser enormen Belastung, dafür trainieren. Ich müsse die stark belastenden Training wie zum Beispiel Intervalle nicht so oft tun. Mein Körper vertrage es nicht, wenn er sofort oder dauernd mit maximaler Belastung klarkommen müsse… Seltsamerweise empfiehlt man auch Kindern nicht, ohne zu üben sportliche Wettkämpfe einzugehen, sondern vor einem Lauf- oder Turnwettkampf erstmal die Bewegungen, die Belastung der Muskeln, die Beweglichkeit zu trainieren, bevor man sie auf der Bühne oder im Wettkampf unter dem Druck von Publikum und Siegeswillen auf die Probe stellt. Warum sollte das beim Immunsystem anders sein? Soll denn das Immunsystem an ernsten Krankheiten mit möglichen Spätfolgen lernen, wie es die Erreger bekämpft? Das wäre so, als solle ein Sportler – egal welchen Alters – im Marathon-Wettkampf lernen, wie man sich die Kraft für 42,195 Kilometer einteilt, und nicht auf langen, langsamen Läufen in der Vorbereitung. Ach und zum Thema Vermeidung statt Training – was man nicht trainiert, gilt einer biologischen Lebensform als unnötige Energieverschwendung. Durch Schonen wird man beim Laufen nicht schneller, und auch das Immunsystem wird nicht besser, wenn es nichts zu tun hat. Im Gegenteil, der Körper schickt das Immunsystem dann in den Energiesparmodus.

Da stellt sich mir die Frage: Ist die Erkrankung an Masern, Windpocken, Sars-CoV-2 denn tolles Training, wenn der Körper gleich im Wettstreit zu einem von der Evolution auf Erfolg getrimmten Virus zu treten hat? Ist das nicht eher wie „Wettkampf ohne adäquates Training vorher“? Sollten wir nicht schauen, dass wir erstmal an zahnlosen Raubtieren, wie Vektor-, Tot- oder mRNA-Impfstoffen üben, oder an langen Läufen ohne Konkurrenz, die uns hinter sich lässt?

Tja. Vermutlich bin ich allmählich wütend, weil ich den ganzen Bullshit auch ohne Analogien als Kot männlicher Rinder erkenne, UND mir dazu noch Analogien einfallen, es aber dennoch nichts bringt. Wenn wir „natürlich“ leben würden, wäre unsere Lebenserwartung erheblich kleiner. Viele Krankheiten, deren Wahrscheinlichkeit durch unseren industriellen, rotes-Fleisch-lastigen, ungesunden Lebensstil wahrscheinlicher werden, würden wir ohne Impfungen, ohne Lebensmittel und Arzneimittel aus der Biochemie gar nicht erleben, weil wir vorher elend an dem Zeug verrecken würden, an dem unsere Vorfahren in ihren 30ern verreckt sind. Impfen, Antibiotika, Schmerzmittel… das ist alles biotechnisches, teils gentechnisches „Teufelszeug“, ohne das wir vermutlich nicht lange genug leben würden, um Verschwörungstheorien in die Absichten und Ziele hinter all diesen Mitteln hinein zu phantasieren.

Ja. Ich bin nicht nur vermutlich wütend. Ich BIN wütend. Weil unsere Politiker beschwichtigen und glauben, man müsse wissenschaftsfeindliche Wähler berücksichtigen, die auf von Quantenmechanik und Relativitätstheorie möglich gemachten Mini-Computern bei von Gentechnik lactose-frei gemachter Milch in ihrem hochnottechnisch entkoffeinierten Kaffee vom natürlichen Leben und der bösen Absicht hinter der Wissenschaft fabulieren und gedeckt von der Meinungs- und Versammlungsfreiheit skandieren, dass wir eine Meinungs- und Versammlungsfreiheits-freie Diktatur hätten.

Jetzt höre ich aber auf. Mir reicht’s selbst, wie wütend und zugleich erwachsen ich klinge. Ich gehe mal mit meinem Lego-Teilchenbeschleuniger spielen.

gezeichnet
Der innere Babysitter

Doch mal wieder Plots…

Heute flog mir in den Pausen einer Fortbildung eine rein qualitative Aussage zum Zusammenhang zwischen Impfquoten und Inzidenzen bezüglich Sars-CoV-2 bzw. Covid-19 um die Ohren. Ich nutzte die Kaffeepausen der Fortbildung, um ein bisschen in Excel zu spielen, da es für ernsthafte Arbeit eh nicht gereicht hätte…

Was ich getan habe: Werte zu Impfquote und Inzidenz bundeslandweise eintippen und dann Inzidenz auf der vertikalen, Impfquote auf der horizontalen Achse auftragen. Ein Zusammenhang drängte sich regelrecht auf, also versuchte ich einen Fit… mein Versuch war: Inzidenz ist proportional zur Impflücke hoch variablem Exponenten, ein ganz einfaches, empirisches Modell mit zwei freien Variablen. Auf die Schnelle die quadratischen Abweichungen der Kurve vom Modell berechnet, mit dem Solver-Modul von Excel deren Summe minimiert… und das kam dabei raus:

Kurve unter der Annahme, dass Inzidenz proportional zu Impflücke hoch 2,2 ist, dazu die Bundesländer wie beim RKI heute angegeben.

Dass dort, wo besonders viele Menschen symptomatische Verläufe haben, weil sie nicht geimpft sind, und besonders viele Menschen die Krankheit mit größerer Wahrscheinlichkeit weitergeben als Geimpfte, die Krankheit besonders oft registriert wird, ist eine Binsenweisheit. Die Deutlichkeit des Zusammenhangs hat mich jedoch überrascht. Es ist aber natürlich nur eine Momentaufnahme.

