Wie’s ist, ist’s verkehrt

In den letzten Tagen war es heiß und trocken. Ich fand das wunderschön, aber ich habe an vielen Stellen nur Stöhnen über die Hitze gehört. Im verregneten Sommer vergangenes Jahr beschwerten sich die Leute über den Regen in den klassischen Sommermonaten, nur um dann, als der Regen weg war und es im September heiß und trocken wurde, über die Hitze und die vertrocknenden Pflanzen zu beschweren.

Für mich ist das anstrengend. Ich mag die Hitze lieber als den Regen, ganz klar. Schwüle strengt mich auch an. Aber die verschiedenen Witterungen, Temperaturen, Luftfeuchtigkeiten gehören zum Leben, zum Wechsel der Jahreszeiten, zu der Natur. Bei einem verregneten Sommer von „Wo ist da der Klimawandel“ anzufangen oder sich über jede Witterung zu beschweren, das finde ich etwas anstrengend. Heute Morgen im Radio wurde bekundet, endlich sei die Hitze vorbei. Vor einigen Tagen wurde im selben Radiosender angekündigt, nun käme der Herbst. Dann gibt es da Rudi Carrells „Wann wird’s mal wieder richtig Sommer“ (wobei das nicht auf jenem Sender gespielt wurde), und mein Vater spricht von „elf Monaten Winter“, die wir hier in Deutschland hätten.

Im Moment hoffe ich auf „gutes Wetter“ für Donnerstag, wenn ich meinen Laufwettkampf habe. Was ist da dann „gutes Wetter“? Vermutlich gibt es darauf eine Fülle von Antworten. Meine ist: „Kein Gewitter, kein Regen wie aus Eimern, Temperaturen irgendwo zwischen 10°C und 35°C, wenn’s sein muss, dürfen’s auch 5°C bis 40°C sein“. Ich bin da recht genügsam. Ich fand heute morgen den Regen wunderschön, und er wurde durch die Abwechslung schöner, die er brachte. Aber wenn’s Ende der Woche oder vielleicht auch vor allem im August wieder zwei Wochen, drei Wochen lang heiß und trocken wird, bin ich auch sehr glücklich. Im Winter mag ich den Schnee vor allem deswegen nicht, weil ich pendle, eigentlich finde ich ihn wunderschön. Einzig ein bisschen nervig finde ich, wenn es wirklich SEHR kalt ist, denn ich hasse es, zu frieren.

Ich bin also auch nicht so genügsam, wie ich gerne wäre. Aber im Grunde halte ich es für eine Qualität an sich, das Wetter in seinen stabilen und wechselhaften Phasen so gut man kann als solches anzunehmen. Es wird nicht anders, nicht besser, nicht schlechter davon, dass man sich mit dem Beschweren drüber runterzieht.

Von Vereinfachung

Mir wurde vor einiger Zeit einmal gesagt: „Wenn Du es nicht kurz und griffig formulieren kannst, ist es nicht relevant.“ Das geschah in Antwort auf mein Lamento bezüglich meiner Verweigerung, Twitter zu nutzen. Diese Weigerung habe ich inzwischen aufgegeben, aber ich bin noch immer der Ansicht, dass Verkürzung bei vielen Aussagen in unserer komplexen Welt kein „auf das Wesentliche Reduzieren“ darstellt, sondern schlichtweg eine sinnentstellende, gefährliche Vereinfachung.

Ob es nun 140 Zeichen oder zwei Sätze sind, spielt dabei keine Rolle. Wo es möglich ist, nicht ewig um den heißen Brei herumzureden, ist das sicher löblich. Aber sehr viele, insbesondere politische, gesellschaftsbezogene und wissenschaftliche Themen stehen in einem Kontext, sind Ergebnisse von Prozessen und Resultate aus Umständen, die zum Verständnis der zwei, drei Fazit-Sätze essentiell sind. Sprich: Die Schlagzeile, die ich als Tweet raushaue, ist eventuell, in einem anderen Kontext gelesen, nicht nur provokativ oder schlicht falsch, sondern bedeutet etwas komplett Anderes, im schlimmsten Falle sogar Gegensätzliches zu dem, was ich eigentlich sagen wollte. Zudem sind in wenigen Zeichen, Worten, Sätzen nur sehr schwer Nuancen wiedergebbar. Insgesamt erinnert die Sprache, die bei einer notorischen Verkürzung herauskommt, an das Newspeak aus Nineteeneightyfour, nur eben nicht politisch motiviert eingeführt.

Ich glaube, diesen Effekt an vielen Stellen zu sehen. Argumentationsketten, komplexe Argumente sind in dieser Verkürzung nicht mehr möglich. Das, was ich befürchte, ist teils schon in den öffentlichen Diskurs eingetragen worden: Verkürzte Aussagen aufgrund eines Zeichenlimits, aufgrund kurzer Aufmerksamkeitsspanne setzen gut recherchierte, gut begründete Argumente, überhaupt das Argumentieren mit dem Aufstellen von Thesen gleich. An dieser Stelle wird es gefährlich, in meinen Augen, weil ein großer Teil unserer Welt auf komplexen Zusammenhängen aufgebaut ist und unser Wohlstand, unsere Freiheit darauf basiert, dass relevante, wichtige Konzepte eben nicht so einfach sind, dass man sie auf Parolen reduzieren kann.

Klar, der nette kleine „Pun“ zwischendurch, der geht schon. Aber mit ein oder zwei Sätzen pro Seite geführte Diskussionen setzen ein hohes Maß an gemeinsamem, geteiltem intellektuellen Hintergrund und eine Kompatibilität der Perspektive voraus. Wo die Perspektiven abweichen, brauche ich oft mehr Worte, muss unterschiedlich konnotierte Begriffe zusammenbringen, muss auf Voraussetzungen, Denkmuster, Argumente verweisen – und sie oft sogar erklären.

Genau deswegen glaube ich zwar, dass kurze Ansagen sicher mehr Appeal haben, griffiger sind, als lang erklärte Dinge. Aber die lang erklärten Dinge sind die Sachen, auf die es oft ankommt, ohne die eine Diskussion oft nicht funktioniert – weil sie sonst zum „einander Thesen an den Kopf werfen“ degeneriert.