Ich gehe auf dem Weg von der Bahn zur Arbeit seit dem zweiten Juli 2018 fast stets an einem Laden vorbei, der in Karlsruhe am Lidellplatz sein Schaufenster hat. Es ist ein Laden voller Zeug und Kram, also diverses Gebrauchtes, das größtenteils den Eindruck erweckt, nicht praktisch, sondern künstlerisch und/oder schön zu sein. Ich hasse und liebe solche Läden zugleich, denn es gibt so viele tolle Dinge dort – aber ich bin so gar kein Mensch, der tatsächlich viel umdekoriert. Dekoration soll beständig sein, nicht ständig wechseln, sie soll nicht im Weg sein und nicht überladen wirken. Das schränkt die Zahl der dekorativen Gegenstände stark ein, da die Zahl der Plätze dafür beschränkt und ein Mehrfachbesetzen der Plätze durch Dekorations-Veränderung über die Zeit meine Sache nicht ist.
Nun blieb aber der Wunsch nach einem bestimmten Objekt in der Auslage konstant seit – nun, seit ich dort vorbeilaufe, glaube ich. Es dreht sich um ein Buch, „Träume in Samt und Seide“, das Opern-Kostüme darstellt. Es ist dick, schwer und gebunden, kein Taschenbuch, und ich habe schon oft davor gestanden und mich gefragt, welche Schätze sich zwischen den Buchdeckeln verstecken. Nun habe ich gestern beschlossen, mich dazu durchzuringen, das Buch zu kaufen. Der Laden hat nicht unbedingt dauernd auf, da die Besitzerin ihn nur nebenbei betreibt – das vertröstete mich auf heute. Als ich dann vor dem Laden stand, war die Besitzerin gerade am Öffnen. Sie fragte, was ich suche, und ich erklärte, ich hätte schon gefunden – und deutete auf das Buch. Ihr entgleisten beinahe die Gesichtszüge: Das Buch sei reserviert – und zwar seit drei Tagen. Erst seit drei Tagen! Eine angehende Kostümdesignerin hatte die Besitzerin bei einer gemeinsamen Fahrt auf eine Messe in Frankreich angesprochen, ob sie das Buch haben könne. Besagte Messe war auch der Grund, warum der Laden gestern zu war.
Nun haben binnen weniger Tage zwei Frauen, die völlig unterschiedliche Dinge tun und seit vielen Monaten an der Schaufensterauslage vorbeilaufen und das Buch sehen, die Idee, nun endlich zuzuschlagen. Das ist ein Ding!
Ich gab der Besitzerin meine Kontaktdaten, falls sie das Buch wieder bekommt. Ich möchte lokale Läden unterstützen und werde daher erst einmal abwarten – denn ich habe gesehen, es gibt das Buch auch antiquarisch bei Online-Händlern gebrauchter Bücher. Mal sehen, wann die Besitzerin sich meldet – ich bin gespannt. Gleichzeitig bin ich auch noch amüsiert und zugleich begeistert, dass ich nach mehreren Monaten „Anlauf“ nun um ein paar Tage zu spät komme, und das Rennen gegen eine junge Dame verliere, die in ihrem Beruf sicher mehr mit dem Buch anfangen kann als ich. Ich hoffte nur auf Ästhetik, sie wird anhand der Inspirationen aus dem Buch neue Ästhetik schaffen. Das bedeutet was, finde ich.
Ich glaube nicht, dass du dieses Buch bekommst. Die andere Frau wird das als Inspiration nutzen.
Ich kenne das auch. Fast ein Jahr bin ich hier an einem Schaufenster vorbei gegangen, in dem ein uraltes Marionettentheater inkl Figuren stand. Es sollte 1200 Euro kosten. Dann habe ich endlich das Geld zusammen, fahre in die Stadt und was ist? Zwei Tage vorher hat es ein Sammler gekauft. 😦
Ah, ich habe mich missverständlich ausgedrückt. Die Besitzerin wird evtl. noch ein weiteres Exemplar beschaffen, für mich, wenn ihr eines über den Weg läuft.
Das hört sich ja super an 🙂