Tja. Fahrstreifen. Viel Aufhebens um so ein markiertes Stück Asphalt, eingezwängt zwischen zwei weißen oder gelben, durchzogenen oder unterbrochenen, dicken oder dünnen Linien, die manchmal sogar dafür sorgen, dass das Fahrgeräusch massiv anschwillt.
Essentiell ist natürlich die Unterteilung in Fahrstreifen je Richtung – sei es, damit man nicht kollidiert, bei nicht baulich getrennten Straßen, sei es, damit man die richtige Richtung weiter einschlägt, wenn die Straße sich teilt. Aber dann gibt es da noch so ein Konzept, das scheinbar schwierig ist: Mehrere parallele Fahrstreifen, alle für die selbe Richtung. Am spannendsten ist das, wenn es mehr oder weniger werden – aber das hatten wir schon. Sehr spannend sind mehrere Fahrstreifen aber auch, wenn es gleich viele bleiben. Tja, warum eigentlich?
Nun, wie soll man sagen: Es gibt da einen gewissen Sollzustand. Der besteht aus einem Geschwindigkeitsprofil, das vom rechten Fahrbahnrand zum linken Fahrbahnrand – also der Mittelleitplanke – immer schneller wird. Unterstützt wird dieser Sollzustand durch Regeln wie LKW-Überholverbot oder das Rechtsfahrgebot. Aber wenn wir vom LKW-Überholverbot sprechen, habe ich ja schon in einem früheren Beitrag ein wenig darüber geschrieben, dass das manchmal nur als ein Vorschlag begriffen wird, sich mit seinem vielachsigen, schweren Ungetüm auf der rechten und langsamsten aller Spuren aufzuhalten, was bei dem Druck, dem LKW-Fahrer ausgesetzt sind, nicht sehr verwundert. Also kommen wir zum Rechtsfahrgebot. Und ihr hier wird es schwierig. Was ist das, ein Gebot, wenn wir es im Straßenverkehr anwenden? „Du sollst rechts fahren.“ Schöne Sache. Und wenn ich es nicht tu, komme ich nicht in den Himmel?
Warum also ist das Rechtsfahrgebot also ein Gebot und keine bindende Regel? Auch wenn ich weiß, dass sich viele Leute über die auf mittlerer oder gar linker Spur mit echter oder gefühlter LKW-Geschwindigkeit fahrenden PKW aufregen, würde ich es mir nicht so ganz so einfach machen. Letztlich, im praktischen Gebrauch, besagt das Rechtsfahrgebot, dass ich auf den Spuren links der rechten Spur nur Überholvorgänge durchführe, also wieder auf die Rechte zurückkehre, so bald diese frei ist. Dabei gibt es keine Regel, wie sich meine Geschwindigkeit zu der anderer Verkehrsteilnehmer auf der Spur, auf die ich zu wechseln vorhabe, verhält. Und genau hier fängt das Problem an. Auf einer deutschen Autobahn, auf nicht geschwindigkeitsbegrenzten Stücken und teils auch auf solchen, wo ein Tempolimit gilt, sind Fahrgeschwindigkeiten ein breites Spektrum. Bei sehr wenig Verkehr sage ich schlicht: Alles fährt rechts, wenn einer sich seinem Vordermann nähert, ist er schneller als dieser und schert aus, überholt, schert wieder ein. Eine schöne Welt wäre das!
Die Realität sieht etwas anders aus: Sehr häufig trifft man über weite Strecken geschlossene LKW-Treks mit 80-85km/h auf der rechten Spur an, auf der mittleren – im dreispurigen Paradies – wird 100-120 gefahren und links wird gefahren, was geht. Das wäre das Extrem der Geschwindigkeitszonen. Eine hübsche Sache wäre das eigentlich, aber sie würde genau drei Geschwindigkeitsgruppen zulassen, und auch das entspricht nicht der Realität und der Vorstellung der Freiheit im Individualverkehr ebenfalls nicht.