Wenn man sich das Diagramm – immer unter der Prämisse, dass es eine Momentaufnahme ist – nochmal anschaut, fallen Systematiken auf. Über der Kurve, also mit höherer Inzidenz als im Vergleich zu den anderen aufgrund der Impflücke zu erwarten, liegen fünf Bundesländer – drei davon im Südosten, vier davon mit besonders niedriger Impfquote. Eine weitere Gruppe liegt nahe der Kurve, die meisten eher entlang einer Diagonale von Südwest nach Nordost durch Deutschland – und die meisten, die deutlich unter der Kurve liegen, liegen im Nordwesten. Nun ist bekannt, dass die Bevölkerungsdichte in Beziehung zur Zahl möglicher Kontakte steht und der Osten und auch der Südosten Deutschlands dünner besiedelt ist. Also habe ich den naheliegenden Zusammenhang prüfen wollen und die Abweichung von der Kurve mit der Bevölkerungsdichte der Bundesländer in Beziehung gesetzt. Um regionale Unterschiede abzubilden und zwischen Stadtstaaten und Flächenländern zu nivellieren, habe ich vier Regionen – Nordwest, Nordost, Südost und Südwest gebildet.

Abweichung der Bundesländer (blau) und Regionen aus 3-5 zusammengefassten Bundesländern (rot) von der obigen Kurve als Funktion der Bevölkerungsdichte.

Einen Zusammenhang zu sehen, fände ich an dieser Stelle einen weiten Schuss. Zwar liegen zwei dünn besiedelte Flächenländer (Schleswig-Holstein und Niedersachsen) besonders deutlich unter der Kurve, Brandenburg – ebenfalls recht dünn besiedelt – recht gut auf, Bayern und Sachsen-Anhalt jedoch deutlich über der Kurve. Berlin und Hamburg als Stadtstaaten liegen unter, Bremen ebenfalls als Stadtstaat über der Kurve. Also lande ich wieder beim regionalen Zusammenhang…

Bundesländer nach willkürlich definierten „Regionen“ und die jeweilige Summe der Region mit ihrer Lage bezüglich der Kurve im ersten Plot des Beitrages. Aufzählung der Länder in den Textfeldern nach absteigender Bevölkerungszahl.

Die Bevölkerungsdichten in den Regionen sind höchst unterschiedlich – der Nordosten ist am dünnsten besiedelt (im Mittel 134 Einwohner pro Quadratkilometer, trotz Berlin), der Südosten sollte eigentlich auch ein „dünn besiedelt“ Gebiet sein, weil Bayern und Sachsen zwar einige Einwohner haben, aber im Verhältnis sehr große Ausdehnung besitzen – 183 Einwohner pro Quadratkilometer. Im Südwesten sind’s 283, zumal das Saarland, Baden-Württemberg und Teile Hessens sehr dicht besiedelt sind – und der Norden schießt trotz der dünn besiedelten norddeutschen Tiefebene dank NRW, Bremen und Hamburg mit 317 Einwohner pro Quadratkilometer den Vogel ab. An Fläche ist übrigens mit 105.000 Quadratkilometern der Südosten (knapp 20 Millionen Einwohner) die größte definierte Region, der bevölkerungsreiche Nordwesten (31 Millionen) mit knapp 100.000 Quadratkilometern die zweitgrößte. Für den Moment habe ich Schleswig-Holstein dem Nordwesten zugeschlagen, überlege aber, im Interesse gleichmäßigerer Verteilung, es zum Nordosten umzuwidmen. Einen großen Unterschied in der Darstellung macht’s indes nicht, nur sind dann die Flächen und Bevölkerungszahlen etwas gleichmäßiger zwischen den vier Quadranten verteilt.

Im Plot benutze ich die offiziellen Kürzel der Bundesländer. Die Lage des summierten Punkts über den drei eingehenden Punkten von Thüringen, Sachsen und Bayern hat mich auch irritiert, ist aber durch die Krümmung der Fit-Kurve bedingt und korrekt.

Im Fazit: Auch wenn der Südwesten mit dem dicht besiedelten Saarland, der Nordwesten mit dem stark beimpften Bremen mit niedriger, aber dennoch über der Kurve liegender Inzidenz und der Nordosten mit dem dünn besiedelten Sachsen-Anhalt je einen Eintrag über der Kurve hat, zeigt sich doch recht deutlich ein regionaler Zusammenhang – die im Südosten der Republik gelegenen Länder haben nicht nur geringe Impfquoten, sondern auch im Verhältnis zum angenommenen Zusammenhang aus meiner ersten Kurve höhere als mit dem Zusammenhang und der bekannten Impfquote zu erwartende Inzidenzen.

Was man daraus schlussfolgern kann und sollte? Das ist aufgrund der Unsicherheiten schwer zu sagen. Es kann die Nähe zu den Hochinzidenzgebieten in Tschechien und Österreich sein, die hohe Inzidenzen im Südosten bedingen, auch über einen deutlichen Zusammenhang zwischen Impflücke und Inzidenz hinaus. Vielleicht ist auch einfach der Zusammenhang zwischen Impflücke und Inzidenz noch etwas stärker und hat einen „Knick“ bei 65-70% Impfquote bzw. 30-35% ungeimpfter Bevölkerung und nur das Saarland zieht uns aufgrund irgendwelcher Sondereffekte den Fit zu einem weicheren, näher am Linearen liegenden Zusammenhang.

Aber ganz unabhängig von Ost-West-, Nord-Süd-, Stadt-Land- und anderen Effekten, ganz unabhängig von meinem rechnerischen Modell zeigt sich deutlich, dass eine inzidenz- oder auch hospitalisierungs-basierte Einschränkung von Grundrechten basierend auf der Wahrung des Rechts auf körperliche Unversehrtheit für alle durch Schließung der Impflücke, ob freiwillig oder mit Impfpflicht, vermieden oder zumindest stark verzögert werden kann.

