Über den Wolken …

Wusstet Ihr, dass es so etwas wie kosmische Strahlung gibt? Ich stelle mir gerade die Bandbreite der Antworten vor: Von „Wie jetzt? Komische Strahlung?“ bis hin zu „Na klar! Welche meinst Du, solare, galaktische, intergalaktische Komponente? Höchste Energien, primäre, sekundäre?“

Ihr seht schon: Ich habe mich ein bisschen mit kosmischer Strahlung befasst – von Berufs wegen. Sie ist mir aber auch ein Hobby geworden und ich habe die kosmische Strahlung schon das eine oder andere Mal zu Vergleichen herangezogen. Zunächst einmal ist kosmische Strahlung eine Teilchenstrahlung, die aus den Tiefen des Weltalls auf unsere Erde trifft. Der größte Teil sind Atomkerne, davon wiederum das meiste Wasserstoff und Helium, Eisen ist auch eine Menge dabei. Wo das Zeug herkommt, ist unterschiedlich: Manches im verhältnismäßig niedrigen Energiebereich von der Sonne – rein von der Zahl der Teilchen ist das das meiste. Anderes kommt von Quellen aus unserer Milchstraße – diese Teilchen sind sehr, sehr schnell und energiereich, im Verhältnis zu unserer Vorstellungskraft, aber auch seltener als die Teilchen von der Sonne. Die energiereichsten kommen von außerhalb unserer Milchstraße, haben Energien im Bereich von ganzen Joules auf einem Atomkern und sind extrem selten – eins pro Jahrhundert und Quadratkilometer. Was ich damit sagen will – es gibt viele verschiedene Teilchen in der kosmischen Strahlung, sie haben sehr verschiedene Energien und sind sehr unterschiedlich häufig.

Allen gemeinsam ist, dass sie auf unsere Erde treffen – allerdings gibt es zwei Mechanismen, die uns davor schützen: Das Erdmagnetfeld und die Atmosphäre. Vor allem die häufigen und niederenergetischen Teilchen werden vom Erdmagnetfeld abgelenkt und so daran gehindert, die Erdoberfläche oder auch nur die Atmosphäre zu erreichen. Die Elektronen der kosmischen Strahlung werden weiter draußen abgelenkt, zwischen 15000km und 25000km über der Erdoberfläche sammeln sie sich, bevor sie nach einigen Monaten wieder in den Weltraum abgestrahlt werden. Die Atomkerne sammeln sich tiefer und damit näher an uns dran: 700km bis 6000km hoch bewegen sich vor allem hochenergetische Protonen. Im tieferen, näheren Gürtel bekommt eine dort befindliche Person an zwei Tagen etwa so viel Strahlendosis ab wie in Mitteleuropa in einem Jahr aus natürlichen Quellen, an besonders strahlenintensiven Stellen bei ungünstigem Sonnenwind sogar erheblich mehr – bis hin zur tödlichen Dosis innerhalb von 35 Tagen. Zum Glück sind unsere geostationären Kommunikationssatelliten weiter draußen, erdnahe Satelliten dagegen näher an der Erde als diese als „Van-Allen-Gürtel“ bezeichneten Bereiche. Dennoch bekommt man im Weltraum auch außerhalb der Gürtel mehr Strahlendosis ab als auf der Erde. Das liegt auch daran, dass unsere Atmosphäre eine gute Abschirmung ist. Die Lufthülle ist zwar nicht besonders dicht – aber dafür sehr dick. Das führt dazu, dass zum Beispiel in Deutschland nur rund 15% der Strahlung, die wir in einem Jahr aus natürlichen Quellen abbekommen, von kosmischer Strahlung herrühren.

Allerdings gibt es zwei Faktoren, die uns stärkerer kosmischer Strahlung aussetzen: 

  1. Wir bewegen uns in große Höhe.
  2. Wir reisen an Orte, an denen das Erdmagnetfeld nicht in der Lage ist, von oben kommende kosmische Strahlung abzulenken. Das ist an den magnetischen Polen und in deren Nähe der Fall.