In der wirklichen Welt sind „Überholer-Paradigma“ und „Geschwindigkeitszonen-Paradigma“ stark gemischt, und was real passiert, entspricht weitestgehend einer Art Etikette, was man tut und was nicht. In der Enge einer realen Autobahn sind bei einer Mischung von Geschwindigkeitszonen und Überholvorgängen oft mit adäquatem Sicherheitsabstand nur über einen mehr oder minder extremen Kompromiss kompatibel. Und so sitze ich oft da und frage mich: Kann man das noch tun? Sollte man es lassen? Die Grenzen dessen, was man bei der Wahl der Spur oder bei der Geschwindigkeit beim Spurwechsel machen darf und sollte, sind recht fließend, selbst wenn ich mich bemühe, Abstände einzuhalten. Denn wird der Geschwindigkeitsunterschied zwischen zwei Spuren zu groß, ist ein Wechsel weder in der einen noch in der anderen Richtung möglich, ohne den Verkehr massiv zu behindern. Andererseits will ich auch nicht 100 fahren können, selbst den Berg hoch und mit meinem dürr motorisierten Gefährt, aber mit 65 hinter einem LKW herzuckeln. Ob ich mit 65 auf die Spur, auf der 95 bis 100 gefahren wird, hinausfahren kann, wenn nicht gerade alles leer ist, ist aber auch eine gute Frage.
Ich habe keine Antwort auf diese Fragen, keine Lösung. Fahrstreifen zu benutzen ist eine Kunst, wenn man es richtig machen möchte.
Natürlich gibt es die Leute, die kilometerweit auf der mittleren Spur 95 fahren, während die rechte frei ist. Hatte ich heute mal wieder vor mir. Natürlich gibt es die Leute, die mit 250 auf der linken Spur anrasen und den mit 160 überholenden Fahrer mit Lichthupe und engstem Auffahren nötigen, seinen Überholvorgang abzubrechen. Natürlich gibt es auch die Leute, die egal ob bei regulären Überholvorgängen links oder irregulärem Überholen rechts extrem knapp einscheren – hatte ich haute auch wieder vor mir.
Aber diese „Spezialisten“, welche extrem weit aus dem akzeptablen Handeln bei der Benutzung von Fahrstreifen herausragen, sind selten. Sie sind sehr selten. Über sie wird sich echauffiert und aufgeregt, dass es eine wahre Freude ist. Aber sind die das Problem? Werden nicht Menschen, die ihren Fokus ein bisschen mehr auf dem „Überhol-Paradigma“ haben, wild schimpfen über jemanden, der nicht für 50 Meter Lücke zwischen LKW mit seinen 110 einschert, um gleich wieder ausscheren zu wollen, und dann nicht rausgelassen zu werden?
Ich sehe tagtäglich, dass es das eher kleine, kleinliche Beharren auf dem eigenen Paradigma der Spurbenutzung, das Zufahren der Lücke aus der Illusion, dadurch spürbar schneller ans Ziel zu kommen, das rigoros in eine zu kleine Lücke und mit etwas falschem Tempo hineinschieben sind, welche den Verkehrsfluss mit vielen kleinen Nadelstichen wesentlich stören. Die meisten Menschen sind nicht weit davon weg, einen Konsens über die Benutzung der Spuren zu haben. Große Abweichungen, da braucht man nicht viel zu sagen. Da sind sich alle einig: „Der macht was falsch.“ Aber was ist mit den kleinen Dingen? Zugefahrene Lücken, in zu enge Lücken ausscheren, all das zerstört den Abstand. Wenn ich jemanden reinlasse, helfe ich ihm und mir. Wenn ich lieber noch eine Lücke warte, bewahre ich genauso etwas mehr Kontrolle über meinen Abstand zum Vordermann und lasse den anderen Verkehrsteilnehmern auch mehr Kontrolle. Und zu wenig Abstand ist der Tod des Verkehrsflusses.
Manchmal frage ich mich dann, ob wir nicht alle lieber ein bisschen Etikette pauken sollten: Vorausschauendes Fahren, Rücksichtnahme, Abstandhalten, Ruhe Bewahren. Das Rechtfahrgebot und die Vorfahrtsregelungen kennen wir alle. Und wer sich grob daneben benimmt, fällt auf. Oft jedoch müssen wir einen Kompromiss finden zwischen Abstands-, Geschwindigkeits- und Rechtsfahr-Regeln. Wie wir den ausgestalten, innerhalb der Toleranzen dieser Regeln, erfordert oft das, was ich hier Etikette genannt habe – sonst fahren wir im Rahmen des Möglichen korrekt, aber doch gefährlich und/oder kontraproduktiv für den Verkehrsfluss.
Ich bitte ganz herzlich um Entschuldigung für den polemisch gefärbten Lehrtext – denn ich sollte mir oft genug selbst an die eigene Nase fassen bezüglich dessen, was ich hier drüber lang und breit ausgewalzt habe.