Sicher hat das RKI, haben die Modellierer bei der Helmholtz-Gemeinschaft und beim PEI wesentlich feinere und bessere Modelle, aber wenn ich mir diesen Zusammenhang in der Kaffeepause einer Fortbildung zusammenschrauben und ihn darstellen kann, sollte er doch eigentlich vielen, fast jedem offensichtlich sein, oder nicht?

Verhältnismäßigkeit

Als ich vom universitären Bereich über einen Berater in die Verwaltung wechselte, durfte ich über den Begriff der „Verhältnismäßigkeit“ einiges nachlernen. Die Juristen erklärten einer ebenso neuen Kollegin und mir, Verhältnismäßigkeit einer Maßnahme, das setze sich daraus zusammen, dass die Maßnahme geeignet sei, ein Schutzziel zu erreichen, dass es erforderlich sei, was man mit der Maßnahme erreichen wolle, und dass die Einschränkungen durch Maßnahme angemessen seien im Verhältnis zur Erreichung des Schutzzieles.

Über Verhältnismäßigkeit hört man auch viel in der Corona-Pandemie. Vor Gericht werden Maßnahmen gekippt, weil sie unverhältnismäßig seien, und bei der Frage nach der Impfpflicht kriegt man den Rausch seines Lebens, wenn man bei jeder Nennung des Wortes „Verhältnismäßigkeit“ einen kurzen kippt. Ich weiß nicht, wie die, die das lesen, zur Impfung im allgemeinen und zur Impfung gegen das Corona-Virus im speziellen steht. Das will ich auch gar nicht beurteilen, aber ich möchte eine Frage der Abwägung aufwerfen. Denn Verhältnismäßigkeit heißt auch, dass ein Schutzziel durch eine möglichst milde Maßnahme erreicht werden soll, insbesondere, wenn Grundrechte gegeneinander aufgewogen werden müssen. In dieser Pandemie haben wir einen Haufen Grundrechte zu schützen, die zur Debatte stehen – bei uns in Deutschland stehen die besonders schützenswerten Grundrechte in den ersten 19 Artikeln des Grundgesetzes, unserer Verfassung. Ich habe in letzter Zeit oft gehört, dass Menschen anzweifeln, dass das Grundrecht auf freie Meinungsäußerung (Artikel 5 Absatz 1 des Grundgesetzes (GG)) gewährleistet sei, oft verbunden mit dem Satz „Das wird man ja wohl noch sagen dürfen.“ Weder vor noch in der Pandemie ist das richtig gewesen und es ist auch jetzt nicht richtig. Artikel 5 Absatz 1 GG erlaubt uns, die heftigsten Exkremente männlicher Rinder (Anglizismus: „Bullshit“) von uns zu geben, gewährleistet aber nicht, es ohne Gegenwind durch freie Meinungsäußerung ggf. vieler anderer zu tun.

Sehr konkret wurden in der Corona-Pandemie aber zum Schutz der körperlichen Unversehrtheit (Artikel 2 Absatz 2 Satz 1 GG) verschiedene Grundrechte eingeschränkt. Das waren und sind namentlich:

  • Artikel 8 GG, die Versammlungsfreiheit – um nämlich das Weitertragen von Sars-CoV-2 zu verhindern.
  • Artikel 2 Absatz 1 GG, die freie Entfaltung der Persönlichkeit – in Form von Maskenpflicht, nächtlichen Ausgangssperren, ggf. Quarantäne-Regeln, Schließung von Sport- und Kulturstätten
  • Artikel 12 GG, die freie Wahl der Arbeit – denn viele Gewerbe wurden über eine ganze Zeit hinweg geschlossen, man nennt das „Lockdown“.

Über die 3G- bzw. 2G-Regeln kommen Dinge hinein, die in Richtung der Beschränkung von Artikel 3 Absatz 1 GG gehen, nämlich der Gleichheit aller Menschen vor dem Gesetz. Aber ein weiteres Grundrecht einzuschränken, um eben genau dieses selbe Grundrecht zu schützen, hat man nie erwogen. Denn die Unversehrtheit des Körpers zu schützen (vor dem Corona-Virus), in dem man in ein, nur ein und genau dasselbe Grundrecht in Artikel 2 Absatz 2 Satz 1 GG eingreift, das hat man von vorneherein ausgeschlossen: Die Impfpflicht.

Nun ist der Staat verpflichtet, für alle Menschen (denn die sind nach Artikel 3 Absatz 1 GG vor dem Gesetz gleich) das Recht auf Unversehrtheit des Körpers zu schützen, er MUSS, er KANN NICHT ANDERS ALS in Grundrechte eingreifen, um die Mehrheit der Bevölkerung vor (wissenschaftlich erwiesenen) möglichen Schäden durch Sars-CoV-2 und die davon ausgelöste Krankheit Covid-19 zu schützen. In welche und in wie viele Grundrechte der Staat dabei eingreift, muss abgewogen werden. Ich kann nun Lockdown und Kontaktbeschränkungen und Ausgangssperren verhängen und einen Haufen von Grundrechten aus den Artikeln 2 bis 19 GG einschränken, um Menschen vor ungewollter Infektion durch Sars-CoV-2 während der freien Entfaltung ihrer Persönlichkeit zu schützen – und genau das wurde ja auch getan.

Ich kann aber auch, als Staat, einen nach allen vorliegenden Studien erwiesenermaßen kleinen Eingriff in die körperliche Unversehrtheit vornehmen – nämlich eine Impfpflicht verhängen – und somit die Beschränkung anderer Grundrechte durch Lockdown, Kontaktbeschränkungen und Ausgangssperren verhindern oder zumindest SEHR weit hinauszögern – Spanien macht’s vor, dass das geht. Denn wenn die Risiken durch die Impfung gering sind, läuft es drauf raus, für eine eher kleine Gruppe die Rechte auf freie Entfaltung der Persönlichkeit oder die Religionsfreiheit (Artikel 4 Absätze 1 und 2 GG, da noch nicht vorher genannt) zu beschränken, um mit EINER Maßnahme, die insgesamt 3 Grundrechte einmalig und eindeutig begrenzt auf ein paar Pikser (zwei bis drei nach aktuellem Stand) beschränkt, eine Fülle von Beschränkungen diverser Grundrechte auf teils unbestimmte Zeit zu verhindern.