Unter welchen Bedingungen reisen wir an den Nord- oder Südpol, als ganz normale Bürger, oder bewegen uns als Nicht-Bergsteiger in großer Höhe? Nun – das ist einfach: Auf Flugreisen. Seit 2001 sind zumindest Berufsflieger – also Piloten und Kabinenpersonal – dem Strahlenschutz unterworfen, aus genau diesem Grund. Die Art der Strahlung in großer Höhe ist allerdings ein bisschen anders als die Art, die wir hier auf der Erde mit dem Geiger-Müller-Zählrohr und seinen Anverwandten („Geiger-Zähler“) typischerweise gut messen können. Auch die üblichen Filmdosimeter zeigen von den etwas exotischeren Teilchen, die die kosmische Strahlung in der Atmosphäre erzeugt, nicht die richtigen Werte an. Das macht die dadurch erhaltene Dosis aber nicht harmlos. Zum Glück ist kosmische Strahlung und deren Wechselwirkung mit Magnetfeldern und Luft deutlich vorhersagbarer als zum Beispiel die Lagerstätten natürlichen Uranerzes im Boden. Genau dafür gibt es ein Werkzeug, das sogar für die amtliche Dosis-Feststellung für fliegendes Personal vom Luftfahrt-Bundesamt und der Physikalisch-Technischen Bundesanstalt zugelassen wurde. Es heißt Epcard und ist über die zugehörige Webseite des Helmholtz-Zentrums München öffentlich über das Internet verfügbar. Man kann damit:

  • * die Strahlendosis berechnen, die man auf einer bestimmten Flugroute in einer bestimmten Höhe zu einem bestimmten Datum abbekommen würde und auch
  • * die Strahlendosis berechnen, die man in einer bestimmten Höhe an einem bestimmten Ort innerhalb einer Stunde bekommen würde.

Spaßeshalber habe ich ein paar Werte (für den 25.01.2018 – das Datum spielt wegen des „solaren Wetters“ eine Rolle) ausgerechnet – zum Beispiel, dass man auf dem Denali/Mount McKinley in Alaska aufgrund der Nähe zum magnetischen Nordpol eine höhere Dosis (1,9µSv/h) abbekommen würde als auf dem Gipfel des deutlich höheren, aber äquatornäheren Mount Everest (1,4µSv/h). Ich wollte noch den Mount Erebus in der Antarktis mit in den Vergleich nehmen – aber Epcard rechnet nur hinunter bis 5000m über dem Meeresspiegel, da es ja für Flugreisen designt ist – und der Mt. Erebus ist keine 5000m hoch. Zum Vergleich: In Mitteleuropa beträgt die mittlere Dosisleistung durch kosmische Strahlung auf Meereshöhe 0,03µSv/h.

Den Effekt des Erdmagnetfeldes sieht man besonders schön, wenn man in etwa vergleichbare Flugstrecken – einmal über den Pol, einmal nicht – miteinander vergleicht. Ich habe das hier mal für zwei Flüge ausgerechnet:

  • Am 27.01. von Helsinki nach Tokio auf 10000m Höhe, Dauer 9:35: 53µSv – das ist nicht beängstigend, es ist aber zum Beispiel mehr als doppelt so viel wie das Röntgen beim Zahnarzt. Im Vergleich dazu aber ein Flug auf anderer Route:
  • Am 27.01. von Frankfurt nach Buenos Aires in Argentinien, Dauer 13:45: 31µSv. Es fällt vielleicht auf, dass man zwar länger fliegt nach Buenos Aires, aber eben über den Äquator, wo das Magnetfeld die kosmische Strahlung gut abhält . und man somit bei anderthalb mal so langem Flug trotzdem nur gut die Hälfte der Strahlendosis bekommt.

Ich finde es die Sache absolut wert, darauf hinzuweisen, dass es dieses Tool gibt und dass jeder es benutzen kann. Viele Flugreisende kennen es nicht – wie ich immer wieder erfahren durfte. Sicherlich ist Fliegen nicht aufgrund der Strahlung sehr gefährlich – aber wenn wir um jedes Ticken eines Dosisleistungsmessgerät ein Drama machen, aber zweimal im Jahr z.B. nach Nordamerika fliegen – die Route führt ebenfalls nahe am magnetischen Nordpol vorbei – sollten wir darüber nachdenken, ob wir das mit der Strahlung auch konsequent durchdacht haben.

6 Kommentare zu „Über den Wolken …

    1. Das ist sowohl Beruf (Strahlenschutz) als auch mein Promotionsthema (kosmische Strahlung) … und mir ist auch ein Anliegen, dass die Menschheit sich nicht in blödsinnigem Messen mit zweierlei Maß („gute“ und „böse“ Strahlung z.B. – oder auch medizinische = vermeintlich harmlose, kerntechnische = vermeintlich unheimlich gefährliche und kosmische = niemandem bewusste Strahlung) ergehen.

Kommentar verfassen

Trage deine Daten unten ein oder klicke ein Icon um dich einzuloggen:

WordPress.com-Logo

Du kommentierst mit deinem WordPress.com-Konto. Abmelden /  Ändern )

Facebook-Foto

Du kommentierst mit deinem Facebook-Konto. Abmelden /  Ändern )

Verbinde mit %s

Diese Seite verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden..