Mir wurde vor einiger Zeit einmal gesagt: „Wenn Du es nicht kurz und griffig formulieren kannst, ist es nicht relevant.“ Das geschah in Antwort auf mein Lamento bezüglich meiner Verweigerung, Twitter zu nutzen. Diese Weigerung habe ich inzwischen aufgegeben, aber ich bin noch immer der Ansicht, dass Verkürzung bei vielen Aussagen in unserer komplexen Welt kein „auf das Wesentliche Reduzieren“ darstellt, sondern schlichtweg eine sinnentstellende, gefährliche Vereinfachung.
Ob es nun 140 Zeichen oder zwei Sätze sind, spielt dabei keine Rolle. Wo es möglich ist, nicht ewig um den heißen Brei herumzureden, ist das sicher löblich. Aber sehr viele, insbesondere politische, gesellschaftsbezogene und wissenschaftliche Themen stehen in einem Kontext, sind Ergebnisse von Prozessen und Resultate aus Umständen, die zum Verständnis der zwei, drei Fazit-Sätze essentiell sind. Sprich: Die Schlagzeile, die ich als Tweet raushaue, ist eventuell, in einem anderen Kontext gelesen, nicht nur provokativ oder schlicht falsch, sondern bedeutet etwas komplett Anderes, im schlimmsten Falle sogar Gegensätzliches zu dem, was ich eigentlich sagen wollte. Zudem sind in wenigen Zeichen, Worten, Sätzen nur sehr schwer Nuancen wiedergebbar. Insgesamt erinnert die Sprache, die bei einer notorischen Verkürzung herauskommt, an das Newspeak aus Nineteeneightyfour, nur eben nicht politisch motiviert eingeführt.
Ich glaube, diesen Effekt an vielen Stellen zu sehen. Argumentationsketten, komplexe Argumente sind in dieser Verkürzung nicht mehr möglich. Das, was ich befürchte, ist teils schon in den öffentlichen Diskurs eingetragen worden: Verkürzte Aussagen aufgrund eines Zeichenlimits, aufgrund kurzer Aufmerksamkeitsspanne setzen gut recherchierte, gut begründete Argumente, überhaupt das Argumentieren mit dem Aufstellen von Thesen gleich. An dieser Stelle wird es gefährlich, in meinen Augen, weil ein großer Teil unserer Welt auf komplexen Zusammenhängen aufgebaut ist und unser Wohlstand, unsere Freiheit darauf basiert, dass relevante, wichtige Konzepte eben nicht so einfach sind, dass man sie auf Parolen reduzieren kann.
Klar, der nette kleine „Pun“ zwischendurch, der geht schon. Aber mit ein oder zwei Sätzen pro Seite geführte Diskussionen setzen ein hohes Maß an gemeinsamem, geteiltem intellektuellen Hintergrund und eine Kompatibilität der Perspektive voraus. Wo die Perspektiven abweichen, brauche ich oft mehr Worte, muss unterschiedlich konnotierte Begriffe zusammenbringen, muss auf Voraussetzungen, Denkmuster, Argumente verweisen – und sie oft sogar erklären.
Genau deswegen glaube ich zwar, dass kurze Ansagen sicher mehr Appeal haben, griffiger sind, als lang erklärte Dinge. Aber die lang erklärten Dinge sind die Sachen, auf die es oft ankommt, ohne die eine Diskussion oft nicht funktioniert – weil sie sonst zum „einander Thesen an den Kopf werfen“ degeneriert.