Rein von der Abwägung von Grundrechten und Eingriffen in diese fände ich da nicht unbedingt gesetzt, dass die im Infektionsschutzgesetz ermächtigten, in Form der Corona-Verordnungen der Länder umgesetzten Maßnahmen milder sind als eine Impfpflicht für alle. Aber ich bin nur „Technikerin“, wie man die aus technischen und naturwissenschaftlichen Berufen kommenden Leute in der Verwaltung nennt, keine Juristin. Dennoch finde ich es bedenkenswert, ob wir nicht aus der Debatte um ganz viele Grundrechtseinschränkungen zum Schutz der Unversehrtheit des Körpers herauskommen, indem wir auf eine Einschränkung genau dieser Freiheit mit recht gut erforschtem Umfang setzen, statt auf unbestimmte Zeit einen ständig wechselnden, ziemlich breiten Blumenstrauß von Grundrechtsbeschränkungen in Kauf nehmen und immer wieder vor den Gerichten verhandeln.

Das ist natürlich Meinung. Aber die darf ich äußern, denn schließlich gibt es ja Artikel 5 Absatz 1 GG.

Verrückt

Verrückt war dieser Tag heute, verrückt ist diese Zeit. Klar, jeder denkt nun an Corona, aber das Thema ist tatsächlich bei dem Grund, warum ich das hier schreibe, nur als einer von mehreren „Grundbässen“ dabei. Die Melodie machen andere Sachen…

Das Leben verändert sich für mich gerade mit einem atemberaubenden Tempo. Nicht nur, dass ich inzwischen mit einem Fahrradanhänger Wocheneinkäufe und Essensabholungen erledige, somit das Auto steht, nein, ich habe auch das Inline-Skaten begonnen – das habe ich ja hier schon mehrfach erzählt.

Was nicht so viel thematisiert wurde, sind andere Dinge, die ins Rutschen gerieten. Mein Mann und ich beginnen derzeit, unsere Wohnung ein wenig umzugestalten und mehr unseren Bedürfnissen anzupassen. Vor neuneinhalb Jahren sind wir hier eingezogen, wir haben die eine oder andere Sache modifiziert, aber dann war lange Ruhe. Derweil veränderte sich unser Leben, veränderten sich unsere Lebensgewohnheiten, und wir wohnten immer noch in einer Wohnung, die wir von der Schwester meines Mannes und ihrer Familie übernommen hatten, mit kleinen Veränderungen und nicht wenigen Teilen des Mobiliars der Junggesellen-Wohnung meines Mannes und meiner Studentenbude. Nun haben wir den noch hier verbliebenen Holzofen abbauen lassen, den Kamin dafür schließen. Wir nutzten ihn eh nicht, nun ist an seiner Stelle erheblich mehr Platz und eine Spirituosen- und Sport-Trophäen-Vitrine. Das Gästezimmer wird langsam zum Homeoffice/Gästezimmer/Ersatzwohnzimmer. Es geht vieles voran!

Dazu merke ich wieder, wie sehr das Radfahren bei mir etwas anspricht, das bei anderen von Autos angesprochen wird: Tuning, Bastelei, Upgrades. Leistungsmesser-Kurbeln, Trikots, die zu meinen Geschichten passen, Trikots der Sport Löwen, nun auch Zeitfahr-Lenker-Extensions für das grüne Carbon-Rad, den Green Scooter Killer.

Warum ich heute darüber schreibe? Nun, gestern Abend wollte ich die Lenker-Extensions montieren, das erwies sich als nicht ganz einfach, so ganz nebenbei entdeckte ich dabei, dass meine Vorderradbremse am Rennrad nicht mehr richtig zurückschnappte, weil eine Achse verdreckt war. Das habe ich behoben, dazu die Extensions montiert und war stolz wie eine Königin. Heute früh war ich morgens im Homeoffice, dann beim Arzt, bekam meinen ersten Impftermin vereinbart, fuhr ins Büro, um Post zu sichten und ein paar Dinge zu klären, fuhr wieder heim und hielt eine Schulung für unsere Neuen. Dann testete ich ausgiebig die Lenker-Extensions und war völlig begeistert. Dazu wird es langsam wärmer – freilich, schön wird’s nur am Sonntag, aber kalt ist inzwischen nicht mehr so kalt wie noch in der kalten Jahreszeit.

Ich sprieße, blühe auf. Der metaphorische Winter, in den Corona uns am Ende des letzten Winters geschickt hat, hat mich viele Knospen treiben lassen – und vieles davon blüht nun auf. Und da wird einiges verrückt, an neue Stellen, gewinnt neue Qualitäten.

Ver-rückt eben!

1. Virtueller Lauf nach Bari

Eigentlich sind virtuelle Läufe ja nicht meine Sache. Klar, in diesen Tagen, in denen Massenstarts nicht akzeptabel sind, in denen die Dinge hoffentlich mit einer Impfung besser werden, aber das Impfen schleppend geht, kommt man nicht ganz drumherum, wenn man läuft und Wettkampf mag. Aber ein virtueller Wettkampf ist nicht dasselbe.

Jedoch habe ich nun an einem ziemlich speziellen virtuellen Lauf teilgenommen… der sonntägliche Lauftreff der LG Hardt, an dem ich recht konsequent, wenn auch nicht immer teilnehme, hat natürlich auch Federn gelassen. In Zeiten, in denen aus gutem Grund sogar größere Läufergruppen beim Outdoor-Sport nicht gestattet sind, der Lauftreff zerfasert und die Motivation leidet, da ist’s schon schwer für so eine Gruppe. Auch ein gemeinsames Ziel, nämlich der Wettkampf, in dem die Gruppe je nach Gusto Marathon, Halbmarathon oder Marathonstaffel läuft, aber gemeinsam hinreist, ist nicht vorhanden. Ebenso ist die gemeinsame Reise einiger Lauftreffmitglieder, die diese schon lange als Trainingslager jedes Jahr bestritten haben, nun das zweite Jahr in Folge ausgefallen.

Man hat’s deutlich gemerkt: Wir wurden nach dem Hochsommer nicht in der gewohnten Weise wieder mehr, und im Winter stellte sich kaum eine Routine ein, nach dem kältesten, schmuddeligsten Part ging’s auch nur langsam, dass die Leute sich wieder einfanden. Da präsentierte einer meiner Laufpartner aus der „schnellen“ Gruppe eine Idee: Wir können nicht echt ins Trainingslager nach Apulien, aber wir können die Strecke in der Gruppe an akkumulierten Kilometern zurücklegen! Schnell waren viele begeistert…

Es gab auch das volle Programm: Anmeldung per Email, regelmäßige Stichtage zum Melden der wöchentlich erlaufenen Kilometer, Startnummern…

Als wir virtuell in Österreich ankamen, fanden alle Läufer plötzlich Motivationskugeln (Mozartkugeln, vom Organisator bei uns vorbeigebracht) in den Briefkästen, um den Anstieg zum Brenner zu bewältigen, und in Italien angekommen, gab’s auf demselben Weg Cantuccini. Ebenso gab es jede Woche einen Bericht, wie weit wir gekommen waren, mit einem kleinen Reiseführer für die jeweilige Route. Und am Schluss gab es dann sogar noch eine Urkunde!

Urkunde und Startnummer.

Ich finde es total schade, dass wir Verrückten nur vier Wochen gebraucht haben, um die 1400 Kilometer nicht nur zu bewältigen, sondern mit 1628 Kilometern sogar deutlich zu übererfüllen!

Dunkel, kalt und unsicher

Ich wusste schon lange, dass ich die Kälte nicht mag. Dafür brauchte ich nicht viel zu forschen – ich gehe im Winter raus und merke, es gefällt mir nicht, wenn’s kalt ist. Die Kältetoleranz ist durch Sport auch durch den Winter hindurch besser geworden, aber noch immer mag ich es lieber, wenn die Sonne auf mich scheint und die Temperatur es erlaubt, der Sonne viel Haut zu zeigen – auch beim Sport. 30 °C beim Laufen? Kein Problem für mich!

Das bringt mich zum anderen Punkt. Dunkel! Als Mensch, der in seinen Zwanzigern noch gerne bis Mittag schlief und in den krassesten Zeiten zwei bis drei Mal die Woche bis zum Morgengrauen in Discos mit bevorzugt schwarz gekleideten Menschen tanzte, war ich eigentlich der Ansicht, dass die Dunkelheit mich nicht stört. Tatsächlich gehe ich auch gerne mal bei Dunkelheit spazieren, laufe auch mal im Streulicht der Großstadt ohne Stirnlampe über die Felder, vorausgesetzt ich werde nicht geblendet. In zunehmendem Maße merke ich aber, dass nun, in meinen Vierzigern, mir das frühe Dunkeln im Winter zusetzt. Schon beim Pendeln nach Stuttgart, das den größten Teil meiner Dreißiger einnahm, störte es mich, im Dunkeln aus dem Haus zu gehen und dann im Dunkeln wieder nach Hause zu kommen. Im Auto geht das ja sogar noch besser, aber auf dem Fahrrad macht es gar keinen Spaß. Nun, wo ich wegen der Corona-Pandemie auch einiges an Homeoffice machen darf oder muss – ich empfinde es eher als ein „Dürfen“, wo ich mich nun daran gewöhnt habe – bemühe ich mich, so früh wie möglich zu Arbeiten zu beginnen, um nach dem Feierabend gegen 15:00 oder 15:30 noch ein bis zwei Stunden im Hellen zu haben – für Sport, Spaziergänge, irgendwas.

Zu Kälte und Dunkel kommt dieses Jahr die Unsicherheit. Als Sportlerin mag ich es eh nicht, mich zu erkälten. Rhino-, Grippe- und Coronaviren (nicht nur Sars-CoV-2) treiben sich im Winter ja sowieso überall herum, und ich möchte diesen Mist nicht in meiner Nase, meinen Bronchien, Lungen und erst recht nicht an meinem Herzen haben. Dass ich das nicht möchte, hat sich mit der zunehmenden Bedeutung des Lauf- und nunmehr auch Radsports in meinem Leben verschärft, denn Erkältung heißt Sportverbot, damit der Infekt schnell weggeht und nicht auf’s Herz schlägt, und Herzmuskelentzündung hieße LANGE keinen Sport. Aber das ist ja nicht alles! Da man sich Sars-CoV-2 leichter einfängt als irgendeinen HxNy-Grippevirus und Covid-19 tendenziell mehr Spätfolgen, die einem den Sport verleiden, haben kann, ist das sowieso super-ätzend mit einem solch neuen Erreger auf dem Markt der winterlichen Erkältungsviren. Aber es kommt ja dazu, dass nicht nur ich Sorge vor dem Erreger habe, und nicht nur ich mit allem Recht. Sars-CoV-2 mit seinem Erkrankungsbild Covid-19 mag vielleicht nicht schlimmer sein als die spanische Grippe damals, problematischer als die übliche saisonale Grippe-Epidemie ist es aber definitiv, denn erstens haben bisher nur einige Menschen durch Infektionen mit anderen Corona-Viren eine gewisse Resistenz gegen das Zeug und zweitens sind die Folgen potenziell schwerwiegender und noch nicht voll bekannt. Deswegen finde ich es richtig, dass Gesellschaften, Staaten und Menschen mehr Infektionsschutz als sonst betreiben. Ich finde es auch in normalen Wintern ohne neue, aggressive Influenza-Variante oder neues Coronavirus nicht gut, wenn ein rotnäsig-schniefend-hustender Mensch sich in der Bahn neben mich setzt oder wild in den Zug niest oder hustet. Auch wenn ich es nicht auf meinen Alltag anwenden konnte oder wollte, hatte für mich der Usus fernöstlicher Gesellschaften, mit Mund-Nase-Maske in Zug oder anderweitig die Öffentlichkeit zu gehen, wenn man erkältet ist, einen großen Appeal. Meine Idee war einfach, dann zuhause zu bleiben, um die anderen nicht anzustecken. Mit dem Mix aus schweren und symptomlos-ansteckenden Verläufen verschärft Sars-CoV-2 bzw. Covid-19 all das und ich bin voll dabei, dass wir das Infektionsgeschehen unter Kontrolle halten müssen. Vielleicht verabschiedet sich nun endlich auch der letzte davon, dass man sich erkältet, weil man in der Kälte steht oder mit nach dem Sport feuchten Haaren irgendwo sitzt… freilich sind Sport und Kälte Aspekte, die das Immunsystem vorübergehend ein wenig schwächen, während mindestens der Sport es langfristig stärkt. Dieses „Open Window“ für Infektionen aber als den Grund von Erkältungen zu sehen, spricht für eine Haltung, die die allgemeine Verbreitung, die Allgegenwart von Erkältungserregern im Winter als unausweichliche Tatsache akzeptiert. Das ist aber nicht so! Das Kind, das beim gemeinsamen Essengehen über zwei Stunden hinweg unaufhörlich Tisch, Besteck, Geschirr aller Begleiter der Eltern anhustet und anniest ist genauso vermeidbar wie der „heldenhaft“ mit knallroter Nase, Husten und Schnupfen im Büro krächzende Mensch, der sich für unersetzlich hält. Dass man nicht bei jedem kleinen Naselaufen daheim bleiben muss, wenn nicht gerade Sars-CoV-2 oder ein neuer Influenza-Flavour grassiert, ist mir auch klar – als Läuferin läuft mir im Winter durchaus auch mal ohne Infektion die Nase, weil die Schleimhäute in Nase und Augen auf Kälte und starke Temperaturwechsel nunmal mit Sekretion von Schleim reagieren. Feucht-kalte Luft, die angewärmt wird, wird dadurch nunmal in relativer Luftfeuchtigkeit trockener und reizt auch wieder die Schleimhäute. Aber verantwortungsvoll mit dem eigenen Körper und dem Infektionsrisiko der anderen umgehen fängt nicht erst bei Fieber an. Egal, was Kollegen und gegebenenfalls der Arbeitgeber sagen, den schlappen, infektiösen Körper nicht in den ÖPNV und nicht das Büro zu schleppen, ist kein Drückebergertum.

Tja. Ich schweife ab. Unsicherheit war das Thema. Mit einem neuen, auf schnelle Verbreitung sehr gut angepassten Erreger mit verhältnismäßig häufigen schweren Verläufen auf dem Markt ist unsere europäische Haltung zu Infektionsschutz und Drückebergertum gefährlich. An der Stelle ist es sinnvoll, die nicht „aus Vernunft“ heraus von jedem einzelnen ergriffenen Schutzmaßnahmen doch anzuordnen. Das beschränkt natürlich Freiheiten – und das sehen wir gerade. Mich nervt das ebenso wie so ziemlich jeden. Der lange, abschweifende Absatz vor diesem Absatz hier ist jedoch daraus geboren, dass ich mir selbst klar gemacht habe – schon vor Corona – und anderen klar machen will, dass Infektion durch Viren Erkältungen erzeugt und nicht die Kälte – und dass der Infektionsschutz sinnvoll ist. Freilich ist extreme Eindämmung bei eher milden Erregern übertrieben – es beschränkt unsere Freiheit zu sehr, macht die Produktivität kaputt und hindert zudem an der Entwicklung von Immunität gegen genau diesen und von Resistenz gegen ähnliche Erreger. Ist aber ein Erreger mit heftigeren Eigenschaften auf dem Markt, muss man das anpassen. Aber im Gedanken an „Kälte verursacht Erkältung“ und in der Erfahrung, dass die jährliche Grippewelle ja „noch nie so schlimm war, wie das immer aufgebauscht wurde“ sind wir nicht geübt in Infektionsschutz, auch wenn er nötig wäre. Und so lassen wir in Freiheitsdrang, Unwissen und teils der bewusst die Fakten durch Verschwörung ersetzender Kombination daraus den Infektionsschutz auch da zu gering, wo er nötig wäre – und bekommen ihn verordnet, in entsprechend harter Form.

Hier beschränkt dann unser Staat Grundrechte, um ein anderes Grundrecht, nämlich das Recht auf Leben und Unversehrtheit des Körpers (Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG) zu schützen. Damit greift die Beschränkung des Rechts auf freie Entfaltung der Persönlichkeit (Art. 2 Abs. 1 erster Halbsatz GG) durch den zweiten Halbsatz: „soweit er nicht die Rechte anderer verletzt“. Genau da kommt die Unsicherheit auf. Wir alle sind nicht daran gewöhnt, ICH bin nicht daran gewöhnt, dass unsere, meine freie Entfaltung der Persönlichkeit das Leben und die Unversehrtheit anderer gefährdet (bzw. insbesondere im Straßenverkehr sind wir zu sehr dran gewöhnt, dass wir’s nicht mehr sehen). Und so entstehen „plötzliche“ Einschränkungen, und je weniger Leute es einsehen, dass an dieser Stelle die Beschränkung der freien Entfaltung der Persönlichkeit, die im SELBEN Artikel des Grundgesetzes festgelegt ist, desto härter und unvorhersehbarer werden diese Einschränkungen.

Das Ergebnis ist eine Unsicherheit, die zusätzlich zu Kälte und Dunkelheit in diesem Winter auf meiner Seele liegt. Es gesellt sich in meinem Fall in diesem Jahr noch eine gewisse Unsicherheit in anderen Bereichen dazu – mit neuer Chefin, neuen Aufgaben und neuen Kollegen ist die Abstimmung der Gruppe noch nicht final, und wo durch den Corona-Winter Sicherheiten wegbrechen, sind zusätzliche Unsicherheiten für mein sprödes Nervenkostüm Gift.

Dunkel, kalt, unsicher. Keine gute Kombination, um froh, gesund, produktiv und kreativ zu sein. Ich musste mir das mal von der Seele schreiben.

[KuK] Prioritäten

Als wir gestern zum Supermarkt gingen, um den Wocheneinkauf zu machen, waren die Regale mit Toilettenpapier schon wieder fast leer, die günstigeren Sorten waren ganz geplündert. Wir waren zwei Stunden früher als normal im Markt, mindestens seit Donnerstag hängt im Edeka wieder das Schild aus, dass von bestimmten Artikeln pro Einkauf nur eine Packung ausgegeben wird. Und dennoch…

Gleichzeitig sieht man viele Leute, die ihre nun einmal im Rahmen der AHA-Regeln verpflichtende Maske nur über den Mund tragen und die Nase oben raushängen lassen. Wenn ich auf dem Bürgersteig vor Nagelstudio, Bar und Supermarkt, wo auch der Aufgang zu unserem Büro liegt, meinen Buff über Mund und Nase hochziehe, wenn ich mit dem Rad oder laufend um die Ecke komme, werde ich teils komisch angeschaut – und dort ist es wirklich eng.

Aus der Klopapier-Horterei und gleichzeitig nur sehr eingeschränktem Verschärfen der eigenen Vorsicht angesichts der wirklich explodierenden Zahlen lässt sich eigentlich nur ein Schluss ziehen:

Nicht allzu wenigen Menschen ist ihr Arsch wichtiger als ihre Gesundheit.

Provokante Äußerung von Talianna Schmidt

[KuK] Eins pro Tag

Vor langen Wochen habe ich bei Skill up your Life von der Methode gelesen, Fitness-Übungen in die Gewohnheiten zu integrieren. Die Idee dabei war, sich ein Set von Übungen zu nehmen und immer, auf jeden Fall und stets eine Wiederholung jeder dieser Übungen am Tag zu machen. Jeden Tag!

Dabei geht es um Gewohnheit. Viel werden nun sagen, machst du nur eine, bringt es das nicht. Der Trick ist, dass man meistens eben nicht nur eine Übung machen wird. Funktionierte auch bei mir so. Ich hatte mir sauber ausgeführte Kniebeugen, Liegestützen und Crunches auf die Fahnen geschrieben. Mal machte ich wirklich nur je eine, aber teils waren es auch fünf, zehn, zwanzig…

Ein paar Tage, zwei, drei Wochen lang habe ich das gemacht, nun fange ich es gerade wieder an. Drei Tage läuft es wieder, und ich streue auch ein paar Atemzüge (meistens zwanzig) lang eine Brücke ein, denn die tut meinen Rückenmuskeln sehr gut. Ich hoffe, dass es dieses Mal anhält – denn so sehr ich wieder ins Fitnessstudio möchte, so wenig ich meinen Vertrag dort kündigen werde… mit den derzeitigen Regeln (kleines Studio, daher muss viel Aufwand für die Kontrolle von Abstand uns maximaler Personenzahl getrieben werden) kommt’s für mich nicht in Frage. Ich weiß, warum mein Studio zur vollen Stunde reinlässt und fünf vor der nächsten die Leute wieder raus sein müssen, und ich sehe das auch voll ein. Ich will und werde in der Zeit, in der das so geht, weiter meinen Beitrag zahlen – aber nicht hingehen. Da muss ich eine Alternative entwickeln.

Und genau diese Alternative ist die „eine Wiederholung eines überschaubaren Satzes von Übungen, jeden Tag“-Methode.

Der Koller

Nun ist er da, der Koller. So richtig und intensiv.

Die unterschiedliche Handhabung der Infektionsschutzmaßnahmen durch die verschiedenen Menschen in meinem Umfeld setzt mir enorm zu. Ich selbst wähne mich – ob nun berechtigt oder nicht – relativ sicher, dass ich, sollte ich die Infektion abbekommen, eher einen milden Verlauf zu erwarten hätte. Aber ich wäre auch Überträgerin. Daher gehe ich zur Arbeit, da wir nur beschränkt Homeoffice-fähig sind, gehe einkaufen, habe aber ansonsten nur Kontakt mit meinem Ehemann. Besuche bei Freunden und Verwandten soll man einschränken, auch wenn sie bis zu einem gewissen Grad erlaubt sind, also haben wir das getan – das Einschränken.

Nun tut es mir wirklich weh, Freunde nicht einfach mal so treffen zu können, meine Lieben (außer meinem Mann) nicht in den Arm nehmen zu können, und den Trek Monday beständig und auf unbestimmte Zeit ausfallen lassen zu müssen, das macht mich richtig fertig! Aber es ist sinnvoll, es ist vernünftig. Wir wollen möglichst wenige Infektionsherde, die Zahl der aktiven Fälle und der infektiösen Personen so weit drücken, dass auch mit mehr Lockerungen die Sache kontrollierbar bleibt. Je strenger man sich dran hält, um so früher geht’s wieder mit weniger Beschränkungen, zumindest ist das der Tenor meiner vernünftigen inneren Stimme.

…und dann sehe ich Teile meines Umfeld. Da wird sich besucht, quer durch das Land. Freilich: Die Verordnung des Landes Baden-Württemberg gibt „Versammlungen im nicht-öffentlichen Raum“ bis fünf Personen her, außerdem ist die Beschränkung auf fünf Personen von geradliniger Verwandtschaft (also Groß- und Eltern, Kinder, Enkel), Partnerschaft oder Haushaltsgemeinschaft aufgeweicht. Wenn ich so reinlese, könnten zwei zusammenlebende Pärchen und zwei sonstige Personen (also Personen aus vier Haushalten) zumindest in einer Grauzone der Verordnung gemeinsam DVDs schauen… aber wir tun’s nicht. Bloß, weil es nicht in den bußgeldbewehrten Bereich des Verbots geht, sondern nur die Empfehlung zum Infektionsschutz in ihrem Geiste verletzt, braucht man es nicht zu machen.

Nun sitze ich hier und frage mich: Bin ich vernünftig oder antisozial, wenn ich statt eines Besuchs lieber einen Anruf mache (oder auch nicht, da ich ungern telefoniere), wenn ich präventiv meinen Trek Monday ausfallen lasse, so weh mir das auch tut? Die vernünftige, richtige Antwort ist, dass ich nicht antisozial bin, aber da ist so eine nagende, böse kleine Stimme…

Eigentlich will ich mich nicht dafür rechtfertigen müssen, dass ich den Geist einer Schutzmaßnahme umsetze, die unter anderem auch ihrer eigenen Unnötigmachung dient. Das Gefühl, sich vor sich selbst und den anderen, die das Ganze nicht so ernst nehmen, verteidigen zu müssen, bleibt aber leider. Zweieinhalb Stunden habe ich über dieses Lamento heute verbracht und meinen Mann damit gestresst. Das Ergebnis bleibt: Wir behalten bei, wie wir agieren. Auch wenn viele um uns herum es nicht tun – und vielleicht kein Verständnis haben. Ich will mich lieber strenger dran halten und früher wieder raus dürfen.

In Gedanken…

…bin ich bei all dem, was zur Zeit nicht geht. Es ist komisch, ich habe manchmal das Gefühl, nicht „gesellig genug“ zu sein. Über Text und Teamspeak zu kommunizieren, das macht einen ganz erklecklichen Teil meiner sozialen Kontakte aus, ansonsten renne ich auch öfter allein durch Wald und Wiesen, radle allein oder mit jemandem aus meinem Haushalt durch die Gegend oder spiele am Rechner. Eigentlich sollte es kein Problem sein, dachte ich mir.

Aber ich vermisse meinen „Trek Monday“, den montäglichen SciFi-Video-Abend. Freilich heißt er nur noch Trek Monday, denn längst ist nicht mehr alles, was am Trek Monday läuft, Star Trek. Eine Watchparty über’s Netz zu machen, das wäre nicht dasselbe. Die nun kommende Lockerung der Maßnahmen erlaubt, Einkaufsmöglichkeiten wieder aufzutun, aber „private Besuche und Reisen“ sind weiter tabu. Somit ist der Trek Monday auch noch nicht wieder drin und ich merke doch, wie sehr es meiner Woche Struktur und gute Laune gibt, wenn ich meine lieben Freunde von der Trek Monday Crew jeden oder zumindest fast jeden Montag sehe. Auch die Verabredungen mit lieben Freunden – zum Mittagessen und zum Abendessen war angesetzt, mit zwei sehr lieben Freunden, die ich beide zu lange nicht gesehen habe – sind nicht drin. Genauso fiel der österliche Besuch bei meinem Vater und bei den Schwiegereltern aus, die Geburtstage zweier Schwägerinnen und auch der Besuch lieber Freunde für ein Wochenende bei uns.

So ganz allmählich merke ich, dass auch wenn ich nicht „tagtäglich gesellig unter Leute“ gehe, im Gegenteil sogar manchmal denke, dass nach „normaler Konvention“ zu viele meiner sozialen Kontakte „virtuell“ sind, mir die Corona-Virus-Maßnahmen zusetzen.

Eigentlich wollte ich nicht darüber schreiben. Eigentlich sollte der heutige Post etwas sein, das gar nichts mit Virus und Lockdown und allem zu tun hat. Aber jedes Mal, wenn ich nach Inspiration suchte, landete ich doch wieder dort. Die anderen Themen sind alle noch unausgegoren, oder hatten schon vor nicht allzu langer Zeit Rampenlicht, so dass es noch nichts signifikant Neues dazu gibt.

Nun, aber eine Neuigkeit gibt es doch: Heute waren es 600 Meter, nach denen ich aus Vernunft abgebrochen habe, mit dem Laufen. 250 Meter waren es beim letzten Mal, und am Ende derer war’s wesentlich blöder als heute nach 600. Es wird also. Aber ich bin ungeduldig. Vermutlich würde ich weit weniger Lockdown-Koller haben, der solche Beiträge auslöst, wenn ich nicht nur mit Radfahren, der Ersatzdroge, kompensieren könnte. So ganz nebenbei und zur Ersatzdroge: Ich sollte bald mal die Navigation meines Edge 830 testen, damit ich über meine ersten Erfahrungen mit dem Ding schreiben kann. Begeistert für die Arbeitsfahrten und andere Touren nutze ich es ja schon, mit sechs Werten auf dem Display auf einen Blick, statt Anzeige stumpf auf der Uhr. Morgen wird’s wohl wieder eine Tour geben. Vielleicht gucke ich da zumindest mal die Karte